"Ich bezeichne es eher als eine kleine Talfahrt"

Der Augsburger spricht im Interview über die Gerry Weber Open in Halle, seinen neuen Trainer und das Gemeinschaftsgefühl der deutschen Davis-Cup-Spieler.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 03.06.2011, 10:23 Uhr

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Herr Kohlschreiber, Ihnen wird derzeit eine Krise nachgesagt. Wie sehen Sie Ihre momentane Situation?

„Das ist richtig, die letzten Wochen liefen nicht so erfolgreich wie ich es mir gewünscht hätte, aber von einer Krise zu sprechen, halte ich für völlig übertrieben. Ich würde es eher als eine ‚kleine Talfahrt‘ bezeichnen. Aber jedes Mal, wenn ich hier nach Halle komme und zum ersten Mal den Rasen sehe, dann lache ich innerlich und freue mich auf das Turnier. Daher kommen die Gerry Weber Open genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe gute Erinnerung an das Turnier und fühlte mich stets sehr willkommen und gut aufgehoben. Außerdem habe ich hier immer ordentlich gespielt, von daher wird es jetzt Zeit, unter diesen optimalen Umständen die Stufen wieder hinaufzusteigen.“

Was haben Sie gemacht, seit Sie bei den French Open ausgeschieden sind?

„Bis gestern hatte ich keinen Schläger mehr in der Hand. Ich habe etwas Abstand zum Tennis genommen und habe mir Gedanken über mich selber gemacht. Aber nun steht ein neues Turnier vor der Tür mit neuem Belag. Halle kommt für mich zum perfekten Zeitpunkt, die Stufen aus der ‚kleinen Talfahrt‘ wieder hinauf zu klettern. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich mir selbst einen zu großen Druck auferlegt habe, zu viel auf einmal wollte. Der Abstand hat mir die Lust zu spielen, wieder gebracht und ich glaube, dass ich jetzt entkrampfter agieren kann.“

Sie wurden bei Ihren fünf Teilnahmen bei den Gerry Weber Open immer durch „Große“ gestoppt. Letztes Jahr im Viertelfinale und 2008 im Finale durch Roger Federer, 2009 im Halbfinale durch Tommy Haas.

„Das ist leider richtig. Die Gerry Weber Open glänzen jedes Jahr durch Topstars. Einerseits ist das toll für das Turnier, es spricht für die Professionalität der Veranstaltung. Roger zum Beispiel, ist aber als harte Konkurrenz natürlich nicht so toll für mich, aber menschlich gesehen, freue ich mich immer darauf, ihn zu treffen. Er ist einfach ein Vorbild, wie er mit den Medien und mit den Fans umgeht und nicht zuletzt natürlich auch, wie er spielt.“

Sie haben einen neuen Trainer. Was ist nun anders?

„Der Hintergrund war, dass ich vom bayrischen Tennisverband weggegangen bin, um alles selber zu managen und in die Hand zu nehmen. Mit meinem Management habe ich dann nach einem neuen Trainer gesucht und nachdem Andy Murray sich von Miles Maclagan getrennt hat, war dieser auch auf der Suche und so kam der Kontakt zustande. Seit Oktober letzten Jahres fährt er nun mit auf die Turniere. Ich bin sehr damit zufrieden, wie wir trainieren. Meine ‚kleine Talfahrt‘ ist mit Sicherheit auch nicht durch den neuen Trainer zu begründen, ich habe mich einfach selbst zu sehr unter Druck gesetzt. Ich wollte den Erfolg herbei zwingen, stattdessen hat es mich eher gehemmt und mir ein bisschen den Spaß am Spielen genommen. Dies zu erkennen und den Spaß auf dem Platz wieder zu finden, ist gerade wichtig.“

Hat Miles Maclagan zudem etwas an Ihrer Technik verändert?

„Technisch wurde nicht viel geändert, wir haben einfach am Schlagpotential gearbeitet, ich spiele mittlerweile einen ganz guten Slice. Das ist wichtig, weil die Gegner immer größer werden, da ist ein flacher Ball sehr gut. Wir versuchen, die Vorhand aggressiver ins Spiel zu bringen, um auch näher ans Netz zu kommen. Auf Sand sieht das etwas anders aus, aber auf dem schnellen Rasen will ich wieder zu alter Stärke zurück finden.“

Sie sind nicht mehr die Nummer eins in Deutschland. Ist das tragisch für Sie?

„Das ist im Sport nun einmal so. Natürlich ist es schön, sagen zu können, dass man der beste Tennisspieler in Deutschland ist. Aber Florian Mayer hat einfach ganz stark gespielt in letzter Zeit, von daher muss ich mich fair geschlagen geben. Ich nehme es als Anreiz, den Flo zu jagen.“

Sie wirken wie ein Spieler mit zwei Gesichtern. Im Team läuft es sehr gut, beim Davis Cup in das Viertelfinale eingezogen und Mannschafts-Weltmeister geworden. Warum läuft es als Individualist nicht genau so?

„Das hat stark mit dem Selbstvertrauen zu tun. Ich stand in letzter Zeit in der ersten und zweiten Runde drei Top-Ten-Spielern gegenüber. Das war eine harte Auslosung. Eigentlich habe ich immer gut gespielt, aber wenn man dennoch immer verliert, nagt das am Selbstvertrauen. Im Team läuft es besser, weil Florian Mayer zum Beispiel mit großem Selbstvertrauen gestartet ist, auch Philipp Petzschner hatte nach seiner Verletzungspause ein gutes Comeback. Ich habe dort zwar nicht jedes Match gewinnen können, aber trotzdem wird man dann vom Team mitgezogen, das gibt Kraft.“

Das deutsche Team wird nach den Erfolgen beim Davis Cup und World Team Cup als neue nationale Garde angesehen. Wie sehen Sie das?

„Uns wird manchmal unterstellt, dass die gute Stimmung nur gespielt ist. Das ist aber nicht so, jeder springt für den anderen ein, wir sind eine starke Gemeinschaft und niemand tritt mit Starallüren auf. Wenn man gemeinsam für ein Ziel kämpft, schweißt das zusammen. Wir kennen uns schließlich auch schon lange. Das ist auch die Philosophie von Patrik Kühnen. Der Umgang ist immer ehrlich und respektvoll, schließlich hat man auch eine Vorbildfunktion.“

Es stehen nun drei wichtige Turniere an. Die Gerry Weber Open, Wimbledon und die Davis Cup-Viertelfinalpartie gegen Frankreich. Wie sieht Ihre persönliche Rangfolge aus?

„Im Tennis gibt es da keine Reihenfolge. Wir sind Profis, ich denke die beste Vorbereitung sieht so aus, dass man bei jedem Turnier Vollgas gibt. Man sollte jede Woche für sich sehen und versuchen, diese optimal zu nutzen und zu gestalten.“

Interview: Gerry Weber Open; Foto: Jürgen Hasenkopf

von tennisnet.com

Freitag
03.06.2011, 10:23 Uhr