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"Österreich hat ein Wertigkeitsproblem"

Der Tiroler im tennisnet.com-Gespräch über die Arbeit im Mentalbereich in Österreich.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 13.10.2011, 18:10 Uhr

Knappe Niederlage um knappe Niederlage – die rot-weiß-roten Tennisprofis bekleckern sich in letzter Zeit wenig mit Ruhm. tennisnet.com begab sich darum auf Ursachenforschung für die offensichtlichen mentalen Probleme und unterhielt sich mit Dr. Axel Mitterer, seines Zeichens akademischer Mentalcoach, früher für „Bad Boy“ Daniel Köllerer, Andreas Haider-Maurer und Gerald Melzer tätig, aktuell etwa für Marc Rath und Yvonne Neuwirth sowie vermehrt in anderen Sportarten. Der Tiroler über die stiefmütterliche Behandlung des Mentaltrainings in Österreich – und die gibt es nicht nur im Tennis…

Axel, du hast die bittere Niederlage von Melzer gegen Giraldo in Shanghai verfolgt. Das war etwas symptomatisch für seine mentalen Leistungen der letzten Zeit, oder?

Axel Mitterer:Er hat in dem Bereich derzeit offenbar Probleme. Aber die haben genauso viele andere Spieler. Welchen deutschen Profi würdest du denn grad als mental stark bezeichnen? Außer Bachinger, wobei der auch seine Tiefen hatte. Man kann zwar sagen, dass ein Melzer das Potential für die Top Ten hätte, aber wieviele Österreicher halten sich schon so lange in einer Weltsportart in den Top 30? Da will ich jetzt nicht draufhauen, das finde ich super. Es geht da großteils um ganz individuelle Sachen. Und gerade Jürgen ist bei Ronnie Leitgeb im mentalen Bereich sicher sehr gut aufgehoben. Jeder hat einmal seine mentalen Aussetzer, die hatte auch ein Djokovic. Schwierig wird’s bei Jürgen nur, wenn er sie nächstes Jahr auch hat.

Warum hat man den Eindruck, dass dieser mentale Aufholbedarf mehrere heimische Spitzenspieler nach Muster zu betreffen scheint?

Ich will nicht katalogisieren. Das ist kein Mentalitätsproblem, das ist ein Ausbildungs- und Wertigkeitsproblem. Die Frage ist: Wieviel Prozent gebe ich diesem Bereich? Da mangelt es bei allen, genauso in Deutschland, der Schweiz und in Italien. Manche sind auf diesen Bereich vorbereitet, manche nicht, und in Österreich ist die Kultur dafür derzeit einfach nicht gegeben.

Woran siehst du das?

Zum Beispiel daran, dass die AFSM-Akademie seit kurzem jetzt zum diplomierten Sport-Mentaltrainer in Salzburg-Rif ausbildet – und zwar in 32 Stunden, ohne Praxis, der Rest ist im Selbststudium daheim zu machen. Dann werden die Absolventen auch schon auf Junge zugelassen. Da tue ich mir einfach schwer zu sagen „super“, da hab ich ein Problem damit. Dann probiert es ein Verband mit einem solchen diplomierten Mentaltrainer, man erleidet Schiffbruch und sagt sich aber „wir haben’s ja eh versucht“. Überall hört man von Überlastung, im Kopf verlorenen Partien und Burn-out, aber mit dieser Einstellung zum Mentaltraining kann’s auch einfach gar nicht funktionieren.

Warum gibt es dann diese Einstellung zum Mentaltraining?

Es wird den vier Komponenten des Tennis – der technischen, taktischen, körperlichen und mentalen – ungleich viel Bedeutung beigemessen. Ich hätte etwa zuletzt wo zeitweise arbeiten sollen und ein Trainer hätte dabei nur ein Mal im Monat auf eine Einheit verzichten müssen. Doch statt dass er kapiert, dass ich die Spieler ja stärke, hat er’s als verlorene Zeit gesehen. Da ist auch die Weitsichtigkeit der Trainer nicht gegeben. Das hab ich zuletzt auch erst bei der Befragung eines österreichischen Fußball-Bundesliga-Cheftrainers gemerkt: „Haben Sie denn schon von Mentaltraining gehört?“ – „Ja, das ist sehr wichtig.“ – „Haben Sie es schon eingesetzt?“ – „Nein.“ – „Werden Sie’s in Zukunft einsetzen?“ – „Nein.“

Von vielen, die Mentaltraining bereits anwenden, wird die Qualität bemängelt. Wie gut ist sie in Österreich wirklich?

Es gibt natürlich viele schwarze Schafe, wir sind schon auch selbst daran schuld, dass unser Ruf oft nicht so gut ist, wie er es sein könnte und sollte. Viele arbeiten als Mentalcoach ohne eine entsprechende Gewerbeberechtigung für diese Bezeichnung, die dürften gar nicht auf so persönlicher, intimer Ebene mit Leuten arbeiten. Darum ist es wichtig, sich genau anzusehen, was für eine Ausbildung jemand hat, darüber würde ich mich als Sportler genau erkundigen, bevor ich eine Zusammenarbeit mit Jemandem eingehe.(Foto: GEPA pictures/ Hans Osterauer)

Das Gespräch führte Manuel Wachta.

von tennisnet.com

Donnerstag
13.10.2011, 18:10 Uhr