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Novak Djokovic: Das ewige Ringen um Anerkennung und sportliche Macht

Für Novak Djokovic, der Nummer eins der Tenniswelt, war das Jahr 2020 ein Jahr der vielen Ausrutscher. Zuletzt trat er durch die Gründung der PTPA einen Konflikt mit Rafael Nadal und Roger Federer vom Zaun, nun leistete er sich auch auf dem Court ein Blackout. 

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 08.09.2020, 13:16 Uhr

Novak Djokovic hat sich 2020 den ein oder anderen Fehltritt (zu viel) erlaubt
Novak Djokovic hat sich 2020 den ein oder anderen Fehltritt (zu viel) erlaubt

Es ist schon ein Weilchen her, da saß Novak Djokovic im mondänen Country Club in Monte Carlo und zog während eines langen Gesprächs unter vier Augen auch ein kurzes, knappes Fazit seiner Karriere bis dahin: „Ich habe das Unmögliche geschafft“, sagte Djokovic. Was er meinte, war klar: Er hatte den früheren Alleinherrschern der Tenniswelt, den Kollegen Roger Federer und Rafael, entschlossen als Störenfried auf den Centre Courts die Stirn geboten. War eingedrungen in ihre Machtsphäre, in ihr zweigeteiltes Universum. Und hatte sie als neue Nummer eins sogar überholt. Später sagte Djokovic auch noch, natürlich sei es eine Motivation, am Ende seiner Laufbahn mit den meisten Grand Slam-Titeln dazustehen: „Das hält mich frisch, wach und motiviert.“

In New York, bei den US Open, hätte Djokovic den ewigen Rivalen schon bedrohlich auf die Pelle rücken können. Federer (20 Titel) und Nadal (19 Titel) fehlten beim Geister-Grand Slam im Billie Jean King Tennis Center, der eine verletzt, der andere vorsichtig in den Zeiten der Pandemie – doch nun ist auch Djokovic raus aus dem Turniergeschäft. Am Sonntagabend wurde der schwarz auf weiß weltbeste Profi ausgeschlossen aus dem Wettbewerb, nicht etwa wegen einer Corona-Infektion oder anderer Unpäßlichkeiten. Sondern weil er bei einem Black-Out auf dem Centre Court eine Linienrichterin am Kehlkopf traf und in seiner Achtelfinal-Partie (gegen den Spanier Carreno-Busta) noch im ersten Satz regelgemäß disqualifiziert wurde. Später entschuldigte er sich und sagte: "Ich fühle mich traurig und leer."

Djokovic der Perfektionist

Es war ein unglaublicher Lapsus, ein falscher Treffer eines Mannes, der als größter Perfektionist in der Tenniswelt gilt. Der die Ambition des Besserwerdens in seinem Beruf in den letzten Jahren in bisher ungekannte Dimensionen vorantrieb. „Es gibt nichts bei ihm, was nicht geplant ist. Und was das Ziel hat, noch stärker zu werden“, sagt Boris Becker, der fast  drei Jahre als Cheftrainer bei dem 33-jährigen Serben wirkte. In normalen Zeiten reist Djokovic mit mehreren Coaches, Physiotherapeut und sogar einem Leibkoch zu den großen Turnieren. Der österreichische Fitness-Guru Gebhard Gritsch, immer mal wieder im Begleittroß von Djokovic unterwegs, sagte einmal zu den Anstrengungen des „Djokers“: „Es ist Wahnsinn, was er veranstaltet.“

Seit Jahren schwelte ein latenter Konflikt zwischen Djokovic und den alten Meistern Federer und Djokovic in der Tennisszene. Es ging dabei um Macht und Einfluß, auch um Millionengeschäfte im Wanderzirkus. Und es ging auch um persönliche Eitelkeiten, auf allen Seiten, nicht nur bei Djokovic. Kurz vor den US Open wurde der Kleinkrieg dann öffentlich, es kam zu einem Kampfgeschehen auf offener Bühne. Djokovic, bis dahin der oberste Vertreter im Spielerrat der ATP-Tennistour, trat zurück, gründete in New York und mitten in den Corona-Wirren eine eigene Interessenvertretung. Federer und Nadal wurden sehr deutlich in ihrer Reaktion: Es gehe in dieser Zeit nicht um Spaltung, sondern um Einigkeit.

Djokovic wirkt einerseits wie ein glattes Kunstprodukt, etwa mit seinen äusserst geschliffenen Statements, etwa mit seiner pedantischen Korrektheit in Ernährungs- oder Umweltfragen. Aber sein Hang zu esoterischen Quacksalbern, zu gewissen Verschwörungstheorien, zu einem gelegentlichen Geraune „gegen den Westen“ macht ihn auch zu einer kontroversen Figur mit eigenwilligen Ecken und Kanten. In diesem Corona-Jahr war das alles ganz besonders spür- und sichtbar, ein ums andere Mal stolperte der Frontmann der Tenniswelt über sich selbst, allem voran mit seiner ausgearteten Adria-Tour, bei der die Pandemie-Realität schier weggeleugnet wurde. Djokovic redete auch noch Impfgegnern und dubiosen Heilern das Wort, bei der Auswahl mancher Freunde hatte er wahrlich kein gutes Gespür. 

Vater Djokovic wettert gegen Federer

Der immer eine Rolle spielende Centre Court- und Imagekampf Djokovics gegen Federer und Nadal wurde auch 2020 von schrillen Tönen aus dem Familienkreis begleitet. Im Sommer verstieg sich Djokovic Vater Srdjan zu der Aufforderung an Federer, er solle doch mit seinen 39 Jahren endlich aufhören und ein Leben ohne Tennis führen. Djokovic Mutter Dijana hatte den Schweizer zuvor schon als „ein bisschen arrogant“ bezeichnet. Über ihren Sohn sagte sie in einem Interview dies: „Er glaubt an Gott. Und er fühlt sich auserwählt.“

Tennis in der Weltspitze ist ein knallhartes Geschäft, eine Ansammlung von Ego-Shootern, ein Haifischbecken. Djokovic präsentierte gern – wie Federer und Nadal – eine philanthropische Ader, als Stiftungsgründer, als Lobbyist für schwächere Profikollegen. Der allgemeine Druck hinter der Spitzenrolle in der Millionenbranche, der persönliche Ehrgeiz sind aber mit in diesem großen Spiel. Djokovic wollte siegen, er wollte geliebt und anerkannt werden. Nun ist vieles von seinem Lebenswerk in Gefahr. Und die Frage lautet: Wie geht es in seiner Karriere nach diesem dunklen, denkwürdigen 6. September 2020 weiter?

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von Jörg Allmeroth

Dienstag
08.09.2020, 19:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 08.09.2020, 13:16 Uhr

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