Peter Lehrner im Interview, Teil II: "Da habe ich sogar mit 40 Kilo bespannt"

Seit über 45 Jahren bespannt Peter Lehrner Schläger für die besten Tennisspieler der Welt. Im zweiten Teil des Interviews mit tennisnet.com spricht der ehemalige Profispieler über die Vorteile von Hybrid-Saiten und erklärt, wieso die 39 Kilo Bespanngewicht von Thomas Muster eigentlich gar nicht so viel waren. 

von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet: 22.06.2021, 12:26 Uhr

Peter Lehrner gilt als absolutes Urgestein im Schläger-Tuning-Bereich
Peter Lehrner gilt als absolutes Urgestein im Schläger-Tuning-Bereich

Hier kommt ihr zum ersten Teil des Interviews mit Peter Lehrner! 

Herr Lehrner, in Ihrer zig-jährigen Erfahrung im Schläger-Tuning haben Sie natürlich auch viele verschiedene Materialien kennengelernt. Seit einigen Jahren vertraut das Gros der Tennisprofis auf Hybrid. Sind diese das Non-Plus-Ultra der Tennissaiten?

Das hängt sehr stark von der Individualität der Spieler ab. Also wenn man jetzt die Spieler hernimmt, die wirklich nur Topspin spielen, deren Hauptaugenmerk also auf dem Drall liegt, die spielen ja nicht Hybrid. Der (Anm. Rafael) Nadal und der Dominic (Anm. Thiem) etwa, die spielen kein Hybrid. Denen ist es wichtig, dass sie optimal den Drall spielen können und maximale Kontrolle behalten. Und da die natürlich mit ihrer Bespannung nur einige Games spielen, was man auch nie vergessen darf, bleibt die Bespannung in der Konsistenz, dass sie eben noch zurückrutscht, also bleibt der Snapback-Effekt aufrecht.

Auf der Bespannung in den Schlägern bildet sich ein Saitenbett, das ist nach dem Bespannen noch nicht verrieben, sondern nur eingedrückt. Durch das Spielen dann aber, durch den extremen Drall, das hohe Tempo und die extreme Geschwindigkeit des Drüberwischens entsteht eine starke Reibung und damit große Hitze. Und diese Hitze sorgt dafür, dass sich die Saiten einkerben und wenn die Saiten einmal einkerben, dann rutschen sie nicht mehr so gut zurück. Genau das ist der Grund, wieso die Spieler bei neuen Bällen auch eine neue Bespannung nehmen, weil die Saite einfach kaputt ist. Umgelegt auf den Hobbyspieler ist das erst nach ein bis zwei Monaten der Fall. Dieses Nicht-Einkerben ist bei der Hybridsaite, wenn man sie mit einer Naturdarmsaite mischt, am besten. Das heißt, die Spieler, wie Djokovic, Federer oder Nishikori, die eher eine Mischung aus geradem Spiel und Spin spielen, die spielen alle Naturdarm mit – zumeist – Luxilon gemischt, oder auch mit der Saite von Babolat. Die Naturdarmsaite wird dabei zumeist längs gespielt und die glatte Monofilsaite quer, damit dieses Zurückrutschen optimal funktioniert.

Because I´ve won Wimbledon! 

Andre Agassi zu Peter Lehrner 

Manche spielen es dann umgekehrt, um mehr Kontrolle zu haben. Die spielen die Monofilsaite längs und die Darmsaite quer. Da funktioniert der Snapback-Effekt zwar nicht so gut, es erhöht aber trotzdem die Elastizität. Ich persönlich habe eine Darm-Kunst-Mischung das erste Mal beim Agassi (Anm. Andre Agassi) 1994 gesehen, als er in der Stadthalle war, da durfte ich seine Schläger machen. Der hat eine komplett steife Kevlarsaite längs gespielt und eine dicke Babolat Naturdarmsaite quer, noch dazu hatte sein Head Radical OS damals 20 Längssaiten, also zwei mehr als normal, das war wie ein Brett. Der hat die Darmsaite gebraucht, damit das ein bisschen elastisch wird. Denn Kevlarsaiten haben eigentlich gar keinen Elastizitäts- und Dehnungskoeffizienten, das ist nur steif. Das schaffen die Bespannungsmaschinen manchmal nicht, das zu bespannen, wenn du einen Mechanismus hast, bei dem die Saite gedehnt und gemessen wird, ob die Dehnung erreicht ist. Agassi hat das aber so gespielt und ich habe ihn einmal gefragt, warum er das so spielt, weil das wirklich einzigartig war. Er hat nur gemeint: „Because I´ve won Wimbledon.“ Wie er dann doch irgendwann auf Luxilon gewechselt hat, da hat er dann auf einmal Australien (Anm. Australian Open) auch gewonnen.

In der Vergangenheit wurde ja durchaus hart bespannt, wenn man an Thomas Muster und Tommy Haas mit angeblich bis zu 39 Kilo denkt. Sie waren der Servicemann von Thomas Muster – wenn es jemand wissen muss, dann Sie.

Ich habe Tom (Anm. Thomas Muster) 1986 als jungen Spieler kennengelernt. Ronny (Ronald Leitgeb, Manager von Muster) ist damals auf mich zugekommen und hat gesagt, sie brauchen einen Servicemann, weil er so viele Bespannungen braucht und ob ich da nicht helfen könnte. Damals hat er nur Naturdarm gespielt auf dem Prestigeschläger und irgendwann kam dann Isospeed Tennissaiten. Die Firma Isosport hat ja damals sowohl den Alex (Anm. Alexander Antonitsch), als auch den Skoff (Anm. Horst Skoff) und den Tom (Anm. Thomas Muster) unter Vertrag genommen. Der Einzige, der damit nicht klargekommen ist, war der Alex, weil der hat das einfach nicht vertragen, der wollte immer Darm spielen, weil es eben auch etwas mehr für das Gefühl war. Aber der Tom hat dann mit dieser Saite gespielt, weil sein Topspinn damit sehr gut funktioniert hat.

Innerhalb von sechs Stunden sollte er damit spielen 

Die Eigenheiten der Saite von Thomas Muster

Das Problem mit dieser Isospeed-Saite war aber, dass sie innerhalb von fünf, sechs Stunden ca. 20 % Prozent an Gewicht verloren hat. Das heißt, man musste sie bespannen und gleich spielen. Im Endeffekt habe ich die Schläger, wenn ich vor Ort war, mit 38 Kilo bespannt. Dann mussten die Schläger fürs Match zwei Stunden, bevor er begonnen hat, zu spielen, fertig sein. Und innerhalb von sechs Stunden sollte er damit spielen, weil vorher war es ihm ein wenig zu hart, danach war es ihm aber zu weich. Wenn ich dabei war, dann hat er also in Wahrheit mit 33, 34 Kilo gespielt, das lag aber nur daran, dass diese Saite so schnell an Härte, die er für die Kontrolle gebraucht hat, verloren hat. Für die Babsi Paulus, die die gleiche Saite gespielt hat, wiederum mussten die Schläger zwei Tage, bevor sie gespielt hat, bespannt sein, weil die das Nachlassverhalten der Saite abgewartet hat, um während des Matches keine Gewichtsveränderung zu empfinden.

Der Sampras hat zum Beispiel in seinem Pro Staff, der kleiner war von der Fläche, mit einer dünnen 1,20er Naturdarmsaite auch mit 33 Kilo bespannt. Das war eigentlich sogar fast härter als das vom Tom. Und auch ein gewisser Björn Borg hat in seinen Holzschlägern mit 30 Kilo bespannt. Da gibt es ja auch die berühmten Geschichten, dass der Bergelin (Anm. Lennart Bergelin, Trainer von Björn Borg) in der Nacht immer wieder aufgewacht ist, weil es einen furchtbaren Knall gegeben hat, weil die Saiten im kleinen Holzschläger gerissen sind ohne Zutun. Das ist wie ein Schuss.

Das heißt, die Bespannungshärte war früher aufgrund der Multifilen- und der Darmsaiten deutlich höher als heute. Das hat natürlich auch mit diesem Nachlassverhalten der Saiten zu tun. Wenn ich die Schläger für den Tom in der Südstadt bespannt habe und wir sie ihm mit dem Flieger nachgeschickt haben, weil damals die Bespannmaschinen bei den Turnieren eine Katastrophe waren und keiner vor Ort diese 38, 39 Kilo bespannen konnte, da habe ich sogar mit 40 Kilo bespannt, da waren sie dann noch immer härter als die Bespannungen die er vor Ort bekommen hätte.

Das hat dann natürlich alles recht zügig gehen müssen, bis der Schläger bei ihm ankommt.

Früher war es dann ja noch so, dass er nicht Rücksicht nehmen konnte, in dieses Fenster von zwei bis sechs Stunden hineinzukommen. Da hat mich der Ronny angerufen und ich habe zehn Schläger bespannt, die dann einer der Journalisten oder ein befreundeter AUA-Pilot mitgenommen hat. Oder in Madrid einmal zum Finale ruft er mich am Samstagnachmittag an, dass am Sonntag das Finale ansteht und er noch fünf Schläger braucht und wenn ich will, kann ich mitfliegen. Also bin ich mit fünf Schlägern im Gepäck nach Madrid geflogen. Das war natürlich schon cool.

Aber wie gesagt, das mit der Härte hatte dann auch noch damit zu tun, dass er einen extrem schweren Schläger gespielt hat. Weil die hohe Masse von dem Schläger, den er gespielt hat, eine wirklich harte Bespannung gebraucht hat, damit das energetisch nicht zu schnell wird. Weil wenn ein Schläger mit einem Schwunggewicht von 365 voll durchgezogen wird, dann verliert man mit einer zu weichen Bespannung schnell die Kontrolle.Es sind also sehr viele Parameter, die da zusammenpassen müssen. Deswegen sind ja auch alle Schläger, die ich bei den Turnieren seit 1990 in die Hand bekommen habe und vermessen durfte unterschiedlich. Ich habe noch nie zwei Spieler gesehen, die in Bezug auf Schlägermodel, Schlägergewicht, Schlägerbalance, Schwunggewicht, Griffstärke, Bespannung, und Bespannungshärte,  etwas Gleiches spielen. Jeder spielt sein individuelles Set-Up.

Der Schläger muss natürlich genau zugeschnitten sein auf das Spiel des jeweiligen Spielers.

Natürlich, das ist wie beim Skifahren. Das Set-Up beim Tennisspieler ist in Wirklichkeit natürlich auch ein Thema. Beim Skifahren hast du aber eine Strecke und eine unterschiedliche Art von Schnee und nicht wie im Tennis einen Gegner, der dich beeinflusst. Das kommt beim Tennis noch dazu.Aber sein individuelles Gefühl, das muss man leben lassen. Die Kunst ist dabei, herauszufinden, was ist für mich wirklich ideal. Da wird – glaube ich – viel zu wenig darüber nachgedacht, insbesondere bei den jungen Spielern. Die bekommen zumeist das, was ihnen die Sponsorenfirmen vorlegen. Dann entscheiden es außerdem zumeist die Trainer, die natürlich helfen können, aber im Endeffekt kann nur der Spieler sagen, womit er sich wohl fühlt. Das ist natürlich eine sehr komplexe Geschichte, die man auch nicht nur auf die Bespannung reduzieren sollte. Das wäre zu einfach.

Was die Bespannungshärte aber noch betrifft, ist es so, dass aufgrund der monofilen Saiten, die viel weniger Elastizität und viel weniger Trampolineffekt haben, die Bespannhärten deutlich hinuntergegangen sind. Das heißt, wenn ich schau, wie wir heuer in der Stadthalle bespannt haben, dann bewegt sich das jetzt zwischen 23 und 24 Kilo. 25 ist heute schon fast viel.

Schlägerservice auf Weltklasse-Niveau bietet Peter Lehrner seit über 40 Jahren in seinem „House of Tennis“ in  Mödling. Alle Infos zum Schlägerservice des Tuningexperten findet ihr hier!

von Michael Rothschädl

Dienstag
22.06.2021, 11:53 Uhr
zuletzt bearbeitet: 22.06.2021, 12:26 Uhr