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Flow: Wie man “in der Zone” spielt

Ist der Zustand, in dem man wie im Rausch Tennis spielt, nur den Größten der Branche vorbehalten? Aber nein, meint der Tennis-Insider Marco Kühn.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 07.11.2025, 07:47 Uhr

Wenn man das Bild eines "Flow" sucht, dann bietet sich Rafael Nadal auf Sand in Roland-Garros an
© Getty Images
Wenn man das Bild eines "Flow" sucht, dann bietet sich Rafael Nadal auf Sand in Roland-Garros an

Dein Herz klopft im Takt des Balles, den du vor deinem Aufschlag auftippst. Eine Schweißperle läuft an deiner Stirn entlang. Du blickst zum Gegner. Deine Gedanken sind still. Du nimmst kein Publikum wahr. 

Du spielst deinen Aufschlag, ohne über seine Ausführung nachzudenken. In einer mühelosen Bewegungskette triffst du den Ball in voller Körperstreckung am höchsten Punkt. Wie ferngesteuert positioniert du dich nach deinem Aufschlag an der Grundlinie. Du bist im Tunnel. Dein Blick kennt nur den Ball. Du spielst einen Ballwechsel, in dem dir alles gelingt. Du stehst zu jedem Schlag perfekt. Du schwingst locker durch. Mit einer perfekt vor dem Körper getroffenen Rückhand-Longline, nach deren Treffpunkt die Asche von deiner Bespannung fliegt, beendest du mit einem direkten Winner den Punkt.

Der Ballwechsel ist eine Sekunde vorbei und du fragst dich: “Wie habe ich das gemacht und warum kann ich nicht jeden Ballwechsel so spielen?”. Dieses Spiel in einem einzigartigen Flow ist der Zustand, den jeder Spieler kennt. Und den sich jeder Spieler wünscht. Den aber fast jeder Spieler zu selten erlebt. Wir gehen in diesem Artikel der Frage nach: “Was wäre, wenn man diesen Zustand bewusst herbeiführen könnte?”.

Was ist Flow überhaupt?

“Flow” klingt cool, ist in seiner Definition aber eher langweilig: Flow ist ein Aufmerksamkeitszustand im Sport. In diesem Zustand schaffst du es, eins mit dem Ball und deiner Schlagbewegung zu werden. Deine Bewegungen fühlen sich wie ferngesteuert an. Jedes kleine Detail deiner Schlagbewegung sitzt perfekt.

Beim Tennis denkst du im Flow-Zustand nicht über den letzten Fehler, den bescheuerten Gegner oder das Publikum nach. Du schaffst es, all das zur Seite zu schieben und dich nur auf den Ball und den kommenden Schlag zu konzentrieren. In deinem Kopf ist nichts los, außer: “Da kommt der Ball und ich werde ihn perfekt treffen!”. 

Wenn du im Flow bist, lenkt dich nichts ab. Auch nicht deine Gedanken, die dich beim Tennis gerne kleiner und schwächer reden, als du bist.

Warum ist der Flow-Zustand im Tennis so wertvoll? 

Du weißt auf dem Platz sehr genau, was du zu tun hast. Du weißt, wie man Vor- und Rückhand spielt. Du gehst mit einem klaren Matchplan auf den Court und du kennst deine Stärken und Schwächen.

Auf dem Court zerren dann aber Ablenkungen an deiner Konzentration. Deine Gedanken ziehen diese Ablenkungen an wie ein Magnet. Dort lenkt dich ein Zuschauer ab. Dann ploppt ein störender Gedanke in deinem Kopf auf: “Weißt du noch, im letzten Match? Wie schlecht es da lief und deine Vorhand nicht kam?”. Ein, zwei leichte Fehler verunsichern dich. Dann kommt auch noch deine Nervosität um den Netzpfosten geschlichen. All diese Ablenkungen sind in Summe ein ganz schön schweres Paket, das du mit über den Platz schleppst.

Im Flow-Zustand hast du dieses schwere Paket für einen kurzen Moment von deinen Schultern geworfen. Deine Schlagbewegungen fühlen sich leichter, müheloser an. Du denkst weniger nach. Deine Schläge benötigen weniger Kraft. Alles fällt dir leichter. Das Coole daran? Du musst scheinbar gar nicht darüber nachdenken, was du tust. Alles fühlt sich wie auf Knopfdruck an.

Dieses “in der Zone sein” ist ein klarer Vorteil. Der Spieler, der sich öfter und länger in einem Flow-Zustand aufhalten kann, spielt besseres Tennis. 

Wann genau kann der Flow-Zustand im Match auftreten?

Leider kann ich dir keine Tablette durch den Bildschirm werfen, mit der du im Flow in dein nächstes Match gehen kannst. Lass uns den Flow-Zustand mit Köpfchen analysieren. Wir spielen am besten, wenn wir wenig nachdenken, uns sicher auf dem Platz fühlen und wenig bis gar keine Erwartungen haben.

Im Wettkampf ist das aber nicht oft. Du fühlst dich im Match oft überfordert. Du denkst: “Meine Fähigkeiten reichen nicht, um das Match zu gewinnen!”. Wenn die Anforderungen zu hoch scheinen und man sich selbst klein und schwach denkt, dann zerstörst du den Flow-Zustand. Die Gedanken kollidieren mit deiner Performance auf dem Platz. Das ist die sogenannte Challenge-Skill-Balance. Diese Idee ist ein zentrales Konzept aus der Flow-Theorie von Mihály Csíkszentmihályi, einem ungarisch-amerikanischen Psychologen. 

Diese Theorie beschreibt das Verhältnis zwischen den Fähigkeiten (Skills) einer Person und der Anforderung (Challenge) einer Aufgabe. Dieses Verhältnis entscheidet stark darüber, wie jemand eine Tätigkeit erlebt. Die Person kann die Tätigkeit als langweilig, stressig oder optimal motivierend empfinden.

Was bedeutet das für dich als Tennisspieler? Spielst du gegen einen viel schlechteren Spieler, leidet dein Flow-Zustand. Du fühlst dich gelangweilt und unterfordert. Dein Fokus schweift ab. Das ist der Grund, warum du gegen schwächere Spieler viel schlechter spielst, als du es von dir kennst. Stehst du hingegen gegen einen viel besseren Spieler auf dem Court, fühlst du dich überfordert und gestresst. Auch hier kann der Flow-Zustand nicht erreicht werden.

Der Flow-Zustand versteckt sich in der Mitte. Du brauchst eine spielerische Herausforderung. Dann musst du an deine Fähigkeiten glauben, diese Herausforderung meistern zu können. Wenn diese beiden Bereiche aufeinanderprallen, hast du den Flow auf dem Schläger.

So entstehen die epischen Duelle zwischen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner. Und klar, das erklärt auch die historischen Matches zwischen Roger Federer und Rafael Nadal.

Wie kommst du auf Knopfdruck in den Flow-Zustand?

Zunächst die schlechten Nachrichten. Du kannst leider nicht ein gesamtes Match im Flow spielen. Du wirst Ups und Downs in deinem Spiel haben. Schau dir die Profis an. Bei den Grand-Slam-Turnieren erleben wir oft wilde Achterbahnfahrten über fünf Sätze. Erst ist ein Spieler zwei Sätze vorn, dann verliert er knapp in fünf Sätzen.

Dein Ziel sollte auch nicht der für immer anhaltende Flow sein. Dein Ziel sollte viel mehr sein, oft in den Flow-Zustand zurückzukommen. Das ist der entscheidende Unterschied. Du kennst die Spieler, die sich einmal von ihren negativen Gedanken packen lassen und dann keinen Ausweg mehr aus ihrem Negativkarussell finden.

Was kann dir helfen? Mentale Routinen helfen dir, in den Flow zu kommen. Eine mentale Routine ist zum Beispiel der hosenzupfende Rafa Nadal. Es war immer witzig, ihn bei seinen Routinen zu beobachten. Aber Rafa war voll da, konzentriert - im Flow. Diese vorbereiteten Routinen haben ihm geholfen. Du kannst deine eigenen Routinen entwickeln. Das kann zum Beispiel das Zupfen der Saiten sein, das Auftippen des Balles vor dem Aufschlag (bitte nicht 20-mal!) oder das Schließen der Augen beim Seitenwechsel.

All das sind Routinen, die du vor deinem Match vorbereiten kannst. Sie helfen dir, besser in deinen Flow zu kommen. Wie kannst du den Flow-Zustand noch erreichen? Durch Schlagrhythmus. Eine aus meiner Sicht völlig unterschätzte Variante. Jeder stark herausgespielte Punkt hat seinen Ursprung in einem sicheren, lockeren und mühelosen Schlagrhythmus. Erst Rhythmus, dann Tempo. Du kannst also auch durch technische Routinen in einen guten Schlagrhythmus kommen, um dann darauf aufbauend den Flow-Zustand zu erreichen. Dabei kann es dir helfen, wenn du dich nicht zu sehr auf die Ausführung deiner Schläge konzentrierst. Lass den Arm bei der Vorhand “einfach” laufen. Konzentriere dich mehr auf deine Atmung, als auf deine Ausholbewegung. Diese kleinen Details können deinen Schlagrhythmus verbessern.

Ein verbesserter Schlagrhythmus für dich in einen besseren Flow für deine Schläge. Wenn deine Technik dann einmal läuft, kann dein Geist entspannen.

Ist der Flow nur etwas für absolute Ausnahmespieler?

Definitiv nicht. Das Erlernen des Flows sollte ein Kernelement bei jedem Spieler sein. Tennis-Anfänger verbessern sich schneller, wenn sich zunächst ein Gefühl für ihre Schläge erlernen. Turnierspieler haben häufig das Problem, im Match nicht das abrufen zu können, was sie im Training spielen können. Im Match fehlt das Vertrauen in die eigenen Schläge. Ein Spiel im Flow, in einem mühelosen Schlagrhythmus, kann hier auf spielerische Art und Weise echtes, gesundes Selbstvertrauen entwickeln. Vertrauen, das vielen Spielern unter Druck fehlt. 

Wie fühlt sich der Flow-Zustand im Match an?

Kennst du diese Situation:

Du stehst zum Return bereit. Dein Gegner beginnt mit seinem Aufschlag. Du gehst in die Knie, schaust auf den Ball. Der Ball verlässt die Bespannung des Gegners und du siehst schnell, dass der Aufschlag nach hinten ins Aus geht. Dein Geist schaltet ab. Dein Körper ist auf Autopilot unterwegs. 

Ohne irgendeinen Gedanken an die Ausführung deines Schlages, an den Spielstand oder an deinen Matchplan zu verschwenden, spielst du völlig unbewusst den besten Return des Tages. Dein Vorhand-Return landet mit gefühlten 270 km/h direkt im Rückhand-Eck des Gegners. Der Zaun hat es gerade eben so geschafft, deinen Ball zu stoppen. Du fragst dich: “Warum treffe ich nicht jede Vorhand so?”.

Das ist der Flow-Zustand.

In diesem Beispiel sind die Bausteine des Flows gut zu erkennen. Du atmest ruhig und bist entspannt. Du bist fokussiert und nicht abgelenkt. Dein Arm schwingt locker und du hast keinerlei Ergebnisdruck. 

Fazit

Der Flow ist ein Aufmerksamkeitszustand, den du leider nicht über 120 Minuten halten kannst. Du kannst dich aber immer wieder in diesen Zustand bewusst zurückholen. IM Flow werden Geist, Körper und Ball eins. Du triffst die Murmel, ohne nachzudenken.

Fassen wir nochmal die Kernbotschaften zusammen:

- Cool bleiben im Tennismatch heißt nicht, emotionslos zu sein – es heißt, in den optimalen Zustand zu kommen, in dem Technik, Körper und Geist zusammenarbeiten

- Der Flow-Zustand ist kein Zufall, sondern basiert auf Bedingungen, auf mentaler Vorbereitung und auf bewussten Strategien

- Traue dir mehr zu in deinen Matches. Je mehr du an deine Fähigkeiten glaubst, desto besser kommst du in den Flow - vor allem gegen stärkere Gegner

- Arbeite im Training an deinen Routinen. Entdecke deine Rituale, reflektiere, wann bei dir Flow entsteht – und nimm diesen Weg mit ins Match.

Eine kostenlose Match-Checkliste gibt es auf https://www.tennis-insider.de/mental-report .

von Marco Kühn

Freitag
07.11.2025, 13:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.11.2025, 07:47 Uhr