Schulteroperation, Saison-Aus, bis zu zehn Monate Pause, doch „so höre ich nicht auf“
Tommy Haas muss zum vierten Mal an der Schulter operiert werden. Und will trotzdem nochmal das Comeback versuchen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
16.06.2014, 13:10 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Es ist gute Tradition, dass die Finalisten der Gerry Weber Open am Samstagabend, bei der rauschenden „Fashion Night" des Modekonzerns, noch einmal zum netten Smalltalk auf der Bühne erscheinen. Vor zwei Jahren stand Tommy Haas da gemeinsam mitRoger Federerim Rampenlicht, Haas, der gefeierte Rückkehrer, der ein fast unwirkliches Comeback mit immer neuen Triumphen veredelte. 2012 gewann der nimmermüde Stehaufmann dann sogar noch den Pokal in Halle, ausgerechnet gegen seinen Freund und langjährigen Weggefährten Federer, der hinterher sagte: „Wenn ich schon nicht gewinne, dann gönne ich es keinem mehr als Tommy.
Auch am letzten Samstagabend saß der 36-jährige Haas wieder an diesem Tisch, doch nicht mehr als Turnierspieler, sondern weil er noch einmal für einen Sponsorentermin nach Halle gekommen war. Haas plauderte lange mit Wimbledon-FinalistinSabine Lisicki, mit deren Lebensgefährten Oliver Pocher. Später gab es noch einen kurzen Smalltalk mit dem späteren Champion Roger Federer. Wer genau hinschaute, konnte betretene Mienen in den Gesichtern von Haas und seinen Gesprächspartnern entdecken, einen merkwürdigen Ernst in der rundum so ausgelassenen Feierstimmung. Und in der Tat: Was Haas ihnen da mitteilte, den Freunden und Kollegen, das war niederschmetternd und gallenbitter.
„Die Schulter ist im Arsch“
Denn an diesem Dienstag, wenn sich der gesamte Tennistross zu den grünen Tennisfeldern des All England Clubs bewegt, wird Haas, der Lazarus und ewige Pechvogel des Wanderzirkus, in New York zum vierten Mal in seiner Karriere an der Schulter operiert. Einrisse der Supraspinatussehne und der Bizepssehne machten den Eingriff beim Spezialisten Dr. David Altchek „zwingend nötig", sagt Haas: „Auf Deutsch gesagt: Die Schulter ist im Arsch. Ich muss das jetzt machen." Es soll, zumindest ist das der feste Wille von Haas, aber noch nicht das Aus für seine Arbeit als Berufsspieler sein: „Ich will so nicht aufhören. Ich will das Buch zu meinen Bedingungen schließen", sagte der 36-jährige, „es wird ein verdammt schwerer, ein verdammt langer Weg. Aber ich bin noch motiviert, diesen Weg zu gehen." Und doch ist sich Haas auch bewusst, dass er nun vor der allerschwersten seiner vielen schweren Rückkehrmissionen steht, mehr denn je ohne alle Gewissheiten: „Ich werde alles tun, was ich kann. Alles geben, was ich drin habe. Ob es reicht, steht auf einem anderen Papier." Acht bis zehn Monate wird Haas brauchen, um noch einmal von vorne anzufangen auf der Tour, fünf Monate erst einmal, bis er wieder die ersten Bälle spielen kann. „Im Moment habe ich den größten Hass darauf, zehn Tage in der Schlinge rumzulaufen, nach der OP", so Haas, „das ist immer das Schlimmste."
Die 2014er-Saison der Unerfreulichkeiten erreicht für Haas damit genau ihren Tiefpunkt, da der Tennisbetrieb vor dem Saisonhöhepunkt im All England Club steht. Immer wieder hatte Haas in den letzten Monaten wegen der lädierten Schulter schon Turnier absagen oder während der Wettbewerbe aufgeben müssen. Dann kam der verhängnisvolle Moment bei den French Open, das Spiel gegen den EstenJürgen Zopp, bei dem Haas bei einer 5:2-Führung im ersten Satz plötzlich bei einem Vorhandschlag zusammenzuckte, schmerzverzerrt zur Bank schritt - und wenige Minuten später aufgab. Zwar probierte Haas in den nächsten zehn, zwölf Tagen noch ein paar Mal, wieder das Training aufzunehmen, doch es blieb eine aussichtslose Angelegenheit: „Die Schmerzen waren übermächtig. Sie haben mich sogar im ganz normalen Alltag plötzlich behindert." Eine letzte Kernspintomographie nach der Absage für das ATP-Turnier in Halle ergab dann absolute Gewissheit, den Zwang zur Operation der Schulter: „Ich brauche eine gute Rehazeit, gute Therapeuten und gute Motivation, um das jetzt zu schaffen. Um den Traum von einem Comeback zu verwirklichen, den Traum, auf einem Centre Court aufzuhören."
Keiner hat „mehr verfluchtes Pech“ als Haas
Haas' langjähriger Trainer und Mentor Nick Bollettieri hat einmal gesagt, keiner in dieser Spielergeneration habe „mehr verfluchtes Pech" gehabt als der Deutsche, der einst im Alter von zwölf Jahren in seine berühmte Akademie kam. Wer weiß, was Haas hätte erreichen können, wenn ihn sein Körper nicht so oft und hartnäckig im Stich gelassen hätte - schon seit Mitte 20 plagt er sich mit Schulterproblemen herum. Die Operation an diesem Dienstag ist bereits der vierte Eingriff an der Schulter seit 2003. Auch am Ellbogen und an der Hüfte wurde Haas zwischenzeitlich noch operativ behandelt.
Zurück kam er wieder und wieder zum Erstaunen des Publikums, beim letzten Comeback sogar in einem atemberaubenden Aufstieg bis auf Platz zwölf der Weltrangliste. Der älteste Deutsche auf der Tour war er, aber auch noch der Stärkste. Federer, der alte Freund, sagte am Samstag: „Ich hoffe das Beste für Tommy. Und wenn es einer schafft, dann er." Haas nahm das als „Inspiration" mit auf den Weg nach New York - und auf den Weg der nächsten qualvollen Monate.