„Da müsste ein Düsenjet vorbeifliegen, damit ich das wahrnehme“

Der Rottenmanner erzählte tennisnet.com wie es so ist, als Gehörloser Tennis zu spielen – und warum er seine Profikarriere beendet hat.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 28.10.2013, 12:53 Uhr

Wenn man es nicht weiß, würde man glauben, dass Mario Kargl ein Mensch wie jeder andere ist. Es gibt da aber doch einen kleinen Unterschied: Der Steirer kann nur durch ein Hörgerät einigermaßen hören. 18 Tage nach der Nuklearkatastrophe von Chernobyl geboren, kam der heute 27-Jährige als Gehörloser zur Welt. Und ist als solcher längst Österreichs klar bester Tennisspieler in seiner Klasse. Das bekam auch tennisnet.com-Chefredakteur Manuel Wachta Ende August beim AZ Herrenturnier 2013, ein ÖTV-Kategorie-VI-Turnier, am eigenen Leib zu spüren. Über das recht ernüchternde Resultat breitet die Redaktion lieber den Mantel des Schweigens, über das humorvolle Interview nach dem Spiel nicht. Kargl erzählte, wie es für ihn als Gehörloser ist – auf dem Platz und auch abseits des Liniengevierts. Und: Warum er seine internationale Karriere als Profi mittlerweile beenden musste.

Mario, hast du in einem Match schon mal weniger geschwitzt als gegen mich?

(Lacht)Es war eine gemütliche Partie, aber es hat sicher schon Partien gegeben, in denen ich weniger geschwitzt habe. Ich brauche ja nur leichte sportliche Betätigung, dann schwitze ich schon.

War die Dusche nach dem Spiel also immerhin notwendig?

Das war sie, weil ich gestunken hab.(lacht)Es war doch angenehmer so.

Anfang August vor dem Turnier hast du wohl auf jeden Fall wenig geschwitzt. Denn du hast keinen Schläger angerührt und deine Profi-Karriere beendet. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Ich habe im Winter sehr hart trainiert, aber der Körper hat mal da und mal dort gezwickt. Es war schwer, konsequent zu arbeiten und meine Ziele zu erreichen. Das war ausschlaggebend dafür, und ich habe zum Nachdenken angefangen, ob ich das noch will. Ende März, Anfang April bin ich zur Entscheidung gekommen, noch bis zu den Deaflympics(den Olympischen Spielen für Gehörlose; Anmerkung)zu spielen und sonst aber nur mehr nationale Turniere. Denn zu Futures zu reisen, war auch finanziell nicht mehr wirklich möglich.

Trotz der tollen Unterstützung deines Teams um Roland Berger und Werner Eschauer?

Ich habe den beiden wirklich sehr, sehr viel zu verdanken. Und vor allem meine Eltern haben mich auch immer unterstützt, die waren mein Hauptsponsor – neben der Sporthilfe Österreich. Aber es ist nicht mehr länger zu finanzieren gewesen.

Du hast dich im ITN heuer von 3,23 auf bis zu 2,25 gesteigert, nimmst in der ÖTV-Rangliste bereits Platz 30 ein. Ist es da nicht dennoch etwas paradox, just in deiner bisher besten Saison einen Schlussstrich zu ziehen?

Da ich wusste, dass das meine letzten Turniere als Profi werden, ist mir im Kopf der Knoten aufgegangen. Ich habe locker gespielt und die Matches auf dem Platz viel mehr genossen – das war der Unterschied zu davor. Sonst habe ich mir oftmals viel zu viel Druck gemacht. So sind heuer doch noch einige gute Erfolge zustande gekommen.

Deine Erfolge haben dir auch schon so einige Auszeichnungen eingebracht. Welche war für dich die schönste?

Der Bronzene Diskuswerfer, das ist die höchste steirische Sportauszeichnung. Ich bin dort gemeinsam mit dem Skispringer Wolfgang Loitzl geehrt worden, das war etwas ganz Tolles für mich, das mich sehr stolz macht. Das ist auch von den Gefühlen her unvergesslich. Und ich habe auch das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich aus den Händen von Bundespräsident Heinz Fischer erhalten, das ist schon was ganz Feines.

Bei den Deaflympics in Sofia hast du Anfang August die einzigen zwei Medaillen für Österreich überhaupt geholt: Bronze im Einzel und Doppel mit Robert Gravogl. Wo reiht sich dieser Erfolg ein?

Das ist schon ein schöner Erfolg, im Einzel wohl mein größter, auch wenn ich anfangs etwas enttäuscht war, da Gold mein Ziel gewesen ist. Ich habe aber nach kurzer Zeit schon gesehen: Ich habe nicht mein bestes Tennis gespielt und mit so viel Kampfgeist dennoch Bronze geholt – daher ist das für mich ganz oben einzureihen, zumal es anstrengend und hart war, der Level im Gehörlosentennis wird immer höher. Die Medaille im Doppel ist vor allem auch für Robert ein großartiger Erfolg.

Was würdest du Robert zutrauen, wenn er voll trainieren würde?

Robert hat sehr viel Potential. Aber da er arbeitet, ist es halt schwer, so viel zu trainieren. Vor allem im Kopf kann er noch viel machen, er ist ein bisschen ein Angsthase, wenn’s eng wird. Er muss versuchen, ohne zu viel nachzudenken, draufzuziehen.

Im Doppel hast du es 2011 in Budapest mit Lukas Weinhandl sogar mal in ein Future-Finale und in der Weltrangliste dadurch bis auf Platz 1262 geschafft. Wie nah hast du dich im Einzel deinem großen Ziel, den ersten ATP-Punkten, gefühlt?

Ich habe unzählige Male das Qualifikationsfinale erreicht, mich ein paar Mal fürs Hauptfeld qualifiziert. Ich habe aber gemerkt, dass das dort dann auch ein bisschen ein anderer Level ist. Ich habe alles gegeben, aber es hat leider nicht geklappt.

Wurmt dich das?

Jetzt nicht mehr. Aber es hat schon eine Zeit lang gedauert, das aus dem Kopf rauszubringen. Mittlerweile lache ich da drüber. Es hat viele geile Kämpfe, vor allem in Qualifikationsfinals, gegeben.

Apropos „geile Kämpfe“: Bei dir geht es ja auch auf dem Platz ziemlich emotional und oftmals lustig zu, oder?

Ja, ich habe schon so einige Auszucker bekommen!(lacht)Früher war ich ja ein bisschen ein Kasperl auf dem Platz, ich habe mir schon einige Dummheiten einfallen lassen. In den letzten Jahren haben mir meine Trainer aber eingeimpft, ernsthafter zu sein. Ich habe auch gemerkt, dass ich durch meine Blödeleien immer wieder viele Energien liegengelassen habe.

Du zählst auf jeden Fall längst zu den absolut Besten in deiner Klasse. Wie viele stärkere Gehörlosenspieler als dich gibt es noch?

Der Franzose Mikael Alix Laurent, der Ungar Gabor Mathe und ich sind sicherlich die drei stärksten Spieler im Gehörlosentennis. Bei uns entscheidet immer die Tagesverfassung und der Belag über das Ergebnis. Ich habe beide schon mehrmals geschlagen. Wenn wir bei einem Turnier aufeinandertreffen, gibt es Tennis auf seinem sehr hohen Niveau. Und es gibt auch noch einen Südkoreaner, der stark spielen sollte.

Der Südkoreaner, den du meinst, ist wohl Duck Hee Lee, ITF-Rang 26 und ATP-Platz 899, und das mit erst 15 Jahren. Auch mit Gehör würde man einen solchen Spieler als riesiges Talent bezeichnen. Wie kannst du dir so etwas überhaupt erklären?

Das ist schon Wahnsinn, eine unglaubliche Leistung mit 15 Jahren. Erst recht, weil ich selbst gesehen habe, wie schwer das ist. Ich weiß zwar nicht, ob der Level in Asien auch so hoch ist wie etwa in Europa, aber ich will das nicht schlechtreden. Er wird sehr hart und professionell trainieren.

Viele Fragen sich natürlich, wenn solche Leistungen möglich sind, wie stark man denn als Gehörloser durch das schlechte Hörvermögen wirklich beeinträchtigt ist.

Na ja, wenn ich auf dem Platz stehe, höre ich den Balltreffpunkt, aber das Meiste muss ich mit den Augen machen, viel mehr als andere. Und wenn ich so fokussiert aufs Schauen bin, höre ich gar nicht mehr zu. Weil ich besonders viel Konzentration brauche, geht damit dann auch schnell einmal bergab. Aber das ist nicht der einzige Nachteil. Vor allem muss ich viel mehr schauen und abwarten, wie mein Gegner denn jetzt diesen Schlag spielt, erst dann kann ich reagieren. Meine Reaktionszeit ist also viel kürzer.

Ein bisschen hörst du durch dein Hörgerät also doch.

Weil es die Töne verstärkt und an das Gehirn weiterleitet. Das Meiste lese ich aber von den Lippen ab. Ich höre ohne Hörgeräte nichts. Da müsste ein Düsenjet vorbeifliegen, damit ich das wahrnehmen kann.(lacht)

Dein Trainer Roland Berger hat es mal so beschrieben, dass es für einen Gehörlosen so sei, wie für einen normal Hörenden unter Wasser. Kann man das etwa so vergleichen?

Ja, das kann man wohl so vergleichen. Einige Leute haben es probiert, mit Kopfhörern oder Ohrenstöpseln zu spielen. Das ist ein ganz anderes Gefühl. Werner(Eschauer; Anmerkung)hat das auch mal versucht. Er hat auch gemerkt: Man muss viel mit den Augen machen, es ist viel anstrengender und man wird viel schneller mental müde.

Ist es für dich etwas leichter, weil du schon mit diesem Hörfehler geboren wurdest?

Ich habe nie wirklich drüber nachgedacht und es sofort akzeptiert, wie es ist. Ich war dann aber natürlich extrem glücklich, als ich Hörgeräte bekommen habe und erstmals etwas hören konnte. Viele merken es gar nicht, dass ich gehörlos bin. Ich habe auch eine normale Schule besucht. Und ich bin stolz darauf, es unter diesen Umständen so weit gebracht zu haben.

Wie sehr bist du dadurch im Alltag wirklich eingeschränkt?

Es gibt schon einige Sachen, die für mich schwerer zu hören sind.

Kannst du zum Beispiel gut Musik hören?

Musik ist absolut kein Problem. Manchmal nervt es halt andere, weil ich so laut aufdrehen muss!(lacht)Aber laute Musik hören, das pusht einen einfach.

Du bist ja ein sehr lustiger Typ. Das Party machen und Fortzugehen hast du dir durch dein Handicap sicher auch nicht verderben lassen, oder?

Ich gehe schon hin und wieder gerne einmal fort, aber mit der Zeit ist das weniger geworden, weil ich sie mehr ins Tennis reininvestiert habe. Jetzt kann ich also wieder ein bisschen mehr Party machen…(lacht)

Damit wird dein Alltag aber wohl künftig nicht ausgefüllt sein, oder?

(lacht)Nein, ich mache seit September eine Ausbildung zum medizinischen Masseur, genauer gesagt zum Sportmasseur und Physiotherapeuten. Durch meine vielen Verletzungen habe ich mit vielen Masseuren zusammengearbeitet. Weil man als Masseur eben viel mit Sportlern zu tun hat, habe ich gesehen, dass das auch für mich eine tolle Möglichkeit wäre. Durch meinen Hörverlust habe ich ja einen erhöhten Spürsinn, das ist als Masseur schon ein großer Vorteil.

Wird man dich dann künftig überhaupt noch bei Tennisturnieren sehen?

Ich werde auf jeden Fall weiterspielen, und wenn es mir die Zeit erlaubt, dann auch weiter bei Turnieren. Und dabei kämpfen wie immer.

Letzte Frage: Wie viel muss ich denn so trainieren, um dich mal zu schlagen? Lässt sich der Rückstand in diesem Leben noch aufholen?

So schnell werde ich nicht zurücktreten. Ich werde wohl weiter zwei bis drei Mal pro Woche trainieren. Durch meine so intensive Tätigkeit der letzten fünf Jahre wäre das schon beinharte Arbeit für dich…(schmunzelt) (Foto: GEPA pictures)

Das Gespräch führte Manuel Wachta.

Die Fotogalerie von Mario Kargls größtem Karriereerfolg bei den Deaflympics 2013 in Bulgariens Hauptstadt Sofia:

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Montag
28.10.2013, 12:53 Uhr