Der Aufstieg der Petra Kvitova
Die Tschechin hat in diesem Jahr Wimbledon und die Weltmeisterschaft gewonnen. Ihr Rückstand auf Caroline Wozniacki ist nur noch marginal.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
31.10.2011, 11:33 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Als Petra Kvitova zum Jahreswechsel die lange Reise ans andere Ende der Welt antrat, zu ihrem ersten Turnier im australischen Brisbane, war ihr Name allenfalls den Expertenkreisen der Tennisbranche bekannt. Damals galt die großgewachsene und schlaggewaltige Tschechin noch als „Versprechen für die Zukunft“ (Tennis Week), als „mögliche Führungsfigur des nächsten Jahrzehnts“ (Sports Illustrated) und als „Geheimtip für große Titel“ (L´Equipe).
Ziemlich genau zehn Monate später steht Kvitova als Machtfaktor im Hier und Jetzt und als eine der dirigierenden Kräfte im Wanderzirkus da: Mit ihrem WM-Sieg in Istanbul verabschiedete sich die harte Puncherin sogar als gefühlte Nummer 1 der Spielserie 2011 vom Tourgeschehen, eine Spielerin, die sechs Titel gewonnen hatte, darunter den Wimbledon-Pokal und nun eben auch noch die Masters-Trophäe beim Kampf der acht Saisonbesten. „Petra ist die Spielerin der Saison“, sagte die frühere Topspielerin Lindsay Davenport (USA) nach dem letzten Turnier des Jahres.
In Istanbul hatte die technisch erstklassig ausgebildete Tschechin erstmals wieder zur sportlichen Klasse zurückgefunden, die sie in einer strahlenden Grand Slam-Offensive im Sommer auch auf den Thron Wimbledons geführt hatte. Doch selbst bei den fünf Siegen in den fünf WM-Spielen im Sinan Erdem Dome wirkte die kraftvolle Linkshänderin noch wie eine Spielerin, die ihr ganzes Potenzial längst nicht angetastet hat und immer noch auf der schwierigen Suche ist, ihre Power dauerhaft gewinnbringend einzusetzen. „Im Kopf hat sie noch nicht die Stärke, die es braucht, um auch über längere Strecken das Welttennis zu dominieren“, sagte Kvitovas Idol Martina Navratilova, „sie muss immer noch durch diese Wellentäler hindurch. Das kostet Substanz.“
Den nervlichen Belastungen nicht immer gewachsen
Auch im WM-Finale war das irritierende Schwanken zwischen grenzenloser Zuversicht und plötzlichen Angstattacken zu beobachten: Fast übergangslos verspielte Kvitova im ersten Satz eine 5:0-Führung zum 5:5-Gleichstand gegen die Weißrussin Viktoria Azarenka. Mit schrillen Jubelschreien quittierte die nervlich auf zuweilen sehr dünnem Fundament balancierende Tschechin fortan jeden einzelnen Punktgewinn, sie sei eben noch nicht so stabil, „um solche Spiele sicher nach Hause zu fahren“, sagte sie später.
Gleichwohl: Kvitova gehört nun - allen voran - zu den Spielerinnen, die einer allmählich altersmüden, unter mehr oder weniger schweren Verletzungen leidenden Tennis-Generation die Spitzenplätze streitig machen. Also den Williams-Schwestern oder auch Kim Clijsters, der letztjährigen WM-Siegerin. Ihren Mitstreiterinnen Caroline Wozniacki (Platz 1, 21 Jahre) und Viktoria Azarenka (Platz 3, 22 Jahre alt) hat Kvitova den psychologischen Vorteil voraus, den nicht mit Geld zu bezahlenden Grand Slam-Titel bereits geholt zu haben. Es gehört nicht viel prophetische Gabe dazu, einen baldigen Machtwechsel von Wozniacki zu Kvitova in der neuen Saison vorherzusagen – zumal, da der Vorsprung der Dänin ohnehin auf nur noch 115 Punkte zusammengeschrumpft ist.
Kvitovas Spiel wirkt erfrischend in einem Revier, in dem sich viele monotone Ballarbeiterinnen bewegen, jene roboterhaft gedrillten Spielerinnen, die an der Grundlinie endlos auf die Kugel eindreschen, ohne Finten und Finessen. Die Wimbledon- und WM-Königin spielt dagegen mit sichtlicher Lust am Risiko, streut gerne Stoppbälle ins Geschehen ein – und attackiert auch regelmäßig am Netz. Ermüdende Ballwechsel stoppt sie unbarmherzig mit wuchtigen Siegschlägen, aus Offensive wie Defensive. „Ihr Spiel taugt noch für viele Grand Slam-Titel“, sagt Mentorin Navratilova, „ganz besonders in Wimbledon.“
"Die Zweifel waren weg"
Der erste Sieg am bedeutendsten aller Tennis-Schauplätze hatte ihr, gar nicht einmal so paradox, vorübergehend auch die Stabilität und Kraft geraubt. Plötzlich in den öffentlichen Fokus geraten, in aller Welt und auf der eigenen, kleinen tschechischen Scholle, kam Kvitova schwer ins Schlingern und suchte für Monate nach den verlorenen Tennis-Schätzen. Bis in den späten Herbst hinein gewann sie praktisch kein wichtiges Spiel mehr, unterlag bei zwei Topturnieren im Sommer in den USA zweimal Andrea Petkovic, schied dann bei den US Open sang- und klanglos in der ersten Runde aus.
Erst im Countdown zur WM in Istanbul fand die 21-jährige neues Glück im oberösterreichischen Linz, dorthin war sie zum Einspielen auf das Masters ohne große Erwartungen und auch ohne Coach gereist, zurück ins heimatliche Dörfchen Fulnek kam sie als Turniersiegerin. „Auf einmal ging ich wieder aufrecht. Die Zweifel waren weg“, sagt Kvitova, die sich eine Gesamtbilanz von 58:13-Siegen in der Saison erspielte.
Kvitova gilt als unprätentiöse Zeitgenossin, die von der PR-Maschinerie der WTA-Tour eher zu Auftritten im Rampenlicht gedrängt werden muss. Zum notorischen Glitzer und Glamour des Profibetriebs hält sie lieber Distanz, wirkt fast ein wenig belustigt, wenn sie auf einmal in aufwändiger Abendrobe über rote Teppiche schreiten muss. Für den Zeitungsboulevard lieferte sie direkt nach dem Wimbledonsieg reißerische Schlagzeilen, als ihre Liasion mit dem gerade 16-jährigen Landsmann Adam Pavlasek bekannt wurde. Verbotene Liebe war das indes nicht: In Tschechien gilt man ab dem 15. Lebensjahr nicht mehr als minderjährig. Selbst würde die neue Tennisregentin sowieso nicht über diese Angelegenheiten sprechen: „Das ist meine Privatsache.“(Foto: J. Hasenkopf)