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Sky-Kommentator Paul Häuser im Interview: „Bei uns sind die Ballwechsel heilig“

Paul Häuser, 37, ist eine der bekanntesten Tennisstimmen in Deutschland. Aktuell ist er in Wimbledon am Start – ein Gespräch über den Weg ans Mikro, die Kunst des Klappehaltens und den Spaß, ein Match von Nick Kyrgios zu kommentieren.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 07.07.2021, 09:44 Uhr

Paul Häuser
© Sky
Paul Häuser

Paul, die erste Woche Wimbledon ist vorbei, jetzt wird‘s quasi ernst. Was war dein Highlight bislang beim Kommentieren?

Das war gleich am Anfang, Nick Kyrgios gegen Ugo Humbert. Da wusste ich: Das kann ein mega Match werden, alles kann passieren. Kyrgios kann glatt in drei Sätzen verlieren und es kann ein Blockbuster werden mit einem spektakulären Ende – das wurde es dann auch./

In diesem Jahr sind weniger Journalisten vor Ort in Wimbledon zugelassen als regulär. Wie seid ihr aufgestellt?

Bei uns kommt die komplette Produktion in diesem Jahr aus Unterföhring. Nur Moritz Lang ist vor Ort. Das Kuriose ist: Er war dann aber im Corona-Trackingsystem als Kontakt mit jemandem gelistet, der positiv getestet wurde. Moritz war also die ersten beiden Tage auf der Anlage, dann kam die Meldung. Jetzt muss er bis Dienstag im Hotel bleiben – bitter. Durch die EM hat Sky aber Uli Köhler in London vor Ort. Er ist nun als Ersatz akkreditiert. Uli ist eigentlich auf den FC Bayern und die Nationalmannschaft spezialisiert, jetzt ist er zum ersten Mal in seiner Karriere in Wimbledon (lacht).

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Worauf kommt‘s an, wenn man gar nicht beim Turnier sein kann zum Kommentieren?

Teils ist das etwas schwierig, weil einem die Eindrücke fehlen. Umso wichtiger ist der Austausch mit dem Reporter vor Ort. Mittlerweile ist aber auch mein Netzwerk gewachsen, ich kann mit Trainern oder Spielern auch Sprachnachrichten austauschen oder telefonieren. In der vergangenen Woche habe ich beispielsweise mit Benjamin Ebrahimzadeh und Markus Hipfl gesprochen. Das ist wichtig, auch um ein Gefühl für die Geschwindigkeit der Plätze, die Bubble zu bekommen, für das Hotel oder die doch lange Anfahrt zur Anlage in London bei dem vielen Verkehr.

Tenniskommentator ist für viele Fans ein Traumjob. Wie war das bei dir, wie bist zu Sky gekommen?

Ich habe 2012 ein Volontariat bei Sky gemacht. Ich war dann Jungredakteur, später Redakteur bei Sky Sport News. Sky hat damals ja nur Wimbledon übertragen. Aber mit dem Kauf der Rechte für die ATP-Tour ab 2017 bekam Tennis auf Sky einen anderen Stellenwert. Seitdem kommentiere ich Tennis auf Sky. Seit 2020 arbeite ich schwerpunktmäßig in der Tennisredaktion.

Erinnerst du dich an dein erstes Match, das du kommentiert hast?

Ja – Borna Coric gegen Marin Cilic in Rotterdam. Da war ich wirklich sehr nervös! Es war eine ganz andere Disziplin für mich. Vorher habe ich hauptsächlich Beiträge erstellt, Texte geschrieben, vertont. Aber das war nie live, ich hatte sozusagen mehrere Versuche. 2016 hatte ich einen Probekommentar gemacht, beim Wimbledonturnier 2016, Halbfinale, Federer gegen Raonic.

Probekommentar heißt: Du hast auf Band mitkommentiert und danach wurde das abgehört?

Genau. Und bei Federer und Raonic waren es gleich mal fünf Sätze, ein Riesenmatch! Aber es hat meine Chefs überzeugt, es hieß: Du bist dabei, wir geben dir die Chance, du darfst Tennis kommentieren. Das erste Mal wirklich live, in Rotterdam, das war schon heftig. Es war insofern gut, als dass es ein kleineres Turnier war. Ich hatte dann bald auch viele Nachtschichten, Indian Wells, Miami, vor weniger Publikum. Das war für mich wichtig, um eine gewisse Matchhärte, eine Routine zu bekommen.

Habt ihr bei Sky bestimmte Vorgaben, wie kommentiert werden sollte und wie nicht?

Bei uns sind die Ballwechsel heilig, wir versuchen, nicht in die Punkte reinzuquatschen. Das ist ein klares Korsett, aber es hat mir sehr geholfen. Weil ich gerne viel erzähle. Früher habe ich mir dann immer notiert: „Weniger ist mehr!“ Das Wichtigste ist der Sport, der auf dem Court stattfindet, die Protagonisten. Man muss auch mal was stehen lassen. Wir tauschen uns natürlich auch untereinander aus, geben uns Tipps, was gut lief, was nächstes Mal besser werden sollte. Vor allem Stefan Hempel, Marcel Meinert und Markus Götz haben mir sehr viel geholfen, die waren sozusagen Mentoren für mich.

Wenn ein Turnier wie Wimbledon ansteht, mit vielen Matches parallel, wie läuft das ab: Wird da fix eingeteilt oder darf man sich auch Matches wünschen, die man gerne kommentieren würde?

Unser Projektleiter teilt das ein, sicher auch in Absprache mit einigen Kommentatoren. In Wimbledon kommt der Spielplan gerade in den ersten Tagen meist sehr spät raus, da dauert es dann, bis wir wissen, wer welches Match kriegt. Gedanklich geht man dann mit den zwei Matches, die man am nächsten Tag hat, ins Bett. Aber die Vorbereitung beginnt erst am Morgen.

Wie bereitest du dich konkret vor?

Es gibt zum einen von der ATP, WTA und ITF die „Match Notes“, mit Statistiken und vielen Daten zu allen Matches. Dann spreche ich mit Kollegen, die meine Spielerin oder meinen Spieler vielleicht vorher kommentiert haben. Eine beliebte Frage hier: Wer sitzt in der Box? Aber die besten Infos kommen eigentlich immer von vor Ort. Idealerweise telefoniert man mit jemandem, der Zugang hat zur Spielerin oder zum Spieler.

Eine Unberechenbarkeit im Tennis ist ja, dass ein Match eine Stunde, aber auch fünf Stunden dauern kann.

Oh ja, da musste ich auch viel lernen. Am Anfang habe ich mein Pulver oft zu schnell verschossen. Nach dem Motto: Die Sachen, die ich auf dem Zettel habe, will ich unbedingt erzählen! (lacht) Ich habe mich selbst unter Druck gesetzt, wollte die vielen Geschichten, die ich recherchiert habe, auch weitergeben. Dieses „Kill your Darlings“, also nicht alles zu erzählen und die Zuschauer damit auch nicht zu überfrachten mit Informationen – das war ein wichtiges Learning. Mittlerweile habe ich eine Liste mit meinen Top-3-Geschichten, die ich unbedingt erzählen will. Die setze ich bewusst in Momenten, in denen Zeit dafür ist, bei Seitenwechseln ohne Werbung, zum Beispiel. Aber das Wichtigste ist immer das, was im Match passiert, die Analyse soll im Fokus stehen. Auch der Versuch, einen taktischen Mehrwert zu liefern. Nicht immer einfach, speziell im Rasentennis. Aufschlag und Return gewinnen hier noch mehr an Bedeutung. Wenn John Isner und Reilly Opelka spielen – joa, da kannst du Aufschlagmuster und Returnposition untersuchen, aber so viele taktische Raffinessen sind da nicht dabei.

Ein Kyrgios-Match ist dankbarer...

Jedes Match hat irgendwo seinen Reiz, ist sportliche Höchstleistung. Aber, da bin ich ganz ehrlich: Kyrgios macht mir am meisten Spaß zu kommentieren. Weil‘s so unberechenbar ist, mit so viel Show, so viel Genialität. Sein pures Talent ist überragend. Wenn ich mir ein Match aussuchen darf: Kyrgios gegen Bublik, da hast du gewonnen. Tennis braucht genau solche Typen. Kyrgios steht für sich, ist authentisch, hat sich als Persönlichkeit weiterentwickelt. Ich bin gespannt, was er uns noch für Highlights in der Zukunft liefert. Wobei immer auch ein wenig das Gefühl bleibt: Schade, dass ihm die letzte Professionalität fehlt. Sonst hätte er wohl auch jetzt in Wimbledon nicht rausziehen müssen. Er ist sicher nicht top vorbereitet für ein Grand-Slam-Turnier gewesen.

Ihr habt in diesem Jahr auch neue Experten dabei, mit Sabine Lisicki in der vergangenen Woche und mit Julia Görges in dieser Woche. Muss man sich umstellen, wenn plötzlich jemand neben einem sitzt?

Ich war schon immer begeistert vom Doppelkommentar. Privat als Fernsehzuschauer, aber auch bei der Arbeit als Disziplin. Bei den ATP Finals im vergangenen Jahr war dieser Doppelkommentar eine völlig neue Erfahrung für mich. Da habe ich mit Patrik Kühnen kommentiert, und im Doppelkommentar ist der Sprechanteil automatisch höher, das ist eine andere Intensität. Da habe ich auch Feedback gebraucht. Da muss man sich zurücknehmen, aber es ist total spannend. Als Kommentator selbst musst du dir bewusst machen: Du hat einen Experten neben dir, den musst du nutzen!

Weil Ex-Profis mehr in einem Match erkennen, eine andere Ebene wahrnehmen?

Ja, die haben ein anderes Auge. Julia Görges, die war gerade noch Profispielerin. Und Sabine Lisicki spielt noch. Was die sehen und welche Geschichten sie kennen, das ist genial für uns. Meine Aufgabe ist es dann fast nur noch, dieses Expertenwissen zu nutzen, den Mehrwert für die Zuschauer herauszukitzeln. Ich bin dann der „Anpiekser“ für die Experten und führe ansonsten entspannt durchs Spiel. Wenn dieses Zusammenspiel gut klappt, das macht ganz besonders viel Spaß.

Paul, vielen Dank für deine Zeit – und viel Spaß in Woche zwei!

von Florian Goosmann

Montag
05.07.2021, 13:10 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.07.2021, 09:44 Uhr