„Ein großes Ego ist definitiv fehl am Platz“

Mats Merkel, Trainer und Berater im „adidas Development Program“, im exklusiven Interview mit tennisnet.com.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 03.11.2015, 08:45 Uhr

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Mats Merkel arbeitet seit 2005 für die Firma adidas und ist Trainer und Berater im „adidas Player Development Program“. Im Gespräch mittennisnet.comberichtet der 31-jährige Deutsche über seine Arbeit und sein Leben auf der Tennis-Tour und erzählt, was einen guten Hitting Partner ausmacht.

Sie sind ein sehr bekannter Mann in der Tennisszene. Woher kommt Ihre Tennis-Begeisterung?

Gute Frage. Eigentlich wollte ich immer in Richtung Sportmedizin mit Spezialisierung auf Verletzungsprävention. Doch dann kam wie so oft alles anders als geplant. Während eines Praktikums bei adidas in der Abteilung für Produkt Marketing ergab sich die Möglichkeit bei Sports Marketing reinzuschnuppern. Ende 2005 wurde das adidas Player Development Program durch adidas Sports Marketing ins Leben gerufen. Nach einer Probezeit von einigen Wochen wurde ich Teil eines zweiköpfigen Teams und begann mit Spielern und deren Teams zu arbeiten, die bei adidas unter Vertrag stehen.

Seit 2007 arbeiten Sie für das „adidas Player Development Program“. Sie sind fast das ganze Jahr unterwegs. Was muss man mitbringen für das Leben auf der Tennis-Tour?

Diese Frage kann ich schon fast aus dem Effeff beantworten, so oft wie sie mir gestellt wird. Man muss alleine sein können und sich dabei wohlfühlen. Heimweh ist bei solch einem Beruf definitiv fehl am Platz. Mein Job ist sehr facettenreich, von daher wird mir nur sehr selten langweilig. Es gibt immer etwas zu tun.

Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus, falls es diesen überhaupt gibt?

Jeder Tag ist anders. Wenn man im Auftrag eines Sportartikelherstellers mit mehreren Athleten arbeitet, ist es wichtig, gut kommunizieren und planen zu können. Manchmal beginnt der Arbeitstag früh morgens mit einer Trainingseinheit in der Rod Laver Arena oder im Arthur Ashe Stadium. Es kann aber auch gut sein, dass ein Frühstück mit einem Athleten vorrangig ist, da dieser ein wichtiges Spiel hat oder Rat sucht. Bei kombinierten Events, wie Indian Wells, Miami, Rom, Madrid, Cincinnati, Montreal und Peking, ist immer etwas mehr los, da Frauen und Männer vor Ort sind. Bei den Grand Slams kommen dann noch die Junioren in der zweiten Woche hinzu. Es ist wichtig, die sogenannte Next Generation im Auge zu behalten, wenn sie schon einmal auf der gleichen Anlage zu sehen ist. Neben den Trainingseinheiten sind über den Tag verteilt immer wieder einige Matches, die ich mir anschaue. Nicht nur von Spielern/-innen, mit denen ich arbeite, sondern auch von möglichen Nächstrundengegnern. Scouting ist also wichtiger Bestandteil meines Jobs. Ich bin ein großer Anhänger von Statistiken und Spielmustern, die man eigentlich leicht identifizieren kann. Nach solchen Mustern halte ich dann meist Ausschau. Abends geht es dann teilweise noch mit einem der Athleten und dessen Team zum Essen. Und dann natürlich ab ins Bett, um die Batterien für den kommenden Tag aufzuladen.

Sie haben mit vielen unterschiedlichen Spielercharakteren zu tun. Wie schwer ist es, sich auf jeden einzelnen Spieler einzustellen?

Im Laufe der letzten neun Jahre hatte ich das Privileg, mit Spielern aus aller Herren Länder arbeiten zu dürfen. Dies hat mir natürlich unheimlich viele Erfahrungswerte eingebracht. Ich habe gelernt, dass jeder Athlet eine andere Herangehensweise erfordert. Der eine will mehr sprechen, der andere möchte Rat, die nächste ist etwas schüchterner und ich halte mich anfangs zurück. Ich lasse das eigentlich immer auf mich zukommen, bin jedoch in meiner Art eher ein ehrlicher Typ, der sagt, was Sache ist. Kommunikation war bisher immer der Schlüssel zum Erfolg. Mann muss sich verstehen, um erfolgreich sein zu können. Und damit meine ich auch die Beziehung mit der Entourage des jeweiligen Athleten.

Wo liegen die großen Unterschiede bei der Arbeit mit Spielern und Spielerinnen?

Mit Damen zu arbeiten, erfordert deutlich mehr Einfühlungsvermögen. Man(n) sollte sich immer zweimal überlegen, was Man(n) sagt. Mit den Herren der Schöpfung sind es auch manchmal die Egos, die nicht gerade klein sind. Also es gibt hier kein besser oder schlechter. Es ist wichtig, gut zu kommunizieren. Manchmal klappt es nicht so, wie man es sich vorstellt, und dann soll es einfach nicht sein.

Sie haben bereits viele Spieler und Spielerinnen bei Turnieren betreut, unter anderem dieses JahrAna Ivanovicbeim Einzug ins French-Open-Halbfinale. Ist es auf Dauer nicht mühsam, immer als Springer zu arbeiten?

Die intensivere Arbeit in diesem Sommer mit Ana Ivanovic war ein absolutes Highlight meiner bisherigen Karriere. Ana ist eine unfassbare Tennisspielerin, vielseitig, talentiert und menschlich auch absolut top. Auch im letzten Jahr hatte ich einige schöne und interessante Wochen mitDominic Thiemund seinem Mentor Günter Bresnik. Ich war 2014 mit Dominic bei seinem Davis-Cup-Debüt für Österreich gegen die Slowakei, was auch für mich ein Debüt war. Leider war es nicht das erhoffte Ergebnis, aber Dominic hat sich unter Günter Bresnik genauso entwickelt, wie ich es erwartet habe. Im zweiten Jahr auf der ATP-Tour die Top 20 zu knacken, ist schon eine herausragende Leistung. Dies spiegelt jedoch auch die Erfahrung und Klasse des Trainers wieder. Ich fühle mich eigentlich überhaupt nicht als Springer. Die Arbeit für adidas erfordert Flexibilität und Anpassungsvermögen. Außerhalb dieser Zeit habe ich auch schon in der Vergangenheit immer wieder privat mit Spielern gearbeitet, beispielsweise habe ich mitCaroline Wozniackiund ihrem Vater 2010 und 2011 sehr intensiv gearbeitet.

Wollen Sie irgendwann auch als fester Trainer eines Spielers arbeiten?

Ich bin immer offen für neue Herausforderungen. Probieren geht ja bekanntlich über Studieren.

Welche Ereignisse zählen zu den bisherigen Höhepunkten in Ihrer Betreuer-Laufbahn?

Das Erreichen des Halbfinals bei den French Open mit Ana Ivanovic, aber auch die beiden Jahre, in denen es Caroline Wozniacki geschafft hat, das Jahr als Nummer eins der WTA zu beenden. Der Halbfinaleinzug vonFernando Verdascobei den Australian Open 2009, als er in einem Fünfsatzkrimi gegen seinen LandsmannRafael Nadalverlor und das zu meiner mehrtägigen Heiserkeit beitrug. Auch die Ranglistenverbesserung von Dominic Thiem in seinem ersten Jahr auf der ATP zählt zu einem meiner bisherigen Höhepunkte.

Caroline Wozniackis Vater hat vor Kurzem gesagt, dass männliche Hitting Partner „faul sind, nur Ärger machen und Geldverschwendung sind“. Was halten Sie von dieser Kritik?

Dieser Verallgemeinerung kann ich nur vehement widersprechen. Ich denke, dass es auch hier wie in jedem Berufsfeld Menschen gibt, die ihre Aufgaben mit Passion und Ehrgeiz ausführen und es genauso andere gibt, die vielleicht nicht so bei der Sache sind. Es gibt sicherlich einen Zusammenhang zwischen Leistung und Bezahlung. Das ist aber überall so. Für mich hängt solch eine Zusammenarbeit auch immer mit gegenseitigem Respekt zusammen.

Waren Sie auch schon als Hitting Partner für Spielerinnen tätig?

Ja, das war ich früher - für Spielerinnen und Spieler. Unter anderem bin ich auch mit Caroline und ihrem Vater gereist. Wir hatten damals eine sehr gute Zeit, haben hart gearbeitet (auch ich) und waren sehr erfolgreich. Sie schloss die beiden Jahre, in denen wir so eng zusammen gearbeitet haben, als Nummer eins ab.

Welche Voraussetzungen sollte ein männlicher Hitting Partner mitbringen?

Grundsätzlich sollte man als Hitting Partner wissen, dass man dem Athleten helfen muss, sich zu verbessern. Ein großes Ego ist deshalb definitiv fehl am Platz. Flexibilität ist unheimlich wichtig. Dies gilt jedoch nicht nur für die WTA-, sondern auch für die ATP-Tour. Man muss hervorragend kommunizieren können und vorausschauend arbeiten.

Bei vielen Spielerinnen, unter anderem bei Wozniacki, ist der Vater der starke Mann im Hintergrund. Wie problematisch sind Vater-Tochter-Beziehungen im Tennis?

Ich würde das nicht unbedingt auf Vater-Tochter-Beziehungen beschränken. Grundsätzlich ist Blut immer stärker als Wasser. Darüber sollte sich jeder im Klaren sein, der Arbeitsbeziehungen mit den genannten Strukturen eingeht. Mir war es immer wichtig, Elternteile mit einzubinden und ihnen zu erklären, was ich mache und weshalb gewisse Dinge auf eine gewisse Weise durchgeführt werden müssen, um erfolgreich sein zu können. Nichtsdestotrotz sieht man immer wieder, dass Familiengeflechte im Leistungssport häufig vorkommen. Und das muss überhaupt nicht problematisch sein. Als Eltern kann man sein Kind viel stärker pushen als als Außenstehender. Natürlich muss dies alles im Rahmen geschehen. Respekt ist absolut essentiell. Leistungssport kann wahnsinnig grausam sein. Verlieren muss man genauso erlernen wie das Gewinnen. Deshalb sagt man auch, „Nur die Harten kommen in den Garten“.

Das Gespräch führte Christian Albrecht Barschel.

von tennisnet.com

Dienstag
03.11.2015, 08:45 Uhr