Holger Rune 2022: Zwischen viel Licht und etwas Schatten
Holger Rune ist in 2022 der absolute Durchbruch gelungen. Eine Saison mit vielen, großen Höhepunkten - aber auch mit einigen Schattenseiten.
von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet:
08.11.2022, 10:49 Uhr

Holger Rune war im Kalenderjahr 2022 in einer ganz besonderen Situation. Nämlich in der des jungen, vielversprechenden Spielers, der sich trotz früher, ganz großer Ausrufezeichen doch etwas unter dem (medialen) Radar - in einem geschützten Umfeld, sozusagen - entwickeln konnte. Dies hat vor allem einen zentralen Grund: Carlos Alcaraz. Während sich Rune nämlich in der ersten Jahreshälfte langsam, aber sicher auf ATP-Niveau festbiss, feierte der Spanier - ebenso wie Rune 19 Jahre jung - bereits bemerkenswerte Erfolge auf der ATP-Tour. Masters-1000-Titel inklusive.
Erstmals so richtig kreuzen sollten sich die medialen Narrative der beiden Herren somit erst bei den French Open 2022 - dort, wo Carlos Alcaraz als hochgehandelter Mitfavorit im Viertelfinale ausschied. Und Holger Rune exakt diese Runde durchaus überraschend erreichen konnte. Wer glaubt, der bislang größte Erfolg in der Laufbahn des Dänen sollte im Anschluss als Katalysator für eben jene fungieren: weit gefehlt. Vielmehr stellte der Viertelfinaleinzug Runes in Paris eine Zäsur im Spieljahr 2022 dar. Im negativen Sinne.
Rune mit einem Durchhänger
Sechs Auftaktniederlagen in Serie musste Rune nämlich nach den French Open einstecken, lediglich gegen die krisengebeutelten Fabio Fognini und Benoit Paire gelang dem Youngster in diesen schwierigen knapp zwei Monaten ein voller Erfolg. Ein möglicher Mitgrund für den Einbruch: der unschöne Abgang aus Paris, die (mediale) Auseinandersetzung mit dem späteren Finalisten Casper Ruud, der Rune im Viertelfinale aus dem Turnier warf. Und der alles andere als angetan vom Verhalten des 19-Jährigen schien.
Genau dieses Verhalten ist es auch, das sich wie ein roter Faden durch den sportlich beeindruckenden Aufstieg des Teenagers zieht. Und der mit den Worten des erfahrenen, höchst erfolgreichen Stan Wawrinkas nach dessen knapper Auftaktniederlage in Paris-Bercy einen wohl vorläufigen negativen Höhepunkt erlebte: "Mein Rat ist, dass du aufhörst, dich auf dem Platz wie ein Baby zu benehmen“, richtete der dreifache Grand-Slam-Sieger nämlich beim Handshake an seinen 18 Jahre jüngeren Kontrahenten.
Runes Meisterprüfung in Paris-Bercy
Fest steht: Holger Rune hat Ecken und Kanten. Und er hat ein starkes Team, das zuletzt ungleich stärkeren Zuwachs erfahren hat. Seit knapp einem Monat hat sich Star-Coach Patrick Mouratoglou offiziell im Team Rune eingefunden. Eine nahezu Hollywood-reife Erfolgsgeschichte, wie sich nach den ersten drei gemeinsamen Turnieren bilanzieren lässt. Titelgewinn in Stockholm, Endspiel in Basel, Titelgewinn in Paris-Bercy – wo Rune im Übrigen gleich fünf (!) Top-10-Spieler in einem Turnier aus dem Weg räumen konnte. So viele wie kein Spieler vor ihm. Jemals.
Damit schloss sich für Rune in diesem Jahr ein Kreis – erneut war es die französische Hauptstadt, in der dem 19-Jährigen ein weiterer, ganz großer Schritt in dessen Laufbahn gelingen konnte. Und das letzte ATP-Masters-1000-Event von Paris-Bercy ist nun auch der Ort, wo der Welpenschutz – auch in medialer Hinsicht – wohl endgültig sein Ende gefunden hat. Denn wer 19-jährig Carlos Alcaraz, Felix Auger-Aliassime (in dessen aktueller Verfassung) und Novak Djokovic in einem Turnier in die Schranken weist und als Teenager die Top-10 erreicht, dem ist das ganz große Rampenlicht sicher. Und damit auch (noch) kritischere Blicke auf das Verhalten auf dem Platz.