Dominic Thiem – Ein österreichischer Himmelsstürmer fordert Rafael Nadal

Dominic Thiem steht bei den French Open vor dem größten Spiel seiner noch so jungen Karriere.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 27.05.2014, 12:40 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus Paris

Beim Orange Bowl unter der Sonne Miamis istIvan Lendlein ganz alter Stammgast. Gern schaut der alte Champion bei der Jugend-Weltmeisterschaft den Stars von Morgen und Übermorgen zu, wenn sie um den begehrtesten Titel der Saison kämpfen. Dort, im Süden Floridas, fiel dem einstigen Nummer-eins-Mann vor ein paar Jahren ein schmächtiges Bürschchen aus Österreich ins Auge, ein gewisser Dominic Thiem. Weil Lendl sich den Teenager aus Wien schließlich so intensiv und interessiert betrachtete, vor allem dessen phänomenale Rückhand, wurde er am Ende seines Besuchs gefragt, war er von dem Knaben halte: „Ich habe seit langer Zeit keinen so starken Junior gesehen", sagte Lendl da, einer, der nicht gerade für schwärmerische Lobreden bekannt ist. Dann setzte er noch hinzu: „Das ist in jedem Fall ein Top-Ten-Spieler der Zukunft. Ihm stehen viele Türen offen."

Ein Superlativ auf zwei Beinen

Nun, im Frühling 2014, ist Thiem längst angekommen in der großen, weiten Tenniswelt des Tourbetriebs. Er ist schon mehr als ein Versprechen auf die Zukunft, schließlich hat der 20-Jährige kürzlich die Top-100-Barriere mit einer Leichtigkeit und Souveränität überwunden, die nicht gerade selbstverständlich ist in einer Ära, in der Profis erst viel später in ihrer Karriere zu Reife und ganzer Stärke finden. Unter den besten Hundert ist Thiem sozusagen ein Superlativ auf zwei Beinen: Er ist der Jüngste in diesem Eliterevier (Platz 57), das vielversprechendste Talent. Und der Spieler, dem es in diesem frühen Profialter gelingt, bereits dicke Ausrufezeichen zu setzen - mit einem Sieg gegen den Weltranglisten-Dritten Stan Wawrinka in Madrid oder, ganz aktuell,mit einem brillanten Auftakterfolg bei den French Open gegen den Lokalmatador und einstigen Davis-Cup-Helden Paul-Henri Mathieu. Doch in der zweiten Roland-Garros-Runde wird Thiem erst recht im Fokus des Interesses stehen bei diesem Grand-Slam-Spektakel, dann, wenn er sich auf dem Center Court dem achtmaligen SiegerRafael Nadalzum Zweikampf stellen muss. „Es wird eine tolle Lehrstunde für mich", sagt Thiem, „ich bin froh, wenn ich so viel wie möglich lernen kann in dem Match."

AlsThomas MusterMitte der 90er Jahre die Tenniswelt fest in seinem Griff hatte und allein in der Saison 1995 zu zwölf Titeln stürmte, auch dem bei denFrench Open, da lernte Thiem gerade das Gehen. Thiem ist ganz anders als der vielbesungene „Alpen-Boris" - aber diesem tierischen Fighter Muster auch ganz ähnlich. Der Shootingstar ist eigentlich Ästhet und Arbeiter zugleich, ein junger Mann, der taktisch und spielerisch über größte Potenziale verfügt, sich aber auch für die dreckige Maloche nicht zu schade ist. „Er ist, im positiven Sinn, ein Tennisverrückter", sagt Trainer Günther Bresnik, früher einmal schon bei Boris Becker als Coach im Einsatz, „seine Hingabe an den Sport ist unbeschreiblich. Er ist immer bereit, die Grenzen zu überschreiten." Bresnik bezieht das auch auf die Unerschrockenheit und den Stoizismus, mit dem Thiem schon manche gesundheitlichen Rückschläge weggesteckt hat, all die vielen kleineren und größeren Blessuren, die vielleicht einen noch schnelleren Aufstieg verhinderten. „Ich habe viele Opfer bringen müssen. Aber ich habe nie geklagt, mich nie beschwert", sagt Thiem, „das ist eben der Weg in diesem brutalen Geschäft."

Großes Ansehen in der Szene

Tennis ist bei Thiem eine Angelegenheit der ganzen Familie. Vater Wolfgang und Mutter Karin sind beide ausgebildete Tennislehrer, der jüngere Bruder Moritz (14) träumt ebenfalls von einer Profilaufbahn. Um die enormen Kosten für Dominics Karriere zu finanzieren, verkaufte die Familie sogar eine Wohnung in Wien. Der immer bekannter werdende Sohn zahlt das Vertrauen und die Risikobereitschaft nun mit Siegen zurück, auch auf den ganz großen Bühnen. Branchenriesen wie Nadal, Federer oder Murray haben sich schon zum Training mit ihm verabredet, nicht gerade aus Gönnerhaftigkeit, sondern um den Mann, den manche Experten als mögliche Nummer eins der Zukunft sehen, aus nächste Nähe zu studieren. „Dominic genießt in der Szene schon großes Ansehen. Die entscheidenden Jungs wissen, was er kann", sagt Bresnik, der Übungsleiter, der auch noch den begabten Letten Ernests Gulbis betreut. Auch unter Bresniks bestimmender Regie wurde ein professionelles Umfeld für Thiem geschaffen, in dem sich seine Kräfte weiter entfalten können - auch der international bekannte Fitnessguru Sepp Resnik gehört dazu.

Thiem hat gute Nerven. Keine Angst vor großen Namen. Und das macht ihn auch gefährlich für den Seriensieger Nadal, dessen Reputation als Meister aller Sandplatz-Klassen in dieser Saison leicht lädiert ist. „Das Publikum wird Nadal anfeuern, den kennen sie", vermutet Thiem, „aber für mich werden sie auch klatschen, wenn ich gut spiele. Das ist mein Ziel." Selbst soviel Bescheidenheit schützt manchmal nicht vor Siegen.

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Dienstag
27.05.2014, 12:40 Uhr