Sportradar-Chef David Lampitt - „Integrität ist in unserer DNA“

Sportradar ist einer der größten Anbieter von Sportdaten weltweit. David Lampitt, Managing Director von Sportradar, nimmt im Interview mit tennisnet zu den dringenden Fragen Korruption, Schutz von Spielern und der notwendigen Zusammenarbeit aller am Tennissport Beteiligten Stellung.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 31.12.2019, 11:02 Uhr

David Lampitt, Managing Partner von Sportradar
© Sportradar
David Lampitt, Managing Partner von Sportradar

tennisnet: Mr. Lampitt. Erst vor wenigen Tagen gab es in deutschen Medien Berichte über einen Wettskandal im Tennis. Wie effektiv bekämpfen die Institutionen im Tennis dieses Problem?

David Lampitt: Historisch betrachtet gab es immer wieder große Herausforderungen mit Korruption, die mit Wetten zu tun hatten. Diese haben die die große Überprüfung der Integrität im Tennissport - das Indendent Review Panel (IRP) - hervorgebracht, die zwischen 2016 und 2018 durchgeführt wurde. Ein Kreis hat sich geschlossen. 2009 wurde die Tennis Integrity Unit (TIU) gegründet, um die Anstrengungen hinsichtlich Integritätsfragen im Sport zu zentralisieren. Was ein sehr fortschrittlicher Schritt im Tennis war. Allerdings: die Geschwindigkeit, mit der sich der immer breitere Wettmarkt verändert hat, hat die ursprünglichen Investitionen in die Wahrung der Integrität, überholt. Das IRP hat ein paar eindeutige Vorschläge zur Verbesserung der Situation gemacht, und wir sind nun in der Phase, in der diese implementiert werden. Einige Dinge wurden in der Praxis bereits erfolgreich umgesetzt, andere müssen erst angepackt werden. Die Institutionen im Tennis haben das Problem aber erkannt. Es geht nun lediglich darum, dieses auch korrekt anzugehen.      

tennisnet: Der Weltverband, die ITF, möchte nun Wetten auf 15.000-Turniere auf der ITF-Tour verbieten. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Schritt?

Lampitt: Das war tatsächlich einer der Vorschläge, die von der unabhängigen Überprüfung herrühren, auch wenn wir da aus mehreren Gründen unsere Bedenken angemeldet haben. Die überwältigende Mehrheit der Matches auf diesem Level wird ehrlich ausgespielt, und selbst die Daten des IRP zeigen deutlich, dass es ein viel größeres Risiko für Korruption auf einer höheren Stufe der Tennispyramide als dem ITF-Level gibt. Unser Position war schon immer, dass wir einen zielgerichteten Ansatz als besser geeignete Antwort bevorzugen, als alle über einen Kamm zu scheren und die Spieldaten auf allen Levels einzustellen. Wenn man einen Generalansatz wählt, riskiert man das Entstehen eines Wett-Schwarzmarktes. Das IRP selbst war so ehrlich einzugestehen, dass es die Konsequenzen ihrer Vorschläge nicht mit Gewissheit vorhersagen konnte. Wir unterstützen natürlich alle Maßnahmen, um die Integrität des Sportes zu stärken und zu verbessern, und wir unterstützen auch den Prozess als Ganzen. Aber wir sind auch davon überzeugt, dass dieser Prozess nur erfolgreich sein kann, wenn man alle anderen damit verbundenen Maßnahmen ebenfalls implementiert. Und wenn man diese Maßnahmen auch ständig überprüft.

tennisnet: Wie sehen die finanziellen Konsequenzen der Vorschläge des IRP aus? Vor allem für die kleinen Turniere?

Lampitt: Da gibt es zwei Aspekte: steigende Kosten und sinkende Erträge. Auf der Kostenseite bedeutet das, dass sichergestellt werden muss, dass auf diesem Level keine Daten gesammelt werden können. Man muss Zugangs- und Akkreditierungskontrollen einführen, dazu sollte man ein funktionierendes Überwachungssystem haben. Auf der Einnahmenseite: Unsere Vereinbarung mit der ITF deckt 15.000- und 25.000-Dollar-Events der World Tennis Tour bei Frauen und Männern ab, dazu die 60.000-, 80.000- und 100.000-Veranstaltungen bei den Frauen. Wenn man die 15.000er aus der Berichterstattung rausnimmt, gibt es in der gesamten Verwertungskette finanzielle Konsequenzen. Es würde offensichtlich die ITF beeinflussen, die dann weniger Geld zur Verteilung an ihre nationalen Verbände hätte. Das wiederum träfe die Verteilung an Turniere und Spieler. Und natürlich hat das auch Auswirkungen auf Sportradar. Wir haben also mit der ITF daran gearbeitet, die Anzahl der 25.000er-Events zu erhöhen. Das sollte mehrere Vorteile bringen: Minimierung des Risikos eines Schwarzmarktes für Matchdaten, weil die Nachfrage ja gedeckt ist. Mehr Möglichkeiten, auf einem höheren Level zu spielen. Und schließlich, ganz wichtig, das Erhalten der finanziellen Stabilität und der Sicherheit des Tennissports auf diesem Niveau.

tennisnet: Wie könnte ein Unternehmen wie Sportradar (oder Betradar) kleineren Turnieren dabei helfen, die Integrität zu erhöhen?

Lampitt: Integrität ist in unserer DNA. Wir waren das erste Unternehmen, dass ein neuartiges Fraud Detection System ins Leben gerufen hat, das viele Preise gewonnen hat und von zahlreichen Sportorganisationen weltweit genutzt wird. Wir nehmen unsere Verantwortung extrem ernst, zumal wir die Technologie und das Wissen haben. Wir sind stolz auf unser Erbe und unsere Bilanz. Wir haben mit unsere Expertise und unseren Analysen mehr als 200 Fälle  von manipulierten Matches identifiziert und gelöst.Wir arbeiten sehr eng mit der ITF zusammen - und die ITF macht deutlich mehr als alle anderen Organisationen im Tennis, um die Probleme anzugehen. Die systematische Überwachung hat 2018 begonnen, unser System läuft also seit zwei Jahren. Und wir haben auch zielgerichtet unsere Berichterstattung abgezogen. Dieser Ansatz scheint zu positiven Resultaten beizutragen, nachdem die Anzahl der Wettalarme bei ITF-Turnieren 2019 um mehr als 60 Prozent gesunken ist, wie die Daten der TIU bestätigen.

"Sportradar arbeitet sehr eng mit der TIU zusammen"

tennisnet: Die offiziellen Datenanbieter wie Sportradar oder IMG, aber auch die Wettanbieter investieren sehr viel Geld in den Tennissport, sei es durch Datenrechte, Streamingrechte, TV-Werbung, etc. Aber es scheint, als ob sie die Bösewichte seien (bestätigt durch das Verbot, Turniere zu sponsern). Was könnte, was sollte getan werden, dass jedermann im selben Boot sitzt, dass die Integrität im Tennissport gesteigert wird - und wie können die Anbieter von Sportdaten und Resultaten der Tennis Integrity Unit noch mehr helfen?

Lampitt: Wir arbeiten schon sehr eng mit der TIU zusammen und sehen unsere Investition in die Integrität des Sorts als unsere Pflicht und Verantwortung im Datenbusiness. Diese Zusammenarbeit ist zentral - und sie ist auch im Interesse von allen Seiten - der Tennis-Organisationen, der Datenabieter und der Wettanbieter - damit wir einen sauberen und glaubhaften Sport haben. Das wollen wir alle. Die Fragen des Sponsoring ist eine weitere Empfehlung des IRP und die Durchführung liegt wiederum beim Aufsichtsrat der TIU. Wie bei allen diesen Maßnahmen, müssen wir auch hier eine Balance zwischen den kommerziellen Interessen und dem Risiko von rufschädigenden Vorgängen finden.

tennisnet: Spieler werden nach Matches häufig mit Drohungen konfrontiert. Kann Sportradar mit Daten dabei helfen, die Personen oder Strukturen hinter diesen Drohungen zu finden?

Lampitt: Das ist eine sehr interessante Frage. Wir freuen uns über die Herausforderungen, die man als Aufsteiger auf der Tour zu bewältigen hat. Und wir wissen von vielen Beispielen, dass Spieler nach ihren Matches beleidigt werden. Die sozialen Medien haben natürlich dazu beigetragen, dass dies möglich ist. Jede Art von Beleidigung ist nicht akzeptabel. Wir haben in unserer Antwort auf das IRP gesagt, dass die Technologie genutzt werden kann, um Spielern in diesem Prozess zu helfen und sie zu unterstützen. Und wir haben gesagt, dass wir das gerne unterstützen. Aber man braucht ein glaubwürdiges System. Und einen robusten Berichtsmechanismus, gepaart mit Ressourcen, um Resultate zu bekommen und zu bestätigen - und dafür braucht es viele Parteien, die zusammen arbeiten. Das erstreckt sich bis zur Identifizierung der Personen, die die Beleidigungen oder Drohungen posten. Hier kann die Technologies sicherlich eine Schlüsselrolle einnehmen. Darüber hinaus könnte es Unterstützung von legalen Wettanbietern geben, die Wetter einschränken oder für eine Zeit lang von Tenniswetten ausschließen, wenn man herausgefunden hat, dass diese Spieler bedrohen. Das gesamte Ökosystem muss zusammenarbeiten, um in dieser Frage eine Lösung zu finden.

"Im Tennis ist das Risiko nicht größer als in anderen Sportarten"

tennisnet: Wettanbieter sehen den Tennissport als eine der am leichtesten verwundbaren Disziplinen für illegale Aktivitäten an. Wie sehen Sie das? Was kann getan werden? Und führt ein sehr geringes Einkommen eher zu Korruption im Tennissport?

Lampitt: Lassen Sie mich zuerst sagen: Im Tennis ist das Risiko nicht größer als in anderen Sportarten. Das geringe Einkommen im Tennis auf dem unteren Level ist eine Herausforderung für den gesamten Sport und auch ein Thema, das das IRP in seinen Vorschlägen behandelt hat. Aus Sicht der Integrität ist das sicherlich ein Faktor, aber ganz sicher nicht der wichtigste. Wie scon gesagt: Die Daten des IRP legen nahe, dass die Wahrscheinlichkeit eines manipulierten Matches auf ATP-Tour-Level viel höher als auf ITF-Level war. Und Spieler auf der ATP-Tour verdienen offensichtlich viel mehr Geld, das Einkommensniveau ist also nicht der einzige bestimmende Faktor.

tennisnet: Inwieweit sollten staatliche Behörden im Kampf gegen die Korruption stärker involviert werden? Werner Becher, früher Chef von Interwetten und nun in Ihrem Unternehmen, hat das vor ein paar Jahren angeregt.

Lampitt: Es muss einen kombinierten Ansatz geben. In Sachen Integrität haben wir mit den Justizbehörden (national und international) zusammengearbeitet, diese mit unseren Daten unterstützt, ihnen geholfen, die Komplexität des organisierten Verbrechens im Sport zu verstehen. Regierungen haben ganz sicher eine zentrale Rolle darin sicherzustellen, dass die Gesetze so gestaltet sind, dass mit dieser Art von Korruption umgegangen werden kann. Und wie überall sind die Anstrengungen dort am effektivsten, wenn es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Sport, der Industrie und den staatlichen Institutionen gibt.

tennisnet: Zum Abschluss noch: Wie groß ist der Wett-Schwarzmarkt? Und können Datenanbieter wie Sportradar etwas tun, um diesen einzudämmen?

Lampitt: Die ehrliche Antwort ist: Niemand weiß, wie groß dieser Markt ist. Es gab dazu vor ein paar Jahren eine Studie des International Centre for Sport Security, und die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass der Schwarzmarkt mindestens so groß ist wie der legale Wettmarkt. In vielen Teilen der Welt ist das Wetten verboten. Und wird dennoch über Agenten und Bargeld-Transaktionen abgewickelt. Unsere Position ist ganz klar, dass man die Transparenz am besten fördern und kontrollieren kann, wenn der Wettmarkt in einer effektiven und progressiven weise reguliert ist. Die Regierungen profitieren dabei nicht nur über Steuereinnahmen, sondern erlassen auch Lizensierungsauflagen, kontrollieren den Markt, erhöhen dessen Transparenz und erhöhen den Schutz der Kunden. Weltweit haben wir ein Muster gesehen, dass man sich in Richtung eines legalisierten und regulierten Markt bewegt, wie etwa in den USA in den vergangenen 18 Monaten. Und das kann nur gut für den Sport und die Fans sein.

von Jens Huiber

Dienstag
31.12.2019, 11:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 31.12.2019, 11:02 Uhr