Kerber-Coach Schüttler: "Erkenne mich in Angie wieder"

Anfang November gab Wimbledonkönigin Angelique Kerber den 42-jährigen Nordhessen Rainer Schüttler als ihren neuen Trainer bekannt. Im Interview spricht Schüttler ausführlich über seinen Job bei der „Sportlerin des Jahres 2018“, die ab dem Wochenende beim Hopman Cup im westaustralischen Perth zusammen mit ATP-Weltmeister Alexander Zverev an den Start geht

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 28.12.2018, 08:08 Uhr

Rainer Schüttler
© Getty Images
Kerber-Coach Rainer Schüttler

Herr Schüttler, wie überrascht sind Sie, Trainer von Angelique Kerber zu sein?

Rainer Schüttler: Vor ein paar Monaten war da noch gar kein Gedanke dran. Wir kannten uns zwar schon länger, sind aber nicht eng befreundet gewesen. Es lag also nicht irgendwie zwingend auf der Hand, dass ich diese Aufgabe übernehmen könnte. Weihnachten, Silvester hatte ich eigentlich schon ganz anders verplant, nun bin ich eben in Perth, beim Hopman Cup.

Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Schüttler: Aljoscha Thron, der Manager von Angie und ein alter Bekannter von mir selbst, rief mich an und fragte, ob ich mir das vorstellen könnte. Das war schon erst mal ein verblüffender Moment, dieses Angebot. Aber so einfach war das Ganze nicht, denn ich hatte ja einen anderen Job, ich trainierte den Kanadier Vasek Pospisil. Es waren daher noch einige Gespräche nötig, um das für alle Beteiligten fair zu lösen.

Ich hätte keinen anderen Job als genau diesen hier so schnell angenommen.

Sie hatten auch ein erstes längeres Gespräch mit Kerber, auf der Hochzeit von Manager Thron.

Schüttler: Das ist richtig. Aber wir haben uns dann noch einmal in Ruhe zusammengesetzt und uns gefragt, ob die Ideen zusammenpassen. Ich war beeindruckt, wie Angie dabei ihre Ziele und Pläne vorgetragen hat. Ich merkte: Das passt. Und wir haben uns auch beide gleich gesagt: Das wird ein interessantes Jahr, aber es wird auch eine sehr spannende Herausforderung. Ich muss auch sagen: Es ist etwas Besonderes, mit jemanden wie Angie zusammenzuarbeiten. Ich hätte keinen anderen Job als genau diesen hier so schnell angenommen.

Trotzdem mussten sie zögern, das Angebot anzunehmen?

Schüttler: Ich konnte nicht gleich bedingungslos Ja sagen. Ich bin noch für ein ATP-Turnier in Genf mitverantwortlich, ich habe eine Familie, einen kleinen Sohn. Ohne Rückendeckung von anderen, zuallererst meiner Frau, wäre das nie gegangen.

Sie haben als Spieler immer gesagt: Ich gebe immer, absolut immer 100 Prozent. Ist der Trainer Schüttler ähnlich kompromisslos und konsequent?

Schüttler: Das ist mein Charakter. Ich kann nicht anders, ich muss die Dinge stets mit vollem Herzen und maximalem Einsatz machen. Und das bin ich einer Wimbledonsiegerin sowieso schuldig. Das heißt jetzt: Voller Fokus auf diese Aufgabe.

Sie muss die Jahre nutzen, die sie im Tennis noch hat.

Wie hat sich die Arbeit denn angelassen?

Schüttler: Es war eine richtig gute, intensive Vorbereitungszeit auf die neue Saison. Wir haben sehr hart gearbeitet, aber wir hatten auch viel Spaß.

Erleichtert es diesen Job, wenn man selbst eine Top Ten-Karriere im Welttennis hinter sich hat und unabhängiger als andere Trainer ist?

Schüttler: Darüber haben wir auch geredet. Aber ich denke Unabhängigkeit eher von der anderen Seite her: Angie muss nicht auf mich Rücksicht nehmen, wenn sich das alles nicht so entwickelt, wie wir uns das vorstellen. Ich darf da nicht im Weg stehen für sie. Denn sie muss die Jahre nutzen, die sie im Tennis noch hat.

Wie haben sie, als Beobachter von außen, in den letzten Jahren Kerber gesehen?

Schüttler: Sie ist ein ähnlich zurückhaltender, ruhiger Typ wie ich selbst. Sie macht ihre Arbeit, geht ihre eigenen Wege, sie drängt sich nicht ins Rampenlicht hinein.

Ich war auch nicht der Typ, der jeden Tag in der Zeitung stehen musste.

Viele Kommentatoren befanden, Sie und Kerber ähnelten sich enorm in Wesen und Charakter:

Schüttler: Das ist schon so. Ich habe mich in der Art und Weise, wie sie ihre Karriere plant, wie sie ihr Leben führt, schon wiedererkannt. Ich war auch nicht der Typ, der jeden Tag in der Zeitung stehen musste, und wenn, dann am liebsten wegen wichtiger Erfolge.

Müssen sich Spieler und Trainer vom Typ her ähneln?

Schüttler: Das ist kein Muss. Aber ich finde, es erleichtert die Sache. Wir stellten schnell fest, dass wir nicht nur unsere Rolle in diesem Beruf, unser Leben als Profi ähnlich sehen. Sondern, dass wir jetzt und hier auch übereinstimmen, wie Angies Spiel aussehen sollte, mit guter Kontrolle, aber eben auch mit der nötigen Aggressivität im richtigen Moment.

Wie muss man sich die Wimbledonsiegerin im Training vorstellen?

Schüttler: Als jemanden, der sich mit unbändiger Leidenschaft in die Arbeit stürzt. Und der keinen, wirklich keinen Ball verloren gibt, auch nicht in der letzten Minute des Trainings. Das ist dann eben der Stoff, aus dem Champions gemacht sind.

Im Tennisgeschäft nimmt der Trainer eine komplexe Rolle ein. Er soll Autorität verkörpern, die große Linie vorgeben, Anweisungen erteilen – gleichzeitig ist er der Angestellte, in diesem Fall seiner Chefin?

Schüttler: Große Spielerinnen und Spieler denken gar nicht so. Sie stellen keinen Trainer ein, damit sie ihn herumkommendieren und sich als Chef oder Chefin aufspielen. Sie wollen die Qualitäten eines Coachs nutzen, keine Zeit verplempern. Angie spielt die Musik, ich helfe ihr dabei, den richtigen Ton zu treffen.

Ich weiß, wie man den Ball treffen muss, wie ein guter Schlag auszusehen hat.

Wäre es nicht wichtig gewesen, schon Erfahrungen als Trainer einer Spielerin besessen zu haben?

Schüttler: Ich glaube nicht, dass das Profil da sehr anders sein müsste. Zunächst ist wichtig, dass man untereinander die gleiche Vision hat, dass man zusammen entschlossen einen Plan verfolgt.

Wie waren überhaupt Ihre ersten Erfahrungen als Tennis-Lehrer?

Schüttler: Ich habe mich unheimlich wohl gefühlt. Es war für mich nur eine andere Rolle in einer Welt, die ich 20 Jahre als Spieler geliebt habe. Es ist keine Arbeit für mich, es ist gelebte Leidenschaft. Und ich kenne mich aus: Ich weiß, wie man den Ball treffen muss, wie ein guter Schlag auszusehen hat. Wie man sich in der Situation X oder Y verhalten muss. Arbeit, das ist eher der Job, den ich als Turniermanager in Genf mache.

In der Pressemitteilung zu Ihrer Verpflichtung wurden Sie mit der Aussage zitiert, sie freuten sich auf die Zusammenarbeit in „dieser spannenden Phase“ der Karriere von Angelique Kerber. Was meinten Sie damit?

Schüttler: Spannend wird es sein, stets die letzten paar Prozent an Leistung und innerer Überzeugungskraft herauszukitzeln. Um dann bei den großen Turnieren eine gewichtige Rolle zu spielen. Ich bin nicht dazu da, Angie das Tennisspielen beizubringen, sie ist eine gestandene Frau in diesem Circuit. Sie spielt auch ohne mich starkes Tennis. Aber mein Wunsch, mein Ziel, meine Hoffnung sind die: Mit mir spielt sie noch ein Stückchen besser.

Der noch fehlende Grand-Slam-Titel ist der bei den French Open. Wie stehen da Kerbers Möglichkeiten?

Schüttler: Ich rede nicht über Erwartungen, noch bevor der erste Ball in der Saison gespielt ist. Das wäre kontraproduktiv. Außerdem werden von außen schon genug Erwartungen herangetragen.

Nach dem überragenden Jahr 2016 rutschte Kerber 2017 in die Krise. Wie kann man vermeiden, dass Ähnliches jetzt passiert?

Schüttler: Durch eine gute, solide und intensive Vorbereitung. Das sollte einem die gesunde Basis für das kommende Tennisjahr geben. Ich habe übrigens Vergleichbares erlebt, von 2003 auf 2004. Damals überdrehte ich einfach, stürzte mich zu schnell ins Training, wollte auch alle Erfolge unbedingt bestätigen. Angie hat das einmal hinter sich gebracht, sie hat gelernt daraus. Sie ist eine sehr reife und erfahrene Spielerin, der nichts im Tennis mehr fremd ist.

Woran bemessen Sie Ihren Erfolg bei Kerber?

Schüttler: Es wäre schön, wenn Angie das Gefühl hätte in diesem Zusammenspiel: Ich arbeite gut, ich entwickele mich weiter, ich kann erfolgreich sein. Und für mich gilt: Ich will mit mir im Reinen sein und sagen können, dass ich das Beste für sie gegeben habe.

Tennis ist eben das, worin ich mich am besten auskenne

Sie sind nach Ihrer aktiven Karriere gleich im Tennis-Business geblieben, ohne größere Pause. Gab es auch die Option, etwas ganz ohne Tennis und Sport zu machen?

Schüttler: Ich hatte auch schon mal andere Vorstellungen, etwa die Arbeit in der Immobilienbranche. Aber Tennis ist eben das, worin ich mich am besten auskenne. Und warum, ganz rational betrachtet, soll ich das nicht nutzen, auf verschiedensten Ebenen. Nun aben auch als Coach einer Wimbledonsiegerin.

Ist das sozusagen in den Genen drin? Diese Lust am Herumziehen, diese Zirkus-Existenz im großen Tennis?

Schüttler: Ich bin schon immer gerne gereist, ich habe es genossen, als Tennisspieler auch die Welt zu entdecken. Mich langweilte eher, wenn ich zu lange an einem Ort war. Ich muss jetzt aber auch an meine Familie denken. Meine Frau und mein Sohn werden sicher auch immer mal wieder auf den Reisen dabei sein.

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Kerber Angelique

von Jörg Allmeroth

Freitag
28.12.2018, 08:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 28.12.2018, 08:08 Uhr

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Kerber Angelique