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"Das sind die Spiele, die du gewinnen willst"

Die deutsche Nummer eins steht nach einem Late-Night-Krimi im Achtelfinale der US Open.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 03.09.2012, 11:18 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus New York

Es war eine dieser verrückten New Yorker Nächte im größten Tennistheater der Welt. Leicht irre, leicht chaotisch. Aufgeladen mit Adrenalin, Spannung, Leidenschaft und Drama. Und mit den härtesten unter den harten Tennis-Fans, die um 2.26 Uhr in aller Herrgottsfrühe sogar dem falschen Sieger frenetisch zujubelten. Dem deutschen MatadorPhilipp Kohlschreiber,der am Ende einer 200-Minuten-Ringschlacht in der Arthur-Ashe-Betonschüssel die Arme in den schwarzen Himmel über Flushing Meadows reckte - als 6:4, 3:6, 4:6, 6:3, 6:4-Triumphator gegen Amerikas Nummer einsJohn Isner.

Rekord von Wilander und Pernfors eingestellt

„Das sind die Spiele, die du als Profi gewinnen willst“, sagte Kohlschreibernach der denkwürdigen Late-Night-Show,die sogar in die Geschichtsbücher der US Open einging. Denn mit dem Schlusspunkt kurz vor halb Drei war der bisherige Rekord für das am spätesten beendete US-Open-Match eingestellt, das sich 1993 noch im alten Armstrong-Stadion die schwedischen Profis Mikael Pernfors und Mats Wilander geliefert hatten.  „Der reine Wahnsinn“ sei die Spätvorstellung gegen Isner, den Weltranglisten-Zehnten, gewesen, befand Kohlschreiber anschließend, „an solche Momente und Matches denkst du auch noch, wenn du schon lange kein Tennis mehr spielst.“

Nach seinem ersten Achtelfinal-Einzug bei den US Open trifft Kohlschreiber nun am Dienstag auf den SerbenJanko Tipsarevic,den Mann, der vom ehemaligen Schüttler-Coach Dirk Hordorff betreut wird. Und der gern längere Trainingsaufenthalte in der Tennis-Akademie von Rainer Schüttler und Alexander Waske in Offenbach einlegt. „Da ist sicher noch was drin. Ich fühle mich einfach gut in Schuss im Moment“, sagte Kohlschreiber.

Punktabzug für Isner

Dieses Selbstvertrauen des Augsburgers, befördert durch den Aufstieg in die Top 20 in den letzten Saisonmonaten, bekam zuvor in der Ashe-Arena auch der favorisierte 206-Zentimeter-Riese Isner zu spüren. Denn Kohlschreiber ließ sich weder durch die lautstarke Anfeuerung der Fans noch durch das anfängliche Aufschlaggewitter des immer etwas ungelenk wirkenden Schlacks beeindrucken. Und anders als in anderen wichtigen Spielen zeigte der deutsche Frontmann auch Nervenstärke bei den Big Points, schaltete sogar einen Gang höher, wenn es wirklich darauf ankam zu punkten. „Ich habe mich eisern durchgebissen“, sagte Kohlschreiber nach der überstandenen Marathon-Bewährungsprobe, einem harten Ausdauertest für Geist und Körper.

Am Ende des Thrillers auf dem Centre Court konnte sich Kohlschreiber in aller Ruhe den nervlichen Einbruch und den sportlichen Absturz Isners betrachten – des Mannes, auf dem die größten amerikanischen Hoffnungen beim letzten Major-Turnier der Saison 2012 geruht hatten. Als Isner nach einem fatalen Punktverlust zu Beginn des fünften Satzes einen Ball wutentbrannt weit auf die Zuschauerränge feuerte, kassierte er vom brasilianischen Schiedsrichter Carlos Bernardes zunächst eine Verwarnung. Wenig später steckte er sogar einen Punktabzug ein, weil er unter den Augen des Referees, auf dem Pausenstuhl sitzend, einen seiner Schläger zertrümmert hatte. „Ich fühle mich einfach nur beschissen. Ich hab´ dieses Spiel noch aus den Händen gegeben“, sagte Isner später mit Leichenbittermiene. Kurios genug: Bei allen vier Grand-Slam-Turnieren dieser Saison war der Kalifornier nun in Fünfsatzmatches ausgeschieden, jener Isner, der vor zwei Jahren und zwei Monaten in Wimbledon gemeinsam mit dem FranzosenNicolas Mahutdas längste Spiel aller Zeiten bestritten hatte (70:68 im fünften Satz).

Kohlschreiber kann auf Fitness vertrauen

Mit Mut, Mumm und Courage hatte Kohlschreiber so zum zweiten Mal binnen 48 Stunden eine brenzlige Grand-Slam-Situation gelöst. In der zweiten US-Open-Runde hatte er gegen den FranzosenBenoit Paire5:6 im fünften Satz zurückgelegen, die Partie dann aber noch umgebogen mit einem Break zum 6:6 und dem Sieg in der finalen Glückslotterie des Tiebreak.„Es ist im Moment so, dass ich immer an meine Chance glaube. Auch wenn ich mal in Rückstand liege“, sagte Kohlschreiber, „ich kann da auch auf meine gute Fitness vertrauen.“ Aber eben auch auf bessere Nerven in zugespitzter Situation. Und auf die Qualität, sein bestes Tennis unbedingt dann zu zeigen, wenn es dringend nötig ist.

Und wo es nötig ist. Nämlich vor allem bei den überragenden Grand-Slam-Turnieren, die den Stellenwert der Profis in der Hackordnung definieren. „Hier kannst du dir mit guten Resultaten am meisten Respekt verschaffen“, sagt Kohlschreiber. Zum Glück ist er bei den US Open da noch in einem laufenden Prozess, in einer Mission, die am Dienstag gegen Tipsarevic noch keineswegs vorüber sein muss.(Foto: Jürgen Hasenkopf)

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Montag
03.09.2012, 11:18 Uhr