Angelique Kerber trotz „unmenschlich gutem Auftritt“ zweite Siegerin im Finale
Angelique Kerber zeigt im Wimbledonfinale großes Tennis, doch es reicht nicht ganz, um Serena Williams zu besiegen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
09.07.2016, 07:16 Uhr

Von Jörg Allmeroth aus London
Es war nichts weniger als großes Tennis. Das beste, spektakulärste Damenfinale seit einer kleinen Ewigkeit. Und es fehlte nicht viel an diesem denkwürdigen 9. Juli 2016 zur großen Sensation, zum Sturz der haushohen TitelfavoritinSerena Williamsdurch eine überragend aufspielendeAngelique Kerber:Wie vor fünf Monaten in Melbourne begegneten sich die Deutsche und die US-Amerikanerin auf Augenhöhe in einem Grand-Slam-Endspiel, doch auf Wimbledons heiligem Centre-Court-Rasen hatte die Frontfrau des Tennis das bessere Ende, 7:5 und 6:3 lauteten die trockenen Zahlen zu einem mitreißenden Duell voller Power, Raffinesse und atemraubender Ballwechsel.
Mit dem hart erkämpften Erfolg zog die jüngere Williams-Schwester nach Grand-Slam-Pokalen gleich mit Steffi Graf, beide haben nun 22 Titel und auch jeweils sieben Wimbledon-Trophäen eingesammelt. „Serena hat es verdient. Sie ist eine würdige Siegerin, eine großartige Persönlichkeit. Ich habe alles, absolut gegeben, aber es hat trotzdem leider nicht gereicht“, sagte Kerber nach der Partie, eine stürmisch umjubelte und gefeierte Debütantin, deren 81-minütiges Final-Gastspiel auf dem berühmtesten Tennisplatz des Planeten beste Eigenwerbung war. „Ein unmenschlich guter Auftritt von Angie“, befand Bundestrainerin Barbara Rittner, „sie hat Serena bis ans Limit herausgefordert.“
Centre-Court-Abenteuer voller Drama und Thrill
In vielen Frauenfinals der letzten Wimbledon-Jahre erlebten die Zuschauer nervöse Premierenauftritte, einseitige Spielverläufe, schlicht gähnende Langeweile. Doch das zweite große und bedeutende Kräftemessen zwischen Williams und Kerber war ein wunderbares Centre-Abenteuer voller Drama und Thrill. Und zwar vor allem wegen Kerbers zupackender Attitüde: Die Deutsche, als krasse Außenseiterin gehandelt, war nicht gekommen, um nicht zu verlieren. Sondern, um zu gewinnen. „Für mich hat sie noch besser als in Melbourne gespielt“, sagte später Legende Martina Navratilova, „sie hat in jeder Sekunde gezeigt, warum sie in dieses Finale gehörte.“
Zwanzig Jahre nach Steffi Grafs letztem Triumph im grünen Tennis-Paradies war jedenfalls eine deutsche Spielerin zu sehen, die auf großer Bühne Champions-Qualitäten zeigte, ohne auch als Champion das Turnier zu verlassen. „Angie bringt immer das Beste und Stärkste aus mir heraus. Es war ein leidenschaftlicher Kampf“, sagte Siegerin Serena. Nicht nur das: Es war auch ein Spiel, das zeigte, warum am kommenden Montag die beiden Endspiel-Rivalinnen die beiden vorderen Plätze in der Weltrangliste belegen – Serena als Nummer eins, Kerber als Nummer zwei.
Nur zwei kurze Schwächephasen von Kerber
In der Hauptrolle der großen Entschleunigerin des kraftvollen Spiels und der Aufschlaghiebe von Williams brillierte Kerber lange Zeit vortrefflich. So sehr, dass Titelverteidigerin Williams im ersten Satz über alle möglichen Probleme lamentierte, über den Rasen, über die Schlägerbespannung – wohl wissend, dass ihr eigentliches Problem die umherflitzende, wie beseelt auftretende Kerber war, ein wahres Lauf- und Energiewunder. „Es war klar, dass Serena Schwierigkeiten kriegen würde, wenn die Ballwechsel länger werden“, sagte Expertin Navratilova, „das war Kerbers Ziel, und das hat sie fast immer erreicht.“ Letztlich waren es zwei kurze Schwächephasen der Deutschen, die Altmeisterin Serena, die 34-jährige Wuchtbrumme, kühl und brutal ausnutzte. Einmal bei eigener 6:5-Führung im ersten Satz, als Kerber überhaupt die ersten beiden Breakbälle im Match zuließ und den Auftaktdurchgang auch 7:5 verlor.
Noch bitterer für das tüchtige Nordlicht war das Ende des Spiels, das Ende aller Comeback-Hoffnungen, das Ende aller Siegträume. Wieder hatte Kerber im zweiten Satz prächtig mit der US-Amerikanerin mitgehalten, führte bei 3:4-Rückstand mit ihrem eigenen Aufschlag 40:15. Doch mehrere völlig untypische Fehler führten nicht nur zum 3:5-Break, sondern nur anderthalb Minuten später auch zum Matchverlust. Die letzten acht Punkte der Partie gingen ausnahmslos an Williams, die oft nur dank ihrer Asse und Aufschlagpower im Spiel geblieben war. Und die im 28. Grand-Slam-Endspiel nun doch jenen 22. Grand Slam-Titel holte, dem sie seit dem letzten Wimbledon-Jahr nachgelaufen und dabei immer wieder gescheitert war – in Australien auch gegen Schreckgespenst Kerber. Nun gewann Kerber zwar wieder gegen eine Vertreterin aus dem Hause Williams, aber nur im Halbfinale, gegen Big Sister Venus. Der Schlussvorhang für Wimbledon senkte sich aber für die Beste dieser Epoche, Serena.
Hier die Damen-Ergebnisse aus Wimbledon.