Oscar Otte im Interview: "Das hat jetzt auch nichts mit Glück zu tun"

Oscar Otte hat 2022 nicht nur den Sprung in die Top-100, sondern gleich den Sprung unter die besten 40 Tennisspieler der Welt geschafft. Im Interview mit tennisnet.com spricht der Deutsche über seine derzeitige Knieverletzung, die Vorzüge eines guten Rankings und den ständigen Glauben, es schaffen zu können. 

von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet: 21.07.2022, 12:49 Uhr

Oscar Otte im Interview bei tennisnet.com
Oscar Otte im Interview bei tennisnet.com

Guten Tag, Herr Otte. Zunächst einmal vorweg: Wie geht es Ihnen nach Ihrer Knie-Operation?

Mir geht´s eigentlich echt ganz gut, muss ich sagen. Ich habe es mir fast ein bisschen schlimmer vorgestellt, aber ich habe gar keine Schmerzen. Ich musste ja Schmerztabletten nehmen und seit gestern bin ich in der Reha. Von daher läuft es alles ganz gut nach Plan.

Wann und wie haben Sie sich diese Verletzung zugezogen?

Um ehrlich zu sein, habe ich schon ein bisschen länger Probleme mit dem linken Knie und hatte dann bei der Rasensaison gar nichts gemerkt, nur davor auf Asche ein bisschen. Von daher war es eigentlich kein Problem. Aber dann war ja wieder eine Trainingswoche auf Asche und Bundesliga und dann – muss ich sagen – habe ich das Knie wieder ein bisschen gemerkt. Das hat mich auch ein bisschen verunsichert. Ich habe mich dann entschieden, am Freitagmorgen ins MRT zu gehen. Dann kam die Diagnose raus, dass der Innenmeniskus eingerissen ist und dann ging alles sehr schnell: Ich war beim Orthopäden, dann haben wir uns einen Kniespezialisten rausgesucht. Da hatte ich auch Andreas Mies um Hilfe gebeten, weil der hatte auch öfter Knieprobleme. Es ging alles „Rucki Zucki“: Am Sonntag hatte ich Geburtstag, dann war ich einen halben Tag beim Kniespezialisten in Köln und der hat gesagt: „Am Montag geht es los“. So war der Ablauf.

Geht es so zügig weiter für Sie? Wann ist Ihre Rückkehr geplant, gibt es da schon ein Datum?

Das ist natürlich immer schwer, zu sagen, aber das war jetzt auch kein mega großer Eingriff. Wenn alles gut läuft, dann musst du schauen, ob du vor den US Open schon ein Turnier spielen kannst. Sonst hoffentlich bis zu den US Open, aber es ist immer schwer, vorher zu sagen. Das ist so der grobe Plan bis dahin.

Zu erfreulicheren Dingen: Ihre Wochen vor Wimbledon. Mittlerweile sind Sie Nummer 40 der Welt, haben in Halle das Halbfinale erreicht. Wieso lief es in den Tagen vor Wimbledon so gut für Sie?

Das ist natürlich ehrlich eine gute Frage. Ich habe das letzte Jahr, die letzten eineinhalb Jahre konstant spielen können, hatte keine Verletzung und habe einfach wieder mega viel Selbstvertrauen getankt durch die vielen Matches und Siege auf der Challenger-Tour. Dann kamen ein paar bessere Siege auf der ATP-Tour dazu. Ich konnte regelmäßig dort spielen, weil das Ranking auch hochgegangen ist und hab mich einfach sehr wohl gefühlt. Ich war mega heiß, bin noch immer mega heiß. Jetzt bin ich leider zwar etwas verhindert, aber ich glaube, selbst nach der Verletzung wird es einfach einen Push in die richtige Richtung geben. Ich konnte mich auf meine Stärken verlassen, habe gut aufgeschlagen, war körperlich echt gut drauf. Ja, ich habe einfach mega Bock gehabt, Tennis zu spielen. Und das ist in den letzten Wochen echt sehr gut aufgegangen. Rasen kam sowieso meinem Spiel entgegen. Daher freue ich mich bereits, wenn ich wieder auf dem Platz stehen kann. Gucken wir, aber ich denke, die Hartplatzsaison wird meinem Spiel auch ganz gut entgegenkommen.

Ich habe einfach mega Bock, Tennis zu spielen.

Oscar Otte über die starken Wochen vor Wimbledon 

Mit guten Ergebnissen kommt natürlich auch eine gestiegene Erwartungshaltung – nicht nur von sich selbst, aber auch von den Menschen aus dem eigenen Land. Wie sind Sie damit umgegangen – insbesondere hinsichtlich Wimbledon?

Das hat mich natürlich mega gefreut. Ich meine, solche Reaktionen und Erwartungen kommen normal immer dann, wenn man gut spielt. Das war für mich auch einfach die Bestätigung, dass ich echt gute Wochen und Monate gezeigt habe. Ich habe die Situation ganz gut angenommen, in Wimbledon hatte ich – ja – ein schwieriges Match gegen Alcaraz. Man muss schon sagen, dass der da echt einen mega guten Tag hatte, er ist auch einfach generell ein wirklich guter Spieler. Da war wenig drinnen. Aber ansonsten, in den Wochen davor: Auch, wenn ich die Matches verloren habe, war alles drinnen, war alles auf Augenhöhe – da war ich nie weit weg. Da bin ich den Erwartungen ganz gut gerecht geworden, ja.

Mit Blick zurück auf London, da gibt es eine ganz kuriose Geschichte mit Ihrem Gepäck bei der Hinreise (Anm. Ein Koffer mit Schlägern und Saiten ging verloren). Inwieweit beeinträchtigt das einen Sportler in der Vorbereitung auf so ein wichtiges Turnier?

Das war natürlich sehr nervig, muss ich schon ehrlich gestehen. Das hat mich irgendwie jeden Tag ein bisschen mitgenommen. Irgendwann habe ich dann versucht, das einfach auszublenden, dann haben mein Trainer, meine Freundin und meine Schwester versucht, sich darum zu kümmern. Mittlerweile ist das erste Gepäckstück, was wir auf dem Hinflug verloren haben, zurückgekommen. Ich habe auf dem Rückflug nach Deutschland wieder eines verloren, das ist immer noch nicht da. In dem Moment, in dem ich in London gelandet bin und eine Tasche mit nicht ganz so unwichtigen Sachen gefehlt hat, hat das natürlich sehr genervt. Es hat aber auch so ganz gut geklappt. Ich meine, Schuhe und Saiten bekommt man immer, wenn es jetzt ein Schläger gewesen wäre, wäre es wahrscheinlich ein bisschen komplizierter geworden.

Wimbledon und Ihre Person, da gibt es ein Bild, das recht vielen Tennisfans direkt in den Kopf schießt: Als Sie in Ihrem Match gegen Andy Murray nämlich auf dem Rasen gelegen sind und diese Rauch-Geste gemacht haben. War das eine komplett spontane Reaktion oder irgendwie ein Markenzeichen von Ihnen?

Nein, Markenzeichen ist es keines, also, ich rauche nicht, also ist es kein Markenzeichen. Das ist so eine Geste, die wir früher im Freundeskreis immer wieder als Witz genutzt haben. Also da steckt ein bisschen mehr dahinter. Das kam mir dann so spontan in den Kopf. Ich habe das bereits öfter gesagt, es war eine extrem rutschige Partie damals. Ich glaube, Murray ist auch ein paar Mal hingeflogen und irgendwie musste ich dann ein bisschen Druck ablassen zu meinem Coach, um nicht völlig auszurasten am Platz (lacht).

Anfang des Jahres haben Sie den Durchbruch in die Top-100 der Welt geschafft. Mit 29 Jahren ist es ja doch etwas spät, um so einen Riesenschritt zu schaffen. Wieso kommt es exakt zu dieser Zeit? Es hat ja bereits im Vorjahr mit den starken Ergebnissen auf der Challenger-Tour angefangen.

Ich glaube, in den letzten Jahren war mein Körper immer wieder ein großes Problem, das mich immer wieder zurückgeworfen hat. Wir haben das echt gut in den Griff bekommen mit einer Trainingsumstellung und indem wir etwas mehr auf das Körperliche geachtet haben. Wir haben versucht, dass ich einfach viele Matches habe, dass ich eine Saison durchspielen kann und dass ich mal schauen kann, wohin es geht. Das war in den letzten eineinhalb Jahren der Fall: Ich habe viele Matches gehabt auf der Challenger-Tour, dann bei den US Open echt gut gespielt, enge Partien gedreht, dass auch mal Matches in meine Richtung gegangen sind. Ich glaube, das war dann der Hauptgrund: Sich selbst die Chance zu geben, nicht verletzt zu sein, einfach mal zu spielen, Tennisspieler zu sein und dadurch sind dann auch die besseren Ergebnisse gekommen. Das soll jetzt nicht blöd klingen, aber ich habe immer nur drauf gewartet, fand`s persönlich wirklich nur als eine Frage der Zeit, dass ich einmal echt gut durchspielen kann und dann für mich selbst sehen kann, ob es dann reicht. Und ich finde, das Level hat dann auch gereicht und es hat jetzt auch nichts mit Glück zu tun, dass ich so weit oben stehe. Ich bin einfach immer drangeblieben, konstant, auch, wenn mich Verletzungen zurückgeworfen haben. Da bin ich jetzt natürlich sehr glücklich drüber. Und auch jetzt wieder: Es ist zum Glück nicht eine allzu große Verletzung wie bei manch anderen, durch die ich wieder ein bisschen zurückgeworfen werde. Aber ich glaube, dass ich auch aus dieser Verletzung stärker zurückkommen werde.

Ich persönlich fand`s nur als eine Frage der Zeit. 

Oscar Otte über seinen Durchbruch in die Top-100 der Welt. 

Mit dem Ranking – insbesondere auf der ATP-Tour – gibt es ja vielfältige Implikationen. Vorrangig, dass Sie jetzt bei Turnieren, bei denen Sie vorher durch die Qualifikation mussten, bereits fix im Hauptfeld stehen. Dieses neue Mindset, dass man bereits fix Punkte hat und im Feld angreifen kann, inwieweit verändert das die Art und Weise, wie man in diesen Turnieren ans Werk geht?

Es ist natürlich ein bisschen angenehmer generell. Man muss jetzt nicht jede Woche auf Teufel komm raus einen Challenger spielen, wie es noch in einer gewissen anderen Zeit war. Man kann auch mal sagen: „Ey, jetzt nehme ich einmal eine Woche raus bei einem Turnier, jetzt erhole ich mich, trainiere mal vernünftig.“ Von daher ist mit dem Ranking die gesamte Saisonplanung angenehmer geworden, man kann sich auch einmal ein bisschen zurückziehen und man muss nicht gucken: „Ach, ich brauch jetzt die Punkte, damit ich in die Top-100 komme.“ Jetzt habe ich ein ganz gutes Ranking und möchte mich erstmal auf jeden Fall hier festigen. Deswegen: Klar, es ist einfacher zu planen, die Turniere werden größer, die Preisgelder werden größer, man kann den ein oder anderen mehr mitnehmen, der sich dann um einen kümmern. Jetzt nach der Verletzung werden Physio und Athletiktrainer ganz klar einen großen Fokus haben, dass die mich gut aufbauen, mich gut vorbereiten auf die Matches, dass mein Körper einfach stabil bleibt. Von daher bin ich sehr happy und zuversichtlich, dass es jetzt auch wieder in die richtige Richtung gehen wird.

Der finanzielle Aspekt für Spieler, die außerhalb der besten 100, der besten 150 stehen: Inwieweit macht es dieser auch schwieriger, im Ranking ganz nach vorne zu kommen?

Klar, es ist schwierig, es betrifft alle. Wenn man nicht allzu hoch steht - ich hab`s auch jahrelang durchgezogen - ist es einfach hart. Ich will mich jetzt auch gar nicht großartig beschweren. Es ist aber einfach so, wenn man 150, 200, 250 steht – klar bei den Grand-Slam-Qualifikationen gibt es dann schon ein bisschen mehr Kohle – dann kannst du dir nicht jede Woche erlauben, deinen Trainer oder deinen Physio mitzunehmen, sonst machst du einfach ein Minus. Deswegen ist es auch einfach schwierig, man muss sich da durchkämpfen. Da muss jeder seinen eigenen Weg finden, es ist nicht leicht. Ich glaube, der Sprung von der Challenger- zur ATP-Tour ist auch noch einmal schwieriger als von der Future- auf die Challenger-Tour. Da entscheidet sich dann, wer es wirklich will, wer es wirklich schaffen kann.

Wenn man aber den Durchbruch schafft, dann ist es wie bei Ihnen, dass durchaus Träume in Erfüllung gehen. Für Sie hat sich ein solcher mit der Nominierung für das Davis-Cup-Duell mit Brasilien erfüllt. Sie konnten zwar kein Einzel spielen, gut sieht es aber für Hamburg aus – wenn der Körper hält. Inwieweit ist das jetzt bereits präsent für Sie?

Davis Cup und Olympia waren und sind immer präsent für mich. Das habe ich schon vor Jahren gesagt, als ich noch weit, weit entfernt war von diesen ganzen Ereignissen (lacht). Von daher: Klar, ich möchte fit werden, ich möchte in Hamburg den Davis Cup zuhause spielen – ich denke, das wird auch etwas ganz Besonderes. Deswegen werde ich jetzt die nächsten Wochen in der Reha viel Gas geben und versuchen, für Hamburg wieder fit zu werden. Es hat in Brasilien schon mega Bock gemacht, beim Team mit dabei zu sein, ich hätte echt gerne gespielt. Ich hatte auch eine kleine Chance, aber das Team Brasilien wollte das letzte Einzel nicht spielen. Deswegen habe ich mir das jetzt für Hamburg aufgehoben und ich denke, dass ich dafür mehr als ready sein werde.

Beim Erfolg über Brasilien im März hat sich kurzfristig auch Alexander Zverev dem Team angeschlossen. Was macht seine Teilnahme mit dem Team als absoluter Top-Spieler?

Er ist dann auf jeden Fall die leitende Person als Spieler. Es war super für uns als Team, dass er zu uns gestoßen ist. Er ist einer der besten Tennisspieler der Welt. Mir persönlich hat es mega Bock gemacht, ich war die ganze Zeit auf Standby, hätte natürlich gerne gespielt und ich glaube, es war definitiv gut, dass er dabei war. Er hat mega geholfen, er hat beide Matches gewonnen. Ich hoffe natürlich auch, dass er auch fleißig ist in seiner Reha und Fortschritte macht und für Hamburg oder vielleicht schon für die US Open wieder fit sein wird.

Ich war auch glücklich, als ich auf 500 stand.

Otte auf die Frage, welche Ziele im nächsten Jahr anstehen. 

Zum Abschluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Gehen wir vielleicht ein Jahr vielleicht, was sollten Sie erreicht haben, um wirklich glücklich mit Ihren Leistungen zu sein?

Ich bin generell ein sehr glücklicher Mensch. Ich war auch glücklich, als ich auf 500 stand und ein, zwei Challenger oder Futures gewonnen habe. Ich liebe es einfach, Tennis zu spielen und dann denke ich, dass die Ergebnisse und Resultate auch einfach kommen werden. Es ist klar, es wird nicht einfach, direkt nach der Reha mein bestes Tennis abzurufen. Das weiß ich auch, darauf muss ich mich auch einstellen mental. Aber, ja gut, was haben wir jetzt, Mitte Juli? In einem Jahr? Vielleicht selbes Ranking, vielleicht Top-20? Ich weiß es nicht, mal schauen, was die Zukunft bringt.

Alles Gute für die Reha und vielen Dank für das Gespräch!

von Michael Rothschädl

Donnerstag
21.07.2022, 08:05 Uhr
zuletzt bearbeitet: 21.07.2022, 12:49 Uhr