Leandro Riedi: „Die Qualifikation für Wimbledon ist so unglaublich emotional für mich“
Nach sportlichen Rückschlägen und zwei Knie-Operationen im letzten Jahr startete Leandro Riedi bei seinem dritten Turnierstart nach seinem Comeback in der Qualifikation für Wimbledon – und spielte sich mit drei Siegen ins Hauptfeld. Im tennisnet-Interview spricht der Schweizer unter anderem über seine Leidenszeit, seinen fast gleichaltrigen Coach und seine Ziele.
von Dietmar Kaspar
zuletzt bearbeitet:
28.06.2025, 12:17 Uhr

Von Dietmar Kaspar aus Roehampton
Die Höhen und Tiefen eines Tennisprofis könnten innerhalb eines Jahres kaum so komprimiert dargestellt werden, wie das bei dem Schweizer Leandro Riedi der Fall war. Im vergangenen Jahr führte der 23-jährige in der Finalrunde der Qualifikation in Wimbledon gegen den Australier Alex Bolt mit 2:0 Sätzen und stand mit Matchball ganz dicht vor seiner ersten Hauptfeld-Teilnahme bei einem Major-Turnier. Auf dramatische Art und Weise musste er das Match noch abgeben. Bei der Qualifikation für die US Open musste er in der zweiten Runde gegen seinen Landsmann Jerome Kym aufgeben und sich einer Knie-Operation unterziehen. Als er zum Training wieder auf dem Platz stand, verletzte er sich erneut am Knie, was eine weitere Operation und eine erneute, mehrmonatige Pause nötig machte. Umso beeindruckender seine ersten Turnierauftritte nach der Verletzungsmisere. Beim Challenger im portugiesischen Oeiras spielte er sich gleich erfolgreich durch die Qualifikation, gefolgt von der Viertelfinal-Teilnahme beim traditionellen Rasen-Challenger in Ilkley. Nach seinen drei Siegen in Roehampton, die seine erste Teilnahme bei einem Major bedeutet, stellte sich der Weltranglisten-506. dem exklusiven tennisnet-Interview.
tennisnet: Leandro, du hast hier in London gerade deine erste Hauptfeld-Teilnahme bei einem Grand-Slam-Turnier fixiert. Kannst du deine Freude darüber schon in Worte fassen?
Leandro Riedi: „Ich kann es noch gar nicht glauben, denn es ist gerade auch im Hinblick auf meine zwei Knie-Operationen schon eine ganz besondere Geschichte. Im Moment ist es unglaublich emotional für mich, dies bei meinem ersten Grand-Slam-Turnier nach der langen Pause geschafft zu haben. Zudem ist Wimbledon mein absolutes Lieblingsturnier und es gerade dort zum ersten Mal zu schaffen, bedeutet mir unendlich viel.
„Das Selbstvertrauen habe ich mir hart erarbeitet“
tennisnet: Im zweiten Match gegen den Argentinier Gomez hast du beim Stand von 8:8 im Match-Tiebreak einen fantastischen Vorhand-Return-Winner ins Feld gehämmert, in der Finalrunde gegen den Schotten Stewart hast du das Match nach einer Regenunterbrechung mit einem 7:0-Lauf beendet. Spricht das für komplett zurückgekehrtes Selbstvertrauen?
Gegen Gomez war es ein unglaublich enges Match und diesen Return bei diesem Spielstand zu treffen ist vielleicht schon auch etwas Glück, aber das habe ich mir hart erarbeitet. Gegen Stewart habe ich mich in der Regenpause mit meinem Coach nochmal intensiv ausgetauscht und mich bestmöglich auf die Wiederaufnahme vorbereitet. Der Start mit dem perfekt zu Ende gespielten Aufschlagspiel hat mir dann das Selbstvertrauen gegeben, bei seinem Aufschlag zuzupacken und konnte die Begegnung dann lustigerweise mit einem erneuten Return-Winner beenden.
In der Finalrunde hast du auf dem zweitgrößten Show-Court in Roehampton gespielt, noch dazu gegen einen Briten, dem die Unterstützung des heimischen Publikums sicher war. War das schon eine willkommene Vorbereitung auf das, was dich auf der Hauptanlage im Hauptfeld erwarten wird?
Es macht natürlich immer großen Spaß, vor vielen Zuschauern zu spielen und das ist ja auch einer der Gründe, warum man den Profisport ausübt. Ich konnte auch die Unterstützung meines Gegners genießen, da das Publikum trotzdem sehr fair war und eine ganz besondere Atmosphäre geboten hat. Auch beim Hauptturnier ist alles möglich und man muss einfach abwarten, ob man ein Match auf den Nebencourts oder in einer der großen Arenen bekommt.
Noch einmal zurück ins letzte Jahr, als du hier gegen Alex Bolt das Match in der Finalrunde größtenteils dominiert hattest und dich trotz Matchball noch geschlagen geben musstest. Wie lange hast du an dieser Niederlage geknabbert?
Es hat schon ein bis zwei Wochen gedauert, bis ich die Niederlage gedanklich abgearbeitet hatte. Man muss aber auch sagen, dass er es dann einfach auch gut gespielt hatte. Lustigerweise habe ich Alex direkt vor der Qualifikation getroffen und wir waren beide nicht unfroh, in diesem Jahr in der Quali nicht aufeinanderzutreffen. Nach meinem letzten Match habe ich ihn wieder in der Umkleide getroffen und wir haben uns gutgelaunt gegenseitig zum Einzug ins Hauptfeld gratuliert.
„Natürlich stellt man sich bei solchen Verletzungen auch mal die Sinnfrage“
Du hattest im vergangenen Jahr zwei Operationen am Knie. Wie hattest du das angenommen und gab es deinerseits auch Zweifel, überhaupt wieder auf die Tour zurückzukehren?
Im September hatte ich die erste OP nach der Verletzung am Knie mit Knochenabriss und Sehnenriss, da waren mindestens sechs Monate Turnier-Pause zu veranschlagen. Nach fünf Monaten war ich dann wieder zurück auf dem Trainingsplatz und hatte mir das Knie verdreht, wodurch der Innenmeniskus gerissen ist. Das musste man in einer weiteren Operation zusammennähen, was eine weitere Pause von drei bis vier Monaten mit sich brachte. Mit harter Arbeit konnte ich es dank meines Physio-Teams wieder zurückschaffen und dass es hier dann gleich so gut klappt, war absolut nicht zu erwarten. Natürlich gab es gedanklich auch mal kurze Phasen, in denen man sich die Sinnfrage bezüglich des weiteren Profisports stellt. Aber nachdem die Arbeit in der Reha so top gelaufen ist, ist das Vertrauen in meinem Körper und der Ehrgeiz schnell wieder zurückgekehrt.
Du warst bislang immer bei Swiss Tennis in Biel zugange. Hast du auch dort deine Reha-Maßnahmen durchgezogen?
Ich bin immer noch bei Swiss Tennis aktiv. In Sachen Reha und Physio bin ich aber zusätzlich zu Stephan Meyer ins Swiss Olympic Medical Center nach Magglingen gewechselt, dass etwa 10 Minuten von Swiss Tennis in Biel entfernt ist. Er ist ein unglaublich guter Physio, zudem haben sie dort gerade auch im Reha-Bereich noch zusätzliche Möglichkeiten, die ich dort perfekt nutzen konnte.
„Yannik ist für mich die perfekte Kombination aus Buddy und Coach“
Dein Coach Yannik Steinegger ist mit 24 Jahren gerade mal ein Jahr älter als du und hat seine eigene Karriere erst im vergangenen Jahr beendet. Welche Vorteile siehst du in dieser Wahl?
Mit Yannik war es von Beginn an ein gewisses Buddy-Feeling, da wir uns sofort richtig gut verstanden haben. Ich bewundere ihn sehr, was er für sein Alter schon für ein Gefühl hat und was er bereits alles über Tennis weiß. Er ist unglaublich wissbegierig und tauscht sich viel mit älteren Tennis-Coaches aus, um von deren Erfahrung zu profitieren. Wir haben sofort einen perfekten Draht zueinander gefunden. Trotz seiner damals noch aktiven Karriere haben wir es einfach mal ausprobiert und sofort festgestellt, dass es richtig gut funktioniert. Wir können den freundschaftlichen und sportlichen Aspekt sehr gut auseinanderhalten, weshalb es aufgrund von sportlichen Enttäuschungen noch nie zu nachhaltigen Konflikten gekommen ist. Ich bin sehr dankbar, dass er sich trotz seiner eigenen Spielerkarriere dafür entschieden hat, komplett mit mir zu arbeiten und bin auch sehr stolz auf ihn, dass er das für mich so perfekt macht.
Abgesehen davon, dass du natürlich noch möglichst lange in Wimbledon verbleiben möchtest, wie sieht deine weitere Turnierplanung in den nächsten Wochen aus?
Nach Wimbledon plane ich schon direkt für die Hard-Court-Saison in Amerika, möchte da im Vorfeld der US Open auch einige Challenger bestreiten, um bestmöglich für das letzte Grand-Slam-Turnier des Jahres vorbereitet zu sein.
Welche Ziele setzt du dir noch bis zum Saisonende?
Mein Ziel ist es einfach, körperlich fit zu sein, um die Turniere der Reihe nach durchspielen zu können. Es benötigt einfach Zeit, das komplette Vertrauen in seinen Körper aufzubauen, gerade wenn man zehn Monate kein Turnier gespielt hat. Matchpraxis kann man einfach nicht ersetzen. Umso glücklicher bin ich, dass ich bei meinen ersten drei Turnieren bereits zehn Matches bestreiten konnte. Auf die Weltrangliste schaue ich gerade noch nicht so sehr, zum Glück kann ich noch einige Male auf mein Protected Ranking zurückgreifen, was einem bei der Rückkehr schon eine große Hilfe ist.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die nächsten Aufgaben
Hier das Qualifikations-Tableau aus Wimbledon