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French Open: Die Grand-Slam-Konkurrenz ist weit enteilt

Vor dem Fernseher geben die French Open ein hervorragendes Bild ab - doch vor Ort gibt es in der französischen Metropole einige Probleme, weiß Jörg Allmeroth.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 02.06.2019, 08:08 Uhr

Roland Garros
© Getty Images
Court Philippe Chatrier

 

Rafael Nadal hatte gerade zum elften Mal den Siegerpokal in die Höhe gereckt, da begannen am 10. Juni 2018 die Abrissbagger schon mit ihrem Werk. Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag war kostbar beim ambitionierten Renovierungsplan der French Open, in dessen Zentrum nichts weniger stand als dies – der Bau eines neuen Centre Courts in maximal einem Jahr. Nun, in der letzten Mai- und der ersten Juniwoche 2019, da die besten Tennisprofis der Welt wieder einmal um den Titel beim zweiten Majorwettbewerb der Saison kämpfen, beim Höhepunkt der Zermürbungskämpfe in der roten Ziegelmehlasche („terre battue“), war das Ziel tatsächlich erreicht. Ein neuer Hauptplatz stand bereit, endlich, nach Jahren quälender Planungen und Diskussionen, aber es war, genau genommen, nur ein Zwischenschritt auf dem Weg der Vollendung. Denn der wichtigste Ort für die stundenlangen Rutschübungen, die dramatischen Ausscheidungsspiele, soll ja noch ein Dach bekommen – genau so wie bei allen anderen Grand Slam-Turniere. 2020 wird das aller Voraussicht nach sein, sagt Turnierdirektor Guy Forget, „das wird ein Meilenstein für die French Open werden.“

Forget, der einstige Rivale von Boris Becker, hat recht – und auch wieder nicht. Die French Open, der Grand Slam-Wettbewerb in Kontinentaleuropa, bekommt im Zuge des größeren Modernisierungsprojekts zwar auch einen Schutz-Schirm über dem „Court Philippe Chatrier“, dem zentralen Roten Platz, aber im allgemeinen Schönheitswettbewerb der Major-Turniere hinken die Franzosen dennoch hinterher – die Konkurrenz ist schließlich weit enteilt. Gerade war das noch einmal zu bestaunen, pikanter Weise am Wochenende, bevor die French Open begannen. Da nämlich wurde in Wimbledon die Einweihung eines Daches über dem Court 1 gefeiert, der zweiten großen Spielstätte an der berühmten Church Road. Altstars wie John McEnroe, Goran Ivanisevic oder Martina Navratilova waren da, das BBC-Konzertorchester spielte auf, es war ein rauschendes Fest zum Abschluss der Bauarbeiten, die drei Jahre dauerten und rund 230 Millionen Euro verschlangen. Es sei ein „stolzer Moment“ für den All England Lawn Tennis und Croquet Club, sagte dessen scheidender Chef Tim Philips, nur wer Mut zu Investitionen habe, sei „wirklich für die Zukunft gerüstet.“

Die Turnieranlage in Paris ist zu klein

Ausgerechnet die Australian Open, einst das „hässliche Entlein“ unter den vier Grand Slam-Spektakeln, hatten Ende der 80er Jahre den Aufhübschungskampf eröffnet. Um den Kapriolen des Sommerwetters in Melbourne zu trotzen, erhielt die neue Rod Laver-Arena gleich ein bewegliches Dach – natürlich auch vor dem Hintergedanken, TV-Übertragungen selbst an verregneten Tagen zu garantieren. Es dauerte lange, bis auch die Wettbewerber nachzogen, zuerst Wimbledon mit seinem Regen-Schirm über dem heiligen Centre Court, vor einem Jahrzehnt. Dann die US Open mit einem gigantischen Dach über dem Arthur-Ashe-Stadion, der größten Tennisarena der Welt. Und demnächst, mit gewaltigem Verzug, nun auch Paris, als letztes Grand Slam-Turnier. Aber wie gesagt: Auf Augenhöhe sind die Franzosen damit noch lange nicht: In Australien stehen inzwischen drei überdachte Courts zur Verfügung, in Wimbledon und in New York zwei. Ein wenig trösten können sich Forget und sein Management-Team damit, dass sie mit dem neuen Simonne Mathieu-Court über einen der schönsten Plätze überhaupt verfügen werden, eine Spielstätte, die sich in den angrenzenden Botanischen Park „Serres dÁuteuil“ mit seinen Gewächshäusern einfügt und in die Erde eingelassen ist. „Die Atmosphäre dort ist einzigartig“, sagt Forget.

Allerdings haben gerade die Pariser Macher weiter ein generelles Platz-Problem. Die Turnieranlage ist eigentlich zu klein, das Fanerlebnis ist in der großen Enge, im ständigen Schubsen und Drängeln der Massen, eher bescheiden. Es gab in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder Modernisierungsideen, Expansionspläne, aber stets scheiterten die Überlegungen am Widerstand der Bewohner rund um das Roland Garros-Areal. Zwischenzeitlich gab es sogar die Absicht, die Stadt zu verlassen und die French Open ins Umland zu verfrachten – auch ein Gelände nahe Euro Disney, im Westen der Kapitale, war im Gespräch. Doch man entschied sich dagegen, genau so wie gegen einen Umzug ins nahe Versailles. 

„Wir müssen sehen, dass wir hier in der Stadt unsere Visionen verwirklichen können“, sagt der frühere Turnierdirektor Gilbert Ysern, „aber es ist so, dass wir um jeden Ausbauzentimeter kämpfen müssen. Es ist teilweise sehr frustrierend.“ Auch eine andere Sorge schwang in jener Kritik mit, die Sorge, den Grand Slam-Status womöglich zu verlieren. Etwa an eine chinesische Metropole wie Shanghai oder Shenzhen. Oder an stets lauernde Konkurrenz vom Golf. „Es gab diese Lobbyarbeit aus Asien und Arabien, da wurde gewaltig mit Geldscheinen gewedelt gegenüber dem Tennis-Weltverband“, sagt ein europäischer Topfunktionär.

Grand-Slam-Schlusslicht

Paris muss vorerst zwar nicht mehr um seinen Status als Grand Slam-Turnier fürchten, aber im Schaulaufen der vier Major-Wettbewerbe bleiben die Franzosen noch das Schlusslicht. Vorneweg marschieren die Australian Open, die in den letzten zwei Dekaden den erstaunlichsten Umbruch erlebten, allerdings auch eine mitunter störende Totalkommerzialisierung. Melbourne ist eine laute, fröhliche, überbordende Unterhaltungsindustrie in Sachen Tennis geworden, nicht allen kommt der Slogan vom „Happy Slam“ aber noch wie selbstverständlich über die Lippen. Wimbledon hat die Gratwanderung zwischen Traditionsbewahrung und zeitgemäßem Turniermanagement besser gemeistert, das herausragende Design des Centre Court-Daches steht symbolisch für diesen Brückenbau zwischen Vergangenheit und Zukunft. 

Und die Championships rüsten weiter auf. Schon bald soll das Gelände auf der anderen Seite der Church Road für das Wimbledon-Qualifikationsturnier genutzt werden. Mittelfristig gebe es allerdings Pläne, berichtete die gut informierte „Daily Mail“, dort eine neue Arena zu bauen, einen dritten Platz mit größerem Fassungsvermögen – neben Centre Court und Court 1. Insgesamt wolle der All England Club für weitere Investitionen mehr als eine Milliarde Euro in die Hand nehmen, eingeschlossen sei auch der Kaufpreis für das Areal in der Nachbarschaft, dort, wo sich derzeit auch ein Golfplatz befindet. Und die Kosten für den Regen-Schirm über Court 1, der jetzt an Regentagen immerhin Spielbetrieb auf zwei Plätzen ermöglichen wird. Gegenfinanziert wird das alles etwa durch den Verkauf von Ticketrechten für die nächsten Jahre, aber auch durch Partnerschaften mit neuen Businesspartnern, etwa dem chinesischen Mobilfunk-Konzern Oppo.

Derweil liefern sich die Grand Slam-Riesen auch ein Überbietungsrennen bei den Preisgeldern für ihre Tennis-Festspiele. Bei den French Open werden bis zum Pfingstsonntag 42,6 Millionen Euro an den Tross des Wanderzirkus ausgeschüttet, Sieger und Siegerin im Einzel erhalten jeweils 2,3 Millionen Euro. Wimbledon setzt da noch einen drauf – mit einer Gesamtsumme von 44 Millionen Euro und Prämien für die beiden Pokalsieger von jeweils 2,73 Millionen Euro. Doch eins ist gewiss: Bei den US Open wird dann der nächste Rekordscheck verteilt.

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von Jörg Allmeroth

Sonntag
02.06.2019, 08:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 02.06.2019, 08:08 Uhr