Gauff verzaubert Paris: Leicht chaotisch und doch ganz klar
Coco Gauff könnte im French-Open-Finale eine US-Tradition fortsetzen. Doch die 21-Jährige beeindruckt auch neben dem Platz.
von SID
zuletzt bearbeitet:
06.06.2025, 18:36 Uhr

Wer so viel im Kopf hat, kann nicht an jede Kleinigkeit denken: Zum Erstrundenspiel bei den French Open kreuzte Coco Gauff mit einer Menge Krempel auf. Was fehlte: ihre Tennisschläger. "Na klasse", habe sie gedacht, erzählte Gauff später lachend: "Wir haben hier einen Grand Slam - und ich bringe nicht einmal Rackets mit."
Mittlerweile hat sich die US-Amerikanerin sortiert, ihr erstes Match gewann sie - mit ihren Schlägern, nach denen ein Balljunge ausgeschickt worden war - wie die fünf folgenden Partien, längst ist sie wieder Publikumsliebling. Am Samstag (15.00 Uhr/Eurosport) trifft die 21-Jährige im Finale auf Aryna Sabalenka, spielt im Duell Nummer zwei gegen Nummer eins der Welt um ihren zweiten Major-Titel nach den US Open 2023.
Gauff vergisst ihre Schläger
Für Gauff wird es das zweite Roland-Garros-Endspiel, 2022 ging sie gegen Iga Swiatek unter. "Ich war heillos nervös, hatte mich schon vor dem ersten Ballwechsel abgeschrieben", sagt sie. Nun erhält sie die zweite Chance, ein großes US-Erbe anzutreten: Chris Evert (sieben Titel) ist Paris-Rekordsiegerin in Paris, Martina Navratilova, Jennifer Capriati oder Serena Williams gewannen Roland Garros.
Doch wer Gauff derzeit verfolgt, merkt, dass sie neben Tennis viel mehr umtreibt - die Schläger-Episode ist da ein Symptom. Gauff geht auf Entdeckungstour in Paris ("ich möchte mehr von einer Stadt sehen als Hotelzimmer"), stürzt sich in Bücher ("2023 habe ich 23 gelesen, 2024 dann 24, jetzt sind 25 dran"). Und dazwischen redet die tief religiöse Christin reflektiert mit den Medien, über Gott und die Welt.
Natürlich, Gauff liebt das Rampenlicht, besuchte die Oscar-Verleihung, posierte für die Vogue. Aber sie schaltet sich auch in politische Debatten ein, spricht Missstände an, unterstützte die "Black Lives Matter"-Bewegung. Es sei "in Anbetracht des Zustands der Regierung eine verrückte Zeit", sagte sie kürzlich, wenn man eine schwarze Frau sei und in Florida lebe.
Gauffs empathisches Wesen und das Denken "outside the box" sind für eine junge Tennis-Multimillionärin nicht selbstverständlich. Diese Eigenschaften entstammen ihrem familiären Hintergrund: "Großmutter hat mir beigebracht, jeder Situation mit Freundlichkeit und Verständnis zu begegnen."
“Die Sonne geht wieder auf”
Jene Großmutter, Yvonne Lee Odom, wuchs in einer Zeit auf, die einem mit Unfreundlichkeit und Unverständnis begegnete - wenn man eine junge Schwarze war und in Florida lebte.
Odom war 1961 die erste Schwarze, welche die ausschließlich von Weißen besuchte Seacrest High School in Delray Beach besuchte, ihren ersten Schultag absolvierte sie unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Sie blieb Kämpferin für Schwarzenrechte bis heute, wurde Lehrerin und Cocos großes Vorbild. "Gegen das, was sie durchmachen musste", sagt Gauff, "ist das, was ich mache – Tweets verfassen, eine Rede halten - so einfach."
Vor allem weiß Gauff dank Grandma, dass Tennis nicht alles ist. "Wenn ich das Leben generell mehr genieße, spiele ich auch besser", sagt sie. Und wenn das Finale wieder verlieren sollte? "Dann fühlt es sich anfangs wie ein Weltuntergang an. Aber wisst ihr was? Auch am Morgen danach geht wieder die Sonne auf."
Hier das Einzel-Tableau in Roland-Garros