Marin Cilic im Interview: "Das Preisgeld müsste viel gerechter verteilt werden"

Marin Cilic erfüllte sich 2014 mit dem Sieg bei den US Open seinen Traum vom Grand-Slam-Triumph. Im Exklusiv-Interview mit tennisnet spricht der Kroate über das Gefühl nach diesem Sieg, die aktuelle Konstellation auf der ATP-Tour und die Preisgeldverteilung im Tennissport.

von Nikolaus Fink
zuletzt bearbeitet: 09.02.2022, 20:11 Uhr

Marin Cilic peilt einen weiteren Grand-Slam-Titel an
© Getty Images
Marin Cilic peilt einen weiteren Grand-Slam-Titel an

Herr Cilic, Sie haben zu Saisonbeginn in Adelaide zweimal das Halbfinale sowie bei den Australian Open das Achtelfinale erreicht. Wie bewerten Sie Ihren Saisonstart?

Sehr positiv. Ich habe viele Matches gehabt, einige davon - insbesondere bei den Australian Open - waren auch sehr gut. Andrey Rublev in der dritten Runde zu schlagen und gegen Felix Auger-Aliassime gut mitgespielt zu haben, zeigt mir, dass ich sehr nahe am Niveau der Top Ten bin und sie an manchen Tagen auch schlagen kann. Das ist ein großartiges Zeichen. Ich habe die gute Form aus dem Herbst des vergangenen Jahres in die neue Saison transportiert. Jetzt wird es darum gehen, im weiteren Saisonverlauf darauf aufzubauen.

Sie haben das Drittrundenmatch gegen Rublev bei den Australian Open angesprochen. Sind das die Partien, die Sie in dieser Phase Ihrer Karriere noch motivieren?

Ich würde eher sagen, dass ich die Motivation daraus ziehe, in meinem Spiel immer noch Verbesserungspotential zu sehen. Durch den Umbau meines Teams in den vergangenen Monaten habe ich neue Energie bekommen (Anm.: Cilic trennte sich 2021 von Trainer Vedran Martic und seinem Fitnesscoach Slaven Hrvoj, aktuell wird er von Vilim Visak betreut). In den Matches gegen die besten Spieler der Welt kann ich dann auch zeigen, wo ich stehe. Das ist für mich die größte Herausforderung. Denn sie heben ihr Niveau an, wenn ich mein bestes Tennis spiele. Natürlich ist auch das sehr motivierend.

Im Herrentennis gibt es aktuell eine interessante Konstellation: Rafael Nadal hat die Australian Open gewonnen, Novak Djokovic ist immer noch Weltranglistenerster. Gleichzeitig setzen sich jüngere Spieler wie Daniil Medvedev, Alexander Zverev und Stefanos Tsitsipas in der Weltspitze fest. Wie sehen Sie Ihre Position angesichts diesers Ausgangslage Ihre Position?

Grundsätzlich ist das sehr erfrischend. Als ich auf die Tour kam, gab es so viele unglaubliche Spieler. Dann kam ein kleiner Bruch. Jetzt zeigen die jüngeren Spieler, wie unglaublich gut sie sind und wie sie das auf dem Platz umsetzen wollen. Für alle Fans und Spieler ist das eine sehr spannende Situation. Natürlich kommen immer mehr junge Spieler in den oberen Regionen der Weltrangliste an. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die ältere Generation dazu gezwungen wird, sich nach wie vor zu verbessern. Das ist ein ständiger Kampf für alle.

Sie haben 2014 nach einem Sensationslauf die US Open gewonnen. Sind die Grand Slams für Sie nach wie vor der größte Anreiz oder gibt es andere Ziele, die Sie in Ihrer Karriere noch unbedingt erreichen wollen?

Ich habe bei den US Open gesehen, wie viel mir das bedeutet hat. Wenn ich darauf zurückblicke, denke ich mir nur: Wow, das war unglaublich. Ich will das noch einmal haben. Daher will ich definitiv noch einen weiteren Grand-Slam-Titel gewinnen. Wer weiß, ob mir das dabei helfen würde, noch mehr zu erreichen? Daran arbeite ich aktuell. Ich will mich nicht nur ständig verbessern, sondern setze mir auch konkrete Ziele. Ich will das Niveau für einen Grand-Slam-Sieg erreichen. Deswegen arbeite ich jeden Tag.

Sie haben bei jedem Grand-Slam-Turnier außer den French Open das Finale erreicht. Steht das noch auf Ihrer To-do-Liste?

Ich habe dort sogar noch nie das Halbfinale erreicht. 2018 habe ich während des Turniers gespürt, dass meine Form auf dem absoluten Höhepunkt war. So gut habe ich auf Sand noch nie gespielt (Anm.: Cilic verlor gegen im Viertelfinale gegen Juan Martin del Potro). Ich würde nicht ausschließen, dass ich es noch einmal in diese Turnierphase schaffen kann. Klar ist aber, dass die French Open angesichts meines Spielstils das schwierigste Grand-Slam-Turnier für mich sind. Manchmal sind die Bedingungen für mich nicht ideal. Ich mag es nicht, wenn es nass und kalt ist und die Bälle sehr langsam sind. Daher hoffe ich in diesem Jahr auf sonnige Tage. Dann wäre sicherlich ein großartiger Lauf möglich.

Einen großartigen Lauf hatten Sie mit Kroatien 2018 im Davis Cup. Wie hat sich das kroatische Tennis seit diesem Triumph entwickelt?

Leider nicht so gut wie erhofft. Wenn ich mit den Trainern hierzulande rede, sagen sie mir, dass viele Kinder das Interesse am Tennissport verlieren. Im Alter von zehn oder elf Jahren hätten wie eigentlich genügend Kinder, danach können wir sie aber nicht an den Sport binden. Es ist schwer zu sagen, warum das so ist. Vielleicht liegt es an der Vielzahl der Sportarten. Leider haben wir nicht so viele Spieler, die an großen Turnieren teilnehmen. Auf der anderen Seite war es bei den diesjährigen Australian Open so, dass wieder mehr kroatische Jugendspieler am Start waren. Petra Marčinko hat bei den Juniorinnen sogar gewonnen. Da kommt schon eine gute Generation nach. Trotzdem ist es so, dass uns eine große Gruppe an Spielern abgeht. Hoffentlich kommt das noch.

Hat das auch damit zu tun, dass nur sehr wenige Spieler vom Tennissport leben können? Wie bewerten Sie die finanzielle Situation für Spieler, die außerhalb der Top 100 stehen?

Ich will keinen kritisieren, weil vor allem die ATP sehr viel in diese Richtung unternimmt. Da wurde auch ein guter Job gemacht. Am Ende des Tages ist es aber so, dass ein großer Teil des Preisgelds von den Grand-Slam-Turnieren kommt. Wenn von diesem Geld nicht ein gewisser Prozentsatz an Challenger-Events und Spieler außerhalb der Top 100 geht, wird es im Tennis keine Weiterentwicklung geben. Für mich ist das desaströs. Ich bin seit 2006 auf der Tour: Das Preisgeld hat sich erhöht und die Spieler verdienen jetzt mehr, aber im Endeffekt sind es immer noch die Top 100, die sich mit diesem Geld ihr Leben finanzieren können. Für Spieler um Weltranglistenposition 150 ist es schwer, sich einen Tennistrainer, einen Fitnesscoach und einen Physiotherapeuten leisten zu können. Das braucht man aber, um Erfolg zu haben. In dieser Hinsicht bin ich sehr sozialistisch. Das Preisgeld müsste viel gerechter verteilt werden, um Spielern bessere Verdienstmöglichkeiten zu geben. Wir als Tennis-Gemeinschaft bringen den Spielern außerhalb der Top 100 nicht genug Wertschätzung entgegen. Das muss sich ändern. 

Zum Abschluss eine etwas persönlichere Frage: Sie haben im vergangenen Jahr vor den Augen Ihres Sohnes in Stuttgart gewonnen, mittlerweile haben Sie bereits zwei Söhne. Wie darf man sich das Tour-Leben als Vater vorstellen?

In Stuttgart war das damals eine lustige Geschichte: Wegen Corona war ich lange von meiner Familie getrennt und nachdem ich bei den French Open in der zweiten Runde gegen Roger Federer verloren hatte, habe ich mit meiner Frau gesprochen. Sie hat vorgeschlagen, dass sie gemeinsam mit unserem Sohn doch nach Stuttgart kommen könnte - und dann habe ich das Turnier gewonnen. Das war eine unglaubliche Zeit. Natürlich benötigt man viel Energie für Kinder, aber sie lenken dich auch vom Tennissport ab. Das ist in jedem Job wichtig. Man braucht das, um nicht die ganze Zeit auf seine Arbeit fokussiert zu sein. Ich kann mich so entspannen und einfach eine gute Zeit abseits meines Berufs haben. Wenn man eine gute Balance findet, ist das eine großartige Kombination. 

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Zverev Alexander
Federer Roger
Nadal Rafael
Djokovic Novak
Tsitsipas Stefanos
Cilic Marin
Medvedev Daniil
Rublev Andrey
Auger-Aliassime Félix

von Nikolaus Fink

Mittwoch
09.02.2022, 19:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 09.02.2022, 20:11 Uhr

Verpasse keine News!
Aktiviere die Benachrichtigungen:
Zverev Alexander
Federer Roger
Nadal Rafael
Djokovic Novak
Tsitsipas Stefanos
Cilic Marin
Medvedev Daniil
Rublev Andrey
Auger-Aliassime Félix