Das Ende des Teamchefs lässt nur Verlierer zurück

Und ein Plan B scheint beim Deutschen Tennis Bund nach dem Abgang des Kapitäns zudem nicht vorhanden zu sein.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 31.10.2012, 14:47 Uhr

Von Jörg Allmeroth

Als Patrik Kühnen im Mai von seiner eigenen Tennis-Mannschaft beim Düsseldorfer World Team Cup als Chef abgesetzt wurde, da setzte sofort das große Palaver des Beschwichtigens und Kleinredens ein. Es war die übliche Verschleierungsmasche im deutschen Herrentennis, eine Tarn- und Täuschaktion auf ziemlich bescheidenem Niveau, die letztlich eines nicht verdecken konnte: Die Angeschlagenheit von Kühnen, das übersteigerte Selbstbewusstsein der deutschen Spitzenprofis, die Intrigenspiele von Agenten und Beratern – und die Orientierungs- und Konzeptlosigkeit der wichtigsten deutschen Tennisfunktionäre.

Kurz vor dem Ende einer Saison der Unerfreulichkeiten, Misstöne und lähmenden Selbstbespiegelung ist Kühnen an diesem Mittwoch nun selbst von seinem Amt als Davis-Cup-Beauftragter zurückgetreten. Es ist eine Demission, die auch jetzt, an diesem letzten Oktobertag des Jahres 2012, rund zehn Jahre nach seinem Amtsantritt, nur Verlierer im nationalen Herrentennis zurücklässt. Da wäre zunächst der zermürbte, zuletzt sogar gemobbte Kühnen, der sich zwar noch ein wenig Selbstachtung bewahrte mit dem Abgang vor einer möglichen Kündigung durch seinen erstaunlich wetterwendischen Arbeitgeber DTB. Der aber ohne Zweifel den Moment des logischen Absprungs verpasste, als ihm seine Profis öffentlich das Misstrauen aussprachen rund um die ATP-Mannschafts-WM im Rochusclub. „In den vergangenen Wochen habe ich den Eindruck gewonnen, dass mir die nötige Unterstützung und Rückendeckung des DTB fehlt“, erklärt Kühnen in seinem Rücktrittsbrief, „ich sehe deshalb keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit und beende die Gespräche über die Fortsetzung meiner Tätigkeit mit dem DTB.“ Nichts anderes hätte er – mit Bezug auf seine abtrünnigen Spieler – aber auch schon im Unruhe-Frühling formulieren können.

Kühnen kein schuldloses Opfer

Man muss Kühnen in dieser letzten Aufführung des deutschen Tennis-Intrigantenstadls keineswegs als schuldloses Opfer sehen, dazu ist unter seiner Regie in den letzten Jahren zu viel unerledigt geblieben oder schlicht falsch gelaufen – eine Aufbauleistung wie etwa seine Kollegin Barbara Rittner konnte der 46-jährige Saarländer nicht vorzeigen, der seinen Teilzeit-Job beim Verband zu sehr als Gelegenheitsbeschäftigung betrachtete und außerhalb von Grand-Slam-Beobachtungen, Turnier- und Davis-Cup-Wochen einfach nicht ausreichend Präsenz und Energie als Amtsinhaber zeigte. Landesfürsten des DTB nahmen Kühnen schon seit einiger Zeit übel, dass er, so einer der Bosse, „mehr an sich selbst als an die Sache dachte.“ Wie üblich wurde der Unmut nur an Hotelbars oder bei Funktionärstreffen geäußert, aber Kühnen selbst nie ins Gesicht gesagt.

Dass sie nun allesamt mal wieder am Nullpunkt stehen im deutschen Herrentennis, ist keinem jähen Schadensereignis zuzuschreiben – die Misere hat sich über Jahre genauso sehr aufgebaut wie im deutschen Damentennis die Erfolgsstory. Das neue DTB-Präsidium unter dem Banker Karl-Georg Altenburg hätte vor einem Jahr – bei dem Umsturz in Berlin – ein Zeichen setzen können und müssen – indem es Kühnen endlich als ordentlich bezahlten Vollzeit-Coach installiert und gleichzeitig zum Verzicht auf alle Nebenbeschäftigungen und damit auch Nebengedanken aufgefordert hätte. Doch es geschah, wie an so vielen anderen Fronten – nichts. Kühnen blieb Turnierdirektor in München, er gab auch weiter Lehrgänge, indes als Privatmann für Kunden von Werbepartnern und nicht etwa für deutsche Juniorenspieler. Das hatte der ehemalige Davis-Cup-Spieler Alexander Waske zuletzt ziemlich unverblümt angesprochen, indem er darauf hinwies, in seinem Amtsverständnis müsse ein Teamchef „die Qualifikationen von Grand-Slam-Turnieren besuchen und später auch da bleiben, wenn die Junioren beginnen.“

Forderte DTB Spieler zur Abstimmung auf?

Die Neuen beim DTB, darunter auch Spezi Charly Steeb, der Vizepräsident Sport, schenkten Kühnen billiges Vertrauen und ließen ihn einfach gewähren. Niemals kam einer der Häuptlinge wirklich seiner Aufsichtspflicht nach – nicht nach der Bamberger Stunk-Sitzung im Davis Cup im Februar, nach der sich Kühnen, Haas und Kohlschreiber in die Haare gerieten. Nicht nach dem öffentlichen Streit und Hader beim World Team Cup. Nicht nach den Olympia-Turbulenzen mit den Absagen der Topleute Kohlschreiber und Mayer. Und auch nicht nach dem glücklich vermiedenen Abstieg im September in Hamburg. Dort klatschte die DTB-Spitze im Pressekonferenz-Raum, als Kühnen von der vollendeten Harmonie im Team sprach.

Boss Altenburg prägte damals am Rothenbaum eine Formel, an die er nun, nicht einmal sechs Wochen später, sicher nicht so gern erinnert werden möchte: „Die Vertragsverlängerung mit Patrik Kühnen ist nur eine Formsache.“ Am Mittwoch ließ er in einem Statement ungerührt verkünden, in Gesprächen mit Kühnen und den Spielern sei klargeworden, „dass ein Neuanfang die beste Lösung für das deutsche Tennis ist.“ Fassungslos registrierten Szenebeobachter in diesem Zusammenhang Meldungen, wonach der DTB die Topspieler zu einer Art Abstimmung über Kühnen in Paris aufgefordert haben soll. „Wenn ich als Präsidium dazu keine eigene Meinung und kein Personalkonzept habe, dann gute Nacht“, sagt ein ehemaliger Verbands-Spitzenmann aus der süddeutschen Provinz, „wie kann ich allen Ernstes einen Kohlschreiber fragen, was er von Kühnen hält?“.

Profis im Schlaraffenland

Womit man schon bei den letzten, ziemlich großen Verlierern in diesem Ränkespiel wäre – den deutschen Herrenprofis. Sie müssen sich wie im Schlaraffenland der Demokratie und Liberalität und Selbstbestimmung vorkommen. Sie setzen Teamchefs vorübergehend ab, melden sich von Olympischen Spielen wegen anderer Turnierpläne oder wegen jäher Verletzungen (per Video) ab, zwingen schließlich ihren Anführer Kühnen zum Rücktritt, treten in die Öffentlichkeit mit beschämenden Petitessen (E-Mail-Verkehr) und sehen sich natürlich stets im Recht. Wie sie landauf, landab inzwischen beim Publikum wahrgenommen werden, welche Auswirkungen das alles auf noch gut funktionierende Turniere hat, scheint sie und ihre Einflüsterer nicht wirklich zu interessieren. Statt erst einmal zu schweigen, ließ sich Kohlschreiber am Tag von Kühnens Ende zu der vergifteten Bemerkung hinreißen: „Ich kann die Entscheidung von Patrik nachvollziehen und verstehen.“

Ein Plan B sei nicht vorhanden, hatte DTB-Sprecher Oliver Quante noch vor Kühnens Rücktritt erklärt. Das wunderte niemanden. Aber es gibt durchaus Kandidaten, die in Frage kämen: Nicolas Kiefer, Alexander Waske. Aber auch und vor allem einer, der gerade seine aktive Karriere beendet hat: Rainer Schüttler.(Foto: Jürgen Hasenkopf)

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Mittwoch
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