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Der Tennis-UNO-Soldat

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 16.11.2010, 08:00 Uhr

tennisnet.com-Interview mit Michael Oberleitner, Teil 2: Lagerdenken, Bombenalarm und wie die Zukunft der Nachwuchsförderung in Österreich aussehen muss.

Zu Teil 1 des Interviews.

Im Bereich der externen Förderung gibt es hitzige Diskussionen rund um Dominic Thiem. Sein Trainer Günter Bresnik akzeptiert das ÖTV-Angebot nicht, weil es ihm zu niedrig erscheint. ÖTV-Sportdirektor Gilbert Schaller möchte sich nach einem laola-Interview "nicht auf den Kopf scheißen lassen" und bezeichnet Bresnik als "Oral-Furzer". Kann die Sportkommission da vermittelnd eingreifen?


Zunächst einmal muss man sagen, dass das verfügbare ÖTV-Sportbudget für Profisport-Dimensionen ziemlich eng ist. Das heißt: Es kann nicht alles so geschehen, wie wir uns alle das wünschen würden. Aber im konkreten Fall um Dominic Thiem hat die Diskussion die sachliche Ebene ja leider komplett verlassen. Ich persönlich hab versucht, im Sinne des Spielers zu vermitteln, weil ich ja mit allen Beteiligten einen guten Kontakt habe, aber wirklich weiter gekommen sind wir dabei noch nicht.

Der Karren scheint ernsthaft verfahren zu sein, wenn man sich Dominics letzten Blog auf tennisnet.com durchliest: Dass der mit Abstand beste österreichische Jugendliche vor einem Hardcourt-Turnier auf Sand trainieren muss, weil der ÖTV die Hartplätze mit Kleinfeldtennis und Konditionsübungen blockiert, das kann's ja wirklich nicht sein.

Wenn das so stimmt, wie Dominic das geschrieben hat, ist das natürlich für mich als Trainer schwer nachvollziehbar, darüber brauchen wir nicht reden. Aber wie gesagt, ich kenn alle Beteiligten. Und die Situation zwischen Günter und Dominics Vater Wolfgang auf der einen Seite und Schilli und Jürgen Hager auf der anderen ist mittlerweile so angespannt, da genügt anscheinend ein falsches Wort, und die Situation eskaliert.

... was sie ja mit Schreiduellen auf dem Platz und Beschwerde-Mails an Funktionäre schon getan hat. Kein Ausweg in Sicht?

Die einzige Lösung kann sein, dass man allen Beteiligten nur eine Frage stellt, nämlich die einzige, um die es geht: Was ist das Beste für den Spieler? Ich fürchte, mittlerweile stehen bei vielen Beteiligten leider schon andere Fragen im Mittelpunkt.

Beide Seiten werden das nicht besonders gerne hören.


Das ist nicht mein Problem. Meine Loyalität gilt in erster Linie den Spielern und Spielerinnen, nicht den Managern, Trainern oder Funktionären. Langsam komm ich mir vor wie die UNO-Truppen auf den Golanhöhen, denen die Bomben von rechts und links über den Schädel fliegen.

Ist Lagerdenken nicht Teil der DNA des österreichischen Tennis?

Könnte man meinen, aber solche Spielchen will ich nicht mitspielen, für sowas hab ich keine Zeit. Mein Sohn Neil steht U12 in den ersten Zehn, aber es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich einen gleichaltrigen Moritz Thiem oder den Tiroler Gabriel Huber zum Training einlade. Natürlich sind Moritz und Gabriel Konkurrenten von meinem Sohn, aber international können wir viel mehr erreichen, wenn wir zusammenarbeiten. Wir müssen diese österreichische Tradition brechen, dass wir uns selber immer blockieren und auf die Nerven gehen, das kostet soviele Ressourcen, Energien und Know-how für interne Kämpfe. Die könnten wir viel besser einsetzen, um uns international durchzusetzen - außerhalb Österreichs gibt's genug andere, die wir bekämpfen können.

Bei Muster, Skoff und Antonitsch waren gerade diese Reibereien aber ein wesentlicher Antrieb.

Das kann man so sehen oder genau im Gegenteil: Vielleicht wären alle drei in die Top Ten gekommen, wenn sie nicht gegeneinander, sondern miteinander gearbeitet hätten? Und was wäre im Davis Cup noch alles möglich gewesen? Das weiß doch niemand.

Wird die APT Dominic unterstützen? Das könnte man Ihnen im ÖTV eventuell ein wenig übel nehmen ...

Das kann ich mir nicht vorstellen, der ÖTV wäre im Gegensatz froh über die Unterstützung.

Grundsätzlich gefragt: Kann ein ÖTV mit seinen begrenzten finanziellen Ressourcen überhaupt die Position und den Anspruch als zentrale Ausbildungsstelle halten?

Für mich ist das auf die Dauer nicht realistisch, aus einem ganz einfachen Grund: Wir wissen alle, dass die Spieler heutzutage immer später in die Top 100 kommen - ihr habt das ja auf tennisnet.com ohnehin aufbereitet. Bis ein Spieler nennenswerte Einnahmen hat, dauert es länger denn je. Du kannst nicht erwarten, dass ein 18-, 19-, 20-Jähriger soviel verdient, dass er damit seine Betreuung und Weiterentwicklung finanzieren kann. Das bedeutet: Wenn du früher einen Spieler von 12 bis 18 betreuen musstest, musst du das jetzt von 10 bis, sagen wir, 22 oder 23 machen. Das bedeutet zeitlich ziemlich genau den doppelten Aufwand gegenüber vor zehn, 15 Jahren. Und nicht nur der Umfang der Betreuung ist viel höher geworden, sondern auch der qualitative Anspruch, der Einsatz an Energie, Know-how, die Intensität. Das kann sich ein Verband alleine niemals leisten - da ist das Budget ja jetzt schon am Limit.

Gibt es dafür eine Lösung?

Schilli reagiert zum Beispiel darauf, indem er die Ziele der ÖTV-Ausbildung in der Südstadt hinterfragt und anpasst. Früher waren die Top 100 das deklarierte Ziel, dann die Top 200, jetzt hat man sich auf "Challenger-Reife" geeinigt.

Das sind Definitionen von theoretischen Zielvorgaben, die aber einem Spieler in der Praxis nicht helfen. Denn von "Challenger-Reife", was immer das sein mag, kann man nicht leben.

Dieser Gedanke ist eine der vielen Motivationen hinter der APT. Was macht ein 19-, 20-Jähriger, der vielleicht das Zeug dazu hätte, sich mittelfristig durchzusetzen, aber dem schlicht und einfach die Kohle und das Know-how fehlen? Und den der ÖTV natürlich nicht ewig finanzieren kann? Der wird irgendwann zu studieren anfangen oder Trainerstunden geben und geht damit als möglicher Leistungsträger fürs österreichische Tennis verloren. Wenn wir hier ansetzen können und sagen: Okay, probier's noch zwei Jahre, wir unterstützen dich unbürokratisch, dann kann er seine Chance vielleicht nützen. Und wenn nicht, dann ist er zumindest im Tennis geblieben, war zwei Jahre länger unterwegs, hat Erfahrungen gesammelt und Kontakte geknüpft, und wird vielleicht später ein Super-Trainer. Oder wir haben ihm eines der zehn Top-Tennis-Colleges in den USA vermitteln können, und er kommt als 25-Jähriger Topspieler mit Uni-Abschluss zurück ... Möglichkeiten gibt es da ja einige.

Eine Frage an das Sportkommissions-Mitglied Michael Oberleitner: Wie sehen Sie den bevorstehenden mehrwöchigen Aufenthalt der ÖTV-Kaderspieler und der gesamten Trainerriege in Florida? Mit Verlaub: Gar so eng scheint die Sache mit dem Budget dann auch wieder nicht zu sein.

Über die Optik des an die Turniere anschließenden Trainingsaufenthaltes kann man angesichts der angespannten Budgetsituation natürlich diskutieren. Das ist der nervigere Teil meiner Aufgabe, dass ich auf einmal Dinge erklären oder mich rechtfertigen muss, von denen ich erstens nichts gewusst und auf die ich zweitens keinen Einfluss habe.

Wird eine Sportkommission in solche Planungen nicht eingebunden?

Nein. Ich habe davon erfahren, weil mich Bekannte angerufen haben und gefragt, "was wir uns im Verband dabei denken". Ich kann auch nicht sagen, wieviel das genau kostet. Wobei man schon absolut sagen muss, dass die Sache aus Spielersicht super ist und dass die Reisen zu diesen Turnieren für junge Spieler dieser Leistungsklasse für mich auch außer Frage stehen. Aber wie gesagt: Bei solchen Entscheidungen sollte man den sportlichen Wert, das Budgetäre und als dritten Punkt auch die Optik berücksichtigen, gerade als Verband.

Wie sieht für Sie die ideale Zukunft der Jugendförderung im österreichischen Tennis aus?

Das Geld gehört zum Spieler, nicht in ein System gesteckt. Angehende Spitzensportler gehören in professionelle Hände, und vor allem: Wo oder mit wem jemand trainiert, soll völlig egal sein, da müssen alle Beteiligten lernen, zum Wohle der Spieler und Spielerinnen aufeinander zuzugehen. Gegen die internationale Konkurrenz durchsetzen können wir uns letztlich viel besser miteinander, nicht gegeneinander.

von tennisnet.com

Dienstag
16.11.2010, 08:00 Uhr