Die Nadal-Affäre oder wie ich mir meine Schiedsrichter aussuche

Der ewige Kampf von Rafael Nadal mit den Schiedsrichtern und der Zeitregel wird kontrovers diskutiert.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 29.05.2015, 11:00 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus Paris

Es war ein Missgeschick mit Folgen, das sich vor gut drei Monaten auf dem Centre Court in Rio de Janeiro abspielte. Im Halbfinale des ATP-Turniers unterm Zuckerhut hatte Rafael Nadal bereits eine Verwarnung für Zeitspiel erhalten, da wandte sich der Matador mit einer ungewöhnlichen Bitte an den brasilianischen Schiedsrichter Carlos Bernardes, einen geschätzten Veteranen auf dem Stuhl: Er habe sich seine Shorts falsch herum angezogen, müsse die Hose nun wechseln, mitten im Spiel. Bernardes zeigte keine Gnade: Wenn Nadal sich umziehen wolle, dann müsse er ihm eben eine weitere Verwarnung erteilen, gleichbedeutend mit einem Strafpunkt. Und genau so kam es dann auch: Nadal wechselte die Shorts, sein Gegner bekam einen Zähler zugesprochen. Doch Nadal schwor dem Unparteiischen noch auf dem Court seine Rache, mit zornverzerrtem Gesicht, geladen bis zum Anschlag: „Ich werde dafür sorgen, dass Du keine Spiele mehr von mir leitest.“

Federer: „Wo soll das anfangen und aufhören?“

Was ebenfalls geschah, bis heute. Und was nun bei den Internationalen Französischen Meisterschaften für heftige Debatten sorgt – bei Profis, Spielerorganisationen, den Schiedsrichtern, aber auch den Turnierbossen. Eine Frage steht dabei über allen:Dürfen sich Spieler ihre Schiedsrichter selbst aussuchen, allem voran jene wenigen Superstars, die global prägende Figuren ihres Sports sind, so wie Nadal?Novak Djokovic, der gegenwärtig führende Spieler in der Weltrangliste, hat das klipp und klar verneint, er, der größte Rivale um den Pariser „Coupe des Mousquetaires“: „Jeder hat mal seine Schwierigkeiten mit einem Schiedsrichter. Aber deshalb würde ich nicht auf die Idee kommen, ihn von meinen Matches ausschließen zu lassen“, sagt der Serbe, „das ist alles andere als fair.“ AuchRoger Federer, der Schweizer Gentlemanspieler, der „Maestro“ des Tennis, kann Nadals Aktion nicht so ganz verstehen: „Wo soll das anfangen und aufhören?“, fragt sich der 33-jährige Altmeister, „viele Sachen gefallen uns nicht. Der Zeitplan, der Court, auf dem wir spielen. Aber wir nehmen es hin. Das gehört zu diesem Beruf.“

Eins ist klar: Neue Freunde hat sich Nadal mit seinem Vorstoß nicht gemacht. Und: Die ATP, die Spielerorganisation der männlichen Berufsspieler, hat einen gefährlichen Präzendenzfall geschaffen, mit diesem publik gewordenen Sonderrecht für den Championspieler. So gibt der Schweizer Top-Ten-MannStan Wawrinkazwar auch zu, schon mal gefragt zu haben, „ob man einen bestimmten Schiri erst mal keine Spiele von mir leiten lassen kann.“ Aber Wawrinka, einer der großen Aufsteiger der letzten Jahre, sagt auch: „Würde sich das die Nummer 80 oder 100 der Welt überhaupt trauen? Und was würde man einem solchen Spieler sagen, wenn er mit so einer Bitte käme?“, sagt Wawrinka.

Pikant: Spieler sind Arbeitgeber der Schiedsrichter

Jedenfalls hat die ATP Nadals dringlichen Wunsch bisher mit gnadenloser Konsequenz umgesetzt. Der englische „Telegraph“, der das Thema vor den French Open wieder auf die Agenda brachte, rechnete vor, dass Bernardes nach dem Rio-Zwischenfall etwa zwei Dutzend Matches von Nadal hätte dirigieren können, aber nie eingesetzt wurde. Nadal bestätigte die Eingabe inzwischen auch, sagte, er sei von Bernardes „nicht fair“ behandelt worden: „Er setzt mich mehr unter Druck als andere Spieler.“ Er respektiere den Brasilianer durchaus, der sei ein „guter Mann“. Aber: „Es ist besser, wenn wir mal eine Zeit nicht zusammen auf dem Court sind.“

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Wobei das Thema Nadal und die Schiedsrichter sowieso ein Thema für sich ist. Denn der Spanier reizt die 25 Sekunden, die ihm zwischen den Ballwechseln zur Verfügung stehen, bis zur Schmerzgrenze aus – und geht auch gerne drüber hinweg. Das Problem auch hier ist: Jeder Schiedsrichter geht anders mit dem Superstar um, manche fordern die Einhaltung der Regel sehr konsequent ein, manche üben Nachsicht und Toleranz. Wollen sich nicht mit dem Matador und seinen Marotten anlegen, dem dauernden Zupfen und Ziehen vor dem Aufschlag, selbst schon nach 25 Sekunden Pause.„Es gibt eine Zeitregel für Nadal. Und eine Zeitregel für alle anderen Spieler“, sagte der Russe Dmitry Tursunov, ein Berufskollege des Spaniers. Das eigentlich Pikante an der Sache: Die Schiedsrichter sind bei der ATP angestellt, der Spielerorganisation. Und da den Profispielern und den Turnieren der Tingeltour jeweils 50 Prozent des Unternehmens gehören, sind die Spieler auch Arbeitgeber der Referees. Also auch Rafael Nadal der seines speziellen Freundes Carlos Bernardes.

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