Wo ist der nächste Melzer? Aufholbedarf in der Jugendarbeit

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 05.06.2010, 12:00 Uhr

Von Manuel Wachta

Endlich wieder ein Lebenszeichen des österreichischen Tennis: Jürgen Melzer hat bei den French Open in Paris mit seinem sensationellen Einzug ins Halbfinale für Furore gesorgt. Doch werden ähnlich starke Leistungen wie jene des 29-Jährigen auch den derzeit noch 15 und mehr Jahre jüngeren heimischen Talenten gelingen? Die Tiroler Ex-Profispielerin Petra Rußegger ist gemeinsam mit dem Wiener Martin Pauer für den Österreichischen Tennisverband im Nachwuchsbereich eingespannt. Wie die beiden aktuell die Situation um die heimischen Youngsters sehen und was sich ganz dringend ändern muss, erklärten sie im Gespräch mit tennisnet.com.


Wo ist der nächste Melzer? Diese Frage stellt sich nach den großartigen Auftritten von Österreichs Nummer eins in Paris. Doch außer etwa Niki Moser, Dominic Thiem und Tina Kandler drängen derzeit nur wenige hoffnungsvolle heimische Jugendliche ins Profitennis nach. Beim ÖTV ist man gewillt, diese Situation so rasch wie nur möglich zu ändern und hat daher personelle Neubesetzungen vorgenommen - denn "es gibt großen Aufholbedarf", wie Martin Pauer und Petra Rußegger feststellen. Die beiden sind seit Oktober des Vorjahres als Bundesnachwuchstrainer für die U12- und U14-Talente zuständig. Eine sehr interessante, aber auch ebenso anspruchsvolle Aufgabe. Diesen Eindruck haben die U12-Meisterschaften in Klosterneuburg und die U14-Meisterschaften in Dornbirn, die vom 20. bis 26. Mai stattgefunden haben, nur verstärkt. Ob sich in der jüngeren Garde vielleicht der nächste Melzer versteckt hält, ist noch schwer zu beurteilen, fest steht aber: "Die Spitze ist bei den Burschen und Mädchen gut, das Potential ist sicher vorhanden."

"Private Initiativen verstärkt fördern"
Doch wie sieht eigentlich das Aufgabengebiet von Pauer und Rußegger aus? Pauer klärt auf: "Wir machen Sichtungen, Kadereinteilungen, beobachten das Umfeld, stehen laufend in Kontakt mit Spielern und Trainern und versuchen zu helfen. Wir prüfen auch, ob die Talente gute Rahmenbedingungen vorfinden, geben unsere Eindrücke an ihre Betreuer weiter, können aber nur Empfehlungen abgeben." Teil des Konzepts ist es laut Pauer auch, "private Initiativen verstärkt zu fördern, sofern die Rahmenbedingungen passen. Viele Spieler können nicht zu Turnieren, anderen fehlt es wiederum an geeigneten Sparringpartnern - da unterstützen wir und versuchen, kooperativ zu arbeiten. Die Letztverantwortung liegt aber immer noch bei den Trainern selbst, und dessen müssen sie sich bewusst sein."

Warten auf den Nachschub
Die von Innsbruck aus arbeitende Rußegger war bei U14-Titelkämpfen zugegen - und sehr verwundert: "Die Dichte fehlt derzeit völlig. Das merkt man vor allem in der Qualifikation, wo in der ersten und zweiten Runde wirklich nur sehr wenige gute Spieler dabei sind, ist aber ein generelles Problem, das sich bis zu den Erwachsenen hindurch zieht." Die 31-Jährige erinnert sich: "Als ich aktiv war, hat's bei den Tiroler Meisterschaften noch eine Qualifikation gegeben. Heutzutage kommen da vielleicht 16 Teilnehmerinnen zusammen." Einziger Lichtblick: "Es spielen auch wieder mehr Kinder Tennis als noch vor ein paar Jahren. Und ich glaube, auf diesen Nachschub muss man derzeit einfach ein bisschen warten."

"International wird früher professioneller gearbeitet"
Den Jüngeren schaute Pauer in Klosterneuburg genau auf die Beine - und stellte fest: "Es ist sehr offensichtlich, dass international schon eine Altersklasse früher weitaus professioneller gearbeitet wird." Was dem 42-Jährigen auffällt: "Viele Kinder wachsen mehr oder weniger erst durch Zufall mit der Zeit ins Nachwuchstennis hinein. Sie müssten mit zwölf Jahren aber technisch und von den Spielzügen her schon viel weiter sein. Man darf im jungen Alter aber nicht nur auf die tennisspezifische Ausbildung schauen, sondern muss vor allem auch die gesamtkörperlichen Fortschritte forcieren. Zum Glück hat (tennisnet.com-Kindertennis-Experte) Michael Ebert da schon sehr viel bewegt."

Drei Hoffnungen
Während Barbara Haas bei der Spring Bowl in St. Pölten gegen die bis zu vier Jahre ältere Konkurrenz ankämpfte, bei dem internationalen U18-Turnier das Halbfinale erreichte und Österreichs derzeit wohl größte Hoffnung ist, machten sich die Vorarlbergerin Julia Grabher und die Burgenländerin Karoline Kurz in Dornbirn den U14-Titel aus. Auch von den beiden ist Rußegger sehr angetan: "Grabher spielt fast ein Herren-Tennis, druckvoll, sehr variantenreich, eine starke Vorhand. Kurz ist eher eine Vertreter des Power-Damen-Tennis." Rußegger glaubt: "Beide haben absolut das Zeug dazu, sich auch international zu behaupten. Sie haben die richtige Einstellung und ein Top-Umfeld." Positiv und negativ zugleich: "Sie heben sich vom Rest ganz deutlich ab. Haas noch mehr."

Viel Raum nach oben
Bei den jüngeren Mädchen sieht Pauer die Situation mäßig begeistert: "Wir hinken da ganz klar hinterher. Das hat sich auch bei den internationalen Turnier-Beschickungen gezeigt, wo unsere Mädels immer früh verloren haben." Das trifft sogar auf die Siegerin des nationalen Bewerbs zu, die Oberösterreicherin Anna Kraus: "Technisch und vom Spielaufbau her sehe ich bei ihr noch viel Raum nach oben." Das weiß auch Ex-Daniel-Köllerer-Coach Hannes Pühringer, der Kraus seit letztem Jahr in Linz betreut: "Wir schauen jeden Tag, dass alles besser wird, aber sie entwickelt sich richtig gut. International werden wir sie auch erst ganz langsam und Schritt für Schritt aufbauen." Auch bei der groß gewachsenen Finalistin Christina Wolfgruber ortet Pauer noch Potential im Spielaufbau.

Antonitsch-Tochter im Kommen
Für Aufsehen sorgte in Niederösterreich auch die Tochter von tennisnet.com-Herausgeber und Ex-Davis-Cup-Spieler Alex Antonitsch, die das Viertelfinale erreichte und mit Wolfgruber den Doppeltitel holte. Pauer: "Mira kann jederzeit die Österreichischen Meisterschaften gewinnen. Sie hat technisch gute Anlagen, muss sich aber körperlich und vom Spiel her noch entwickeln und viel Erfahrung sammeln." Die genetischen Voraussetzungen sind jedenfalls bestens: "Auch ihre Mutter war ja mal eine Top-Spielerin." Gefahr, an der großen Erwartungshaltung der Öffentlichkeit aufgrund des bekannten Namens zu zerbrechen, ortet Pauer weniger als anderswo: "Sie wird von ihren Eltern sehr gut und ohne Druck geführt."

Zwei starke Tiroler
Besser als bei den gleichaltrigen Mädchen beurteilt Pauer die Situation bei den Burschen U12, wo sich der Tiroler Matthias Haim im Finale gegen den Niederösterreicher Kevin Schönegger durchsetzte. "Das war ein sehr gutes Match. Da hat man gesehen, dass was weitergeht. Haim hat zuletzt auch bei ETA-Turnieren schon gut gespielt - das war eigentlich das erste Mal von vielen internationalen Entsendungen, dass einer unserer Burschen mal weiter gekommen ist. Obwohl in dem Bereich noch ziemlich die Erfahrung fehlt." Beachtlich auch die Leistung des Tirolers Gabriel Huber, der noch ein Jahr jünger ist als seine Konkurrenten und Schönegger im Viertelfinale dennoch über drei Stunden hinweg fordern konnte. "Huber und Haim zählen für mich definitiv zu den erfolgversprechendsten Österreichern in ihrer Altersklasse."

"Ofner braucht noch Zeit"
Bei den Burschen U14 in Vorarlberg diesmal nicht dabei war der international derzeit stärkste Österreicher, Lucas Miedler. "Er hat sich zuletzt sehr empfohlen, kann körperlich schon am ehesten mithalten und entwickelt sich gut. Nach seinen internationalen Auftritten hat er aber nach Rücksprache mit ÖTV-Sportdirektor Gilbert Schaller lieber eine Pause eingelegt." So war der Weg wie erwartet frei für Sebastian Ofner, der im Finale den Oberösterreicher Max Voglgruber besiegte. Pauer: "Ofner ist vom biologischen Alter her noch etwas zurück und kann daher noch nicht alles ausspielen, aber er wird auch noch recht groß werden, denke ich." In dieselbe Kerbe schlägt Rußegger nach ihren Beobachtungen: "Er ist ein sehr kompletter Spieler, bewegt sich super, ist fit. Ein toller Kämpfer. Man muss ihm aber noch Zeit geben."

Der Talente-Friedhof soll Vergangenheit werden
Pauer sagt klipp und klar: "Das Ziel ist's natürlich, Spieler wie Ofner zum Verband zu holen." Und das passiert auch im Fall des Steirers, der 14-Jährige wird im Herbst als einziger derzeit vorgesehener Spieler in das Bundessport- und Freizeitzentrum Südstadt wechseln. Viele mehr oder weniger aussichtsreiche Jugendliche haben in den vergangenen Jahren bereits den Weg dorthin gefunden, die meisten von ihnen sind längst am Talente-Friedhof begraben. Walter Grobbauer, im Vorjahr selbst noch für den ÖTV-Nachwuchs zuständig und nun Trainer beim steirischen Verband für Ofner, weiß: "Es wurden oft auch einfach die falschen Spieler geholt. Und es ist Tatsache, dass vieles funktioniert, aber nicht alles, wie es das sollte und in der Südstadt einiges zu optimieren ist." Ob dieser Optimierungs-Prozess auch für seinen ehrgeizigen Noch-Schützling zu spät kommen wird? Grobbauer: "Es war seine Entscheidung, in die Südstadt zu gehen. Der Weg zurück ist für ihn immer offen."

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