Nach Niederlage im Billie Jean King Cup: Blühende Turnierlandschaft, aber Krise im deutschen Frauentennis

Mit dem Porsche Tennis Grand Prix hat das größte deutsche Damenturnier gerade begonnen - und es ist nicht mehr das einzige Event in Deutschland. Nach der Niederlage der DTB-Damen am Wochenende beim Billie Jean King Cup in Kasachstan wird aber auch eines deutlich: Die Generationenlücke ist längst da.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 18.04.2022, 16:57 Uhr

© Paul Zimmer / DTB

Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Stuttgarter Porsche Arena der Schauplatz berauschender deutscher Tennis-Festspiele. Angelique Kerber startete mit dem Heimtriumph 2015 ihre beste Karrierezeit, 2016 glückte ihr als frischgebackene Australian-Open-Königin die Titelverteidigung im Schwabenland. Und 2017 sorgte Laura Siegemund, die zupackende Außenseiterin und Lokalmatadorin, sogar für einen nationalen Hattrick bei einem der bestbesetzten Turniere jenseits des Grand-Slam-Universums. Niemals war die Stimmung unterm Stuttgarter Hallendach emotional aufgeladener und gefühlsintensiver als in jener Zeit.

Kerber und Siegemund spielen auch in diesem Jahr wieder bei Deutschlands bestbesetzem Wettbewerb. Aber die Tenniswelt ist eine andere geworden, für das Duo, für das deutsche Damentennis, für die Macher des Topevents. Kerber ist als nationale Führungskraft nur noch die Nummer 17 der Weltrangliste, Siegemund kann – nach ungezählten Verletzungsproblemen - als Nummer 231 bloß mit einer Wildcard ins Rennen gehen. Und beide haben auch noch eine bittere, symbolbeladene Niederlage im Gepäck, eine 1:3-Pleite vom King Cup in Kasachstan am verlängerten Osterwochenende, die dafür sorgt, dass das Team von Rainer Schüttler im November gegen den Abstieg aus der Weltgruppe spielen muss. 

"Goldene Ära" neigt sich dem Ende zu

So bleibt ein frappierender Befund vor den ersten Ballwechseln beim Grand-Prix-Spektakel in Stuttgart, vor den nächsten großen Höhepunkten der Tennissaison: Während die Turnierlandschaft hierzulande aufblüht, mit den neu geschaffenen oder wiederbelebten Wettbewerben in Bad Homburg, Berlin (German Open) und Hamburg, spielt das deutsche Frauentennis international nur noch eine zweitklassige Rolle. Die Ära der Goldenen Generation neigt sich unwiderruflich dem Ende zu, Nachfolgerinnen, die schon zum ganz großen Schlag auf großen Bühnen ausholen könnten, sind nicht in Sicht. Die Durststrecke, die DTB-Frauenchefin Barbara Rittner zuletzt immer mal wieder befürchtete, ist längst da – und könnte auch länger dauern.

Von den Spielerinnen, die einst um den Sieg beim Fed Cup (heute: Billie Jean King Cup) kämpften, ist nach dem Abschied und Abgang von Julia Görges gegenwärtig nur noch Angelique Kerber regelmäßig im Einsatz im Wanderzirkus. Aber das Jahr 2022 spiegelt soweit den Bedeutungsverlust wider, den die 34-jährige Kielerin erlitten hat: Bei den Australian Open schied sie in der ersten Runde aus, nur in Indian Wells gelangen ihr einmal zwei Siege hintereinander. Beim King-Cup-Duell in Kasachstan verlor sie beide Einzel in jeweils drei Sätzen. Als positiv registrierte Kerber, in Nur Sultan angetreten zu sein und „mit Herz und Leidenschaft“ gekämpft zu haben.“ Kerber, momentan ohne Trainer auf der Tour unterwegs, muss darauf hoffen, im Frühjahr in der Rasensaison ein ähnliches Erweckungserlebnis wie 2022 mit dem Sieg in Bad Homburg feiern zu können.

Hoffnungen auf Niemeier, Schunk und Lys

Die dreimalige Grand-Slam-Gewinnerin, die das deutsche Tennis im vergangenen Jahrzehnt „zurück auf die Weltkarte brachte“ (Boris Becker), ist eine von nur noch zwei Top 100-Spielerinnen des DTB – die andere ist Andrea Petkovic, deren Karriere mutmaßlich in dieser oder spätestens der nächsten Saison ausklingt. Hinter den alten Kämpferinnen, zu denen auch die Überraschungssiegerin von Bogota, Tatjana Maria (34), zählt, ist eine beängstigende Generationenlücke entstanden. In jungen Karrierejahren ist Jule Niemeier (22) derzeit die einzige Spielerin, die über Perspektiven verfügt und mit Platz 108 in der Weltrangliste ordentlich dasteht. Immerhin: Mit der 18-jährigen Nastasja Schunk und der 20-jährigen Eva Lys setzten sich in Stuttgart zwei deutsche Talente energisch in der Qualifikation durch – möglicherweise auch ein Fingerzeig für Coach Rainer Schüttler, in Teamwettbewerben wie dem King Cup schon bald auf jüngere Akteurinnen zu setzen.

Sieben von zehn Top-Ten-Spielerinnen können die Stuttgarter Turnierveranstalter um Macher Markus Günthardt in der nachösterlichen Woche aufbieten – darunter auch vier Grand-Slam-Siegerinnen. Eine davon ist Angelique Kerber, aber um noch einmal im Schwabenland triumphieren zu können, müsste schon ein mittelschweres Wunder her für die ehemalige Nummer eins des Planeten.

von Jörg Allmeroth

Montag
18.04.2022, 19:57 Uhr
zuletzt bearbeitet: 18.04.2022, 16:57 Uhr