„Es geht nicht nur um die Zeit“
Die österreichische Physiotherapeutin Birgit Frimmel im ausführlichen tennisnet.com-Interview über ihre tollen alternativen Heilungsmethoden.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
14.05.2012, 18:41 Uhr

Vor drei Wochen hatteJürgen Melzerin Bukarest im Training eineBänderverletzung erlitten.Es sah nicht gut aus für die bevorstehenden nächsten Sandplatz-Highlights auf der ATP-Tour, doch Österreichs Nummer eins wurderechtzeitig für das Masters-1000-Turnier in Madrid fit,erreichte die zweite Rundeund kannauch diese Woche in Rom antreten.Über die Medien ließ er seinen Dank „an eine Physiotherapeutin in Niederösterreich“ ausrichten.
Doch wer ist Melzers „Wunderheilerin“? tennisnet.com stellt sie näher vor. Birgit Frimmel wurde am 30. April 1966 in Wien geboren. Nach ihrer Matura schloss sie nach drei Jahren 1988 das Physiotherapie-Diplom am Wiener AKH ab. Dann folgte eine ganzheitsmedizinische Sportphysiotherapie-Ausbildung in Belgien: „Ich hab in der Zeit irrsinnig viele Kurse und Ausbildungen gemacht.“ Zudem betreute sie im Handball von 1990 bis 1993 Österreichs Weltklasse-Damenteam Hypo NÖ und war bei Olympia und zwei Weltmeisterschaften als Betreuerin im Einsatz. 1992 gründete Frimmel das Team GSB, eine Fachpraxis für Osteopathie, Physiotherapie und Podotherapie, die ihren Sitz in Perchtoldsdorf hat und aus 16 Leuten besteht. Zudem absolvierte sie zahlreiche weitere Zusatzausbildungen, so etwa schloss sie 2005 die siebenjährige Ausbildung zur Osteopathin in Wien ab.
Stets eng zusammengearbeitet hat Frimmel mit Mohamed Khalifa, der bereitsRoger Federer,Stefan Koubek und viele weitere Stars behandelt hat. Im Interview mit tennisnet.com erzählt Frimmel von Khalifas und ihren eigenen Methoden, was bei den Behandlungen vor sich geht und gibt Tipps für Tennisspieler bei Verletzungen.
In den Medien ist bei Leuten Ihres Fachs oft die Rede von „Wunderheilern“. Zu Recht? Hat das wirklich was mit einem Wunder zu tun?
Das ist jetzt sehr philosophisch!(lacht)Mohamed Khalifa ist ein lieber, enger Freund von mir seit meiner Ausbildung. Ich hab viel von ihm gelernt. Er war damals noch ein Einzelkämpfer. Es gibt wenige, die das als Wunderheilung hinstellen, er hat sich schon damals gegen diesen Ausdruck gewehrt. Der ganze Mensch ist ja eigentlich ein Wunder.
Wenn Ihre Arbeit also nichts mit einem Wunder zu tun hat, worauf beruht sie dann?
Nicht nur auf einer Technik und wie man mit dieser ein gerissenes Band wieder in Ordnung bringt, sondern auf einer ganzen Methode. Dr. Stephen Typaldos D.O.(US-Osteopath und -Notfallmediziner, Anm.)hat sich sehr intensiv mit Faszien(den Weichteil-Komponenten des Bindegewebes, Anm.)auseinandergesetzt und Anfang der 90er-Jahre das Faszien-Distorsions-Modell, FDM, entwickelt. Diese Techniken erklären einiges, was da passiert. Diese behandeln Faszien-Verletzungen. Das ist aber bei weitem nicht alles, um das es geht, eignet sich jedoch sehr, sehr gut. Was wir tun: Wir regen die Selbstheilungskräfte massiv an, das geschieht über Schwingung. Alles ist Schwingung: die Materie, der Körper. Und man entwickelt mit der Zeit die Fähigkeit, sich auf diese Schwingungen einzustellen und unbewegliche Stellen und Zellen beweglich zu machen.
Wie sieht eine Behandlung bei Ihnen aus?
Als Osteopathin mache ich zuerst einmal eine genaue Befundaufnahme, um festzustellen, wo eine Unbeweglichkeit oder eine Blockade, zum Beispiel bei einem Wirbel, besteht. Sich das anzusehen, ist auch bis zur kleinsten Zelle möglich, auch diese stöbern wir auf. Dann folgen klinische und ganz normale medizinische Untersuchungen, etwa des Gewebes. Im Normalfall klärt sich dann, wo die Störung ist und ich wende besagte Techniken an. Ich stelle mich auf eine Struktur, etwa ein gerissenes Band, ein, das geschieht aus einem Automatismus heraus, bei dem man den Verstand ausschalten muss.
Kann das jeder erlernen?
Man braucht Talent, Interesse und Übung. Man muss dabei selber viel trainieren, lernen, im Augenblick und Hier und Jetzt sein zu können, das Denken auszuschalten und einfach nur zu spüren. Ich trainiere das seit 15 Jahren. Man kennt das im Prinzip vom Mentaltraining, nur begibt man sich bei dieser Art noch auf eine andere Ebene, eine Herzensebene.
Wieviel Prozent Ihrer Kunden sind denn Tennisspieler?
Das lässt sich schwer beziffern, woher meine Kunden kommen. Das ist ganz bunt gemischt. Ich bin sehr stark im Handball vertreten, weil ich von dort herkomme. Ich betreue hier das Jugend-Nationalteam, viele Tennis- und Fußballspieler, aber genauso Nicht-Sportler. Ich hab auch Barbara Paulus früher auf ihrem Weg begleitet. Heutzutage kommen etwa Jürgen Melzer undJulian Knowlezu mir. Melzer ist von Dr. Reinhard Weinstabl empfohlen worden, konservativ vorzugehen und zu Khalifa oder zu mir zu gehen.
Was sind bei Tennisspielern der Reihe nach die häufigsten Wehwehchen?
Diverse Verletzungen und Luxationsformen, die oft vom Umkippen herrühren. Am öftesten sind die Sprunggelenke, Ellbogen, Handgelenke und der Rücken betroffen. Hingegen selten sind schwere Knieverletzungen, die erlebt man eher im Handball.
Was kann man bei Bänderrissen und Knöchelverletzungen genau machen?
Ich kann nur sagen, wie ich vorgehe. Ich arbeite eng mit Unfallchirurgen, lasse zuerst einmal Röntgen- und Magnetresonanz-Untersuchungen machen. Wenn der Befund da ist, kommt’s drauf an, wie man arbeitet. Man muss schauen, ob durch die Verletzung vielleicht woanders Blockaden entstanden sind, oft steht zum Beispiel das Schien- und Wadenbein nicht richtig oder ist das Sprungbein einzurenken. Dann gehe ich mit oben beschriebener Methode die eigentliche Bandverletzung an.
Und was sollte man nicht machen? Was sind die häufigsten Fehler?
Was ich nicht mehr empfehle ist, Röntgenaufnahmen der alten Schule zu machen, den Fuß einzuspannen und aufzudehnen und zu sehen, wie weit das geht.
Weil die Verletzung dabei schlimmer werden könnte?
Genau. Wenn ein Band etwa nur eingerissen ist, kann es dabei ganz reißen. Sehr wichtig ist auch die Kühlung, die sollte so rasch wie möglich erfolgen. Ich persönlich hasse Eissprays.
Warum? Die finden ja gerade im Fußball eigentlich oft Anwendung.
Man kann durch die Verwendung eines Eissprays nachher mit dem Gelenk nur sehr wenig anfangen. Es macht die Lymphbahnen teils kaputt und unbrauchbar. Ich arbeite nur mit Eis und Coolbags. Man sollte unmittelbar nach der Kompression, um die Stärke der Schwellung zu reduzieren, alles untersuchen lassen und abklären. Das heißt, man sollte also auch nicht zu lange alles ruhig stellen, zu sitzen, ist etwa bei einer Bänderverletzung nicht gut. Natürlich muss vorher die knöcherne Beteiligung abgeklärt werden.
Wann war für Sie klar, dass Sie beruflich in Richtung Osteopathie gehen wollen?
Leider durch eine persönliche Erfahrung. Mein Vater hatte, als ich elf Jahre alt war, einen schweren Unfall, war querschnittgelähmt. Ich durfte damals bei der Reha im Physiotherapie-Zentrum zuschauen. Gottseidank kann er wieder gehen. Das war’s trotzdem für mich irgendwie, was mich dazu gebracht hat. Dadurch dass ich selber Leistungssport betrieben hab, war für mich klar, dass ich in die Sportbetreuung gehen will. Ich war damals eine der Ersten, ich hab unter Gunnar Prokop damals gearbeitet.
Welche Rolle hat Herr Khalifa in Ihrem Werdegang gespielt?
Ich hab nie direkt bei ihm gearbeitet. Er hat mir auch nie eine Technik oder so gelernt, aber er war für mich persönlich wahnsinnig wichtig, weil er mir ungemein viele Ratschläge gegeben hat, schon als ich noch eine ganz Junge war. Ich hab mich dadurch dann sehr mit Anatomie beschäftigt und Sezierkurse gemacht, um noch mehr Dinge zu sehen, auch die kleinsten Verbindungen. Auf diesem Weg hab ich dann auch selber viel Mentaltraining gemacht und von Dr. Maria Färber-Singer Einzelcoaching im Sinne ihres Impulscoachings bekommen. Bei ihr kann man lernen, den Verstand auszuschalten und im Hier und Jetzt zu sein.
Und wie hat Ihnen Khalifa aktiv noch geholfen?
Er war ausschlaggebend dafür, dass ich mich getraut hab, zu diesen „Wunderheilungen“ zu stehen, er hat mich darin bestärkt und bei allem gecoacht. Wir waren immer miteinander in Kontakt, ich hab ihm stets alle möglichen Fragen stellen können und er hat mich persönlich unterstützt – auch darin, Verantwortung zu übernehmen.
In welchen Bereichen?
Ich hab etwa mit Peter Kleinmann, bekannt aus dem Volleyball, gearbeitet und mich darum gekümmert, wenn sich wieder einmal einer seiner Spieler das Band gerissen hat. Ich wollte damals aber nicht in der Öffentlichkeit aufscheinen, das hat Peter auch immer respektiert. Und ich hab mich nach der Handball-Heim-EM 2010 Österreichs Teamspieler Conny Wilczynski angenommen, der sich dort damals am Handgelenk verletzt hatte. Das war der Zeitpunkt, als Khalifa meinte, dass er sich nur noch um Knieverletzungen kümmert und ich hier daher die Verantwortung übernehmen soll. „Du machst das“, hat er gesagt. Damals ist meine Arbeit öffentlich doch ziemlich verfolgt worden, das war klar.
Wie sieht Khalifas Arbeitsweise aus? Was ist er für ein Typ?
Er ist Ägypter. Seine Behandlungen sind auf den ersten Blick sehr schmerzhaft. Und weil ich selber auch eine schwere Knieverletzung bei ihm behandeln hab lassen, weiß ich das auch als Patientin!(lacht)Es schaut bei ihm nach Faszientechnik aus. Er ist wahnsinnig konzentriert, man kann mit ihm während der Behandlung eigentlich nicht sprechen. Und seine Behandlung ist wirklich extrem effektiv. Zuerst kommt man mit Krücken zu ihm, hat man einen Termin bei ihm – und spaziert wieder ohne Krücken gehend bei der Tür heraus.
Inwiefern unterscheiden sich Ihre Methoden von jenen von Herrn Khalifa?
Schwer zu sagen. Was uns sicher unterscheidet, ist, dass er von einem Lehrer gelernt hat, ich von vielen. Durch meine Osteopathie-Ausbildung hab ich etwa in jedem Fach Vortragende und Experten aus einem anderen Land gehabt. Dazu hab ich einige Zeit in Belgien verbracht.
Durch den im Frühjahr oft nassen und tiefen Sand ist bei den Tennisspielern jetzt ja Verletzungs-Hochsaison. Jürgen Melzer undAndrea Petkovichaben etwa Bänderrisse erlitten, auchJuan MonacoundJulien Benneteauhat’s erwischt. Welche prominenten Spieler haben Sie denn zuletzt besucht?
Andrea nicht, Jürgen ist aber grad erst vor seiner Madrid-Reise bei mir gewesen. Und wenn wir schon von Prominenten reden: Viktor Gernot und Michael Niavarani(begeisterte Hobby-Tennisspieler, Anm.)kommen ebenfalls zu mir. Sie lassen sich gerne am Abend behandeln, wenn sonst keiner bei mir in der Praxis ist, das schätzen sie.
Welchen Erfahrungen haben sie mit den Tennisspielern gemacht?
Alle, die bei mir waren, sind total lieb, nett und kooperativ gewesen. Es muss ja auch der Patient bei allem mitspielen. Wenn der nicht offen ist, wird es nicht klappen. Aber wenn jemand zu mir kommt, ist auch davon auszugehen, dass er dafür offen ist.
Wer kann überhaupt zu Ihnen kommen? Jeder, der irgendwelche Wehwehchen hat?
Das kann schon jeder. Am liebsten behandle ich natürlich frische Sportverletzungen. Was ich nicht mache, aber in meiner Branche sehr gängig ist: Behandlungszyklen. Also jemandem zu sagen, dass er jetzt zehn Mal zu mir kommen muss, dann passt alles wieder. Ich denke, sowas sieht man immer im Laufe einer Behandlung dann, wie oft diese wirklich nötig ist.
Warum finden diese alternativmedizinischen Behandlungen in der breiten Masse noch zu wenig Zuspruch? Oder merkt man schon eine steigende Anerkennung?
Es gibt sogar eine unglaublich steigende Anerkennung. Das Problem, das wir mit unseren alternativen und ganzheitlichen Behandlungstechniken jedoch haben: Wir spüren oft etwas, was man noch nicht oder noch nicht gut messen kann. Aber die Messmethodik wird immer besser, dadurch kann man immer mehr messen und beweisen, was wir bewirken. Deswegen ist das auch nicht aufzuhalten. Sehr bedanken muss ich mich an dieser Stelle bei Dr. Christian Gäbler, einem Unfallchirurgen, mit dem ich eng kooperiere und der mich sehr unterstützt.
Auch wenn es – wie wir schon festgestellt haben – keine Wunderheilung gibt: Was, das an ein Wunder zumindest grenzt, haben Sie schon bewirkt? Was waren die schwersten oder unglaublichsten Fälle?
Eine Patientin, die aus dem TV bekannt ist, Irmgard Schamburek, hat sich etwa den hinteren Oberschenkel abgerissen. Dr. Gäbler hat mir dafür zwei Wochen Spielraum gegeben, dann könne man ja immer noch operieren. Jetzt kann die Patientin wieder ganz normal gehen. Kniebeugen gehen auch schon, laufen kann sie noch nicht, aber das wird wieder. Dr. Gäbler schaut wirklich, wie das MR vorher war und wie es nachher ist, hier sieht man die Fortschritte also ganz klar. Dieser Fall war sicher einer der spektakulärsten. Einige Bandrupturen im Sprung- und Kniegelenk zählen auch zu den schwereren Fällen und manche sind aber in ein paar Tagen wieder in Ordnung. Man muss immer unterscheiden, was genau passiert ist. Wenn eine Faszie irgendwie noch besteht, dann geht es natürlich schneller.
Was waren die schnellsten Regenerationszeiten, die Sie erlebt haben?
Augustus Strazdas, ein Handballer bei West Wien, hat sich zum Beispiel das Seitenband im Knie gerissen. Vier Tage später hat er ein Bundesliga-Match bestritten. Das Handgelenk von Conny Wilczynski hat da schon etwas länger gedauert. Aber wie schnell etwas geht, das ist nicht alles. Es geht nicht nur um die Zeit.
Sondern worum?
Zeit ist das eine, die Funktion das andere. Wenn das Handgelenk aufgeschnitten worden wäre, hätte das einen gewaltigen Flurschaden ergeben, dann wäre er wohl nie mehr wirklich damit zurechtgekommen. So hat er jetzt aber 100 Prozent Freiheit und Belastungsfähigkeit.(Foto: privat)
Das Gespräch führte Manuel Wachta.