Wimbledon: Jan-Lennard Struff und sein Auslosungspech - "Was hat der Tennisgott gegen den Warsteiner?"
Jan-Lennard Struff ist der Auslosungs-Pechvogel der jüngeren Tenniszeit. In Wimbedon hat er mit Daniil Medvedev gleich zum Auftakt einen harten Brocken vor sich - allerdings auch gute Erinnerungen an das letzte Duell.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
29.06.2021, 08:22 Uhr

Es waren nur ein paar Augenzeugen dabei, als Jan-Lennard Struff kürzlich im Pressezentrum von Halle seiner Aufgabe als Ziehungsbeauftragter für das ATP 500-Spektakel nachkam. Ein paar Worte zur schmucklosen Zeremonie fielen von den anwesenden Funktionären, dann zog Struff die allererste Nummer aus dem Lostopf. Es war die 13. Struff überlegte einen Moment, dann war klar: „Die 13, das bin ja ich.“ Und weiterhin war damit auch klar: Struff, der nicht gerade vom Losglück geküsste Sauerländer, hatte sich den nächsten dicken Brocken zu einem Turnierstart selbst aufgetischt, den topgesetzten Daniil Medvedev, die Nummer 2 der Weltrangliste.
Struff ist keiner, der mit seinem Schicksal hadert. Bei den Rasenspielen in Ostwestfalen gewann er gegen Medvedev, auch wenn der „nun mal eine echte Kante ist, ein Hammerkerl.“ Und was soll man sagen: Wenn an diesem Dienstag das Turnier der Turniere in Wimbledon auch für Struff beginnt, dann wird er wen wiedersehen auf der anderen Seite des Netzes – Medvedev natürlich, den kauzigen Russen, der nach der Erstrundenpleite gegen den Deutschen die Woche drauf in Mallorca kräftig Gas gab und den ersten Grasplatz-Titel seiner Karriere gewann.
„Mega-Aufgabe, das Ganze“, sagt Struff vor der neuerlichen Begegnung, lakonisch wie immer. Aber auch so unverdrossen wie immer. „Ich bin nicht nach London gekommen, um gleich auszuscheiden“, sagt der 31-jährige, „ich werde einen echten Fight liefern.“ Seine Fans im Internet-Universum hadern derweil mit dem Schicksal, eine Twitter-Userin fragte sich verärgert, „was der Tennisgott gegen den Warsteiner hat.“
Struff: Immer wieder Hammerlose...
Gute und erlaubte Frage. Denn Struff, der am Dienstag genau so wie Alexander Zverev und auch Bad Homburg-Siegerin Angelique Kerber ins Geschehen eingreift, ist tatsächlich seit anderthalb Jahren von allen Auslosungsgeistern verlassen. Es begann schon bei den Australian Open 2020, dem letzten Grand-Slam-Turnier und Tennis-Großereignis vor der Pandemie – da knallte der Auslosungscomputer dem 1,93-Meter-Giganten einen gewissen Novak Djokovic vor den Kopf. „Hätte jetzt auch eine Spur leichter sein können“, merkte Struff sarkastisch an. Er lieferte ein großes Match, verlor den ersten Satz im Tiebreak, gewann den dritten Satz, schied schließlich in vier Grand-Slam-Akten aus. Und seitdem? Immer wieder Hammerlose für den Familienvater, den alle nur „Struffi“ nennen. Djokovic in Melbourne hinzugezählt, musste er inzwischen bei neun Turnieren sofort gegen Top 20-Konkurrenz antreten.
Jammern und Lamentieren über die bösen Launen des Schicksals ist allerdings nicht Struffs Ding. Ganz im Gegenteil: Ein ums andere Mal hat er mit Mut und Courage, mit Mumm und Leidenschaft die Favoriten vom Sockel gestürzt. Hinter Alexander Zverev hat er sich in jüngerer Vergangenheit als zweiter deutscher Spieler von internationalem Format etabliert, „Struffi“, sagt Zverev, „ist eine echte Granate. Ein Typ auch, den man gern haben muss.“ Im Nationalteam spielten Zverev und Struff immer wieder gedeihlich zusammen, im Einzel und vereint als Doppelpartner.
Struff pragmatisch: "Sachen nehmen, wie sie kommen"
Über die letzten Jahre hat sich Ü30-Profi Struff mit Beharrlichkeit und Entdeckermut unter tätiger Anleitung seines Coachs Carsten Arriens stetig verbessert und sein spielerisches Portfolio modernisiert. Struff ist zum gefährlichen Allrounder geworden, der immer und überall in der Welt des Wanderzirkus gefährlich sein kann. Auch der Russe Andrey Rublev, der in den letzten 18 Monaten die meisten Siege aller ATP-Akteure verbuchen konnte, bekam zuletzt Struffs Qualitäten zu spüren: Im French Open-Auftaktmatch Ende Mai ging der Moskowiter geschlagen vom Platz, niedergerungen in fünf langen Sandplatz-Durchgängen. „Man muss die Sachen halt nehmen, wie sie kommen“, findet Struff – und gibt damit auch das Motto gegen Medvedev, den amtierenden ATP-Weltmeister, in Wimbledon vor.
Im All England Club würde Struff nur zu gerne mal in die zweite, prickelnde Turnierwoche vorstoßen. Vor drei Jahren gewann er zwei denkwürdige Fünf-Satz-Matches, auch gegen den Kroaten Ivo Karlovic, den „Herrn der Asse“, ehe er dann Roger Federer in der Runde der letzten 32 gegenüberstand. „Ein Monstermoment“, sagt Struff, „Centre Court gegen Roger, das war schon ein Erlebnis.“ Auch wenn er in drei Sätzen verlor gegen den Maestro, den achtmaligen Champion. Struff hat noch so einiges vor, dieser spätberufene Riese mit dem echten Wumms und dem gewinnenden Gemüt. Ein „größeres Turnier“ gewinnen will er früher oder später. Und demnächst auch eine gute Partie abgeben im Einzel und Doppel in Tokio. An der Seite seines Kumpels Zverev könnte da durchaus eine Überraschung drin sei.
Hier das Einzel-Tableau in Wimbledon