Doping! Ein Großschadensfall, nicht nur für Maria Sharapova

Die positive Dopingprobe von Maria Sharapova schlug ein wie ein Blitz. Wie geht es nun weiter?

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 08.03.2016, 13:16 Uhr

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2016 Getty Images

Als der Managementriese IMG am Wochenende eine "bedeutende Mitteilung" von Maria Sharapova ankündigte, war in Fachkreisen und im Universum der sozialen Netzwerke das fiebrige Spekulations-Lotto eröffnet. Während auf dem YouTube-Kanal des Unternehmens eine seltsame Countdown-Uhr heruntertickte, wurden alle möglichen und unmöglichen Theorien durchgespielt, verworfen und wieder neu diskutiert: War Sharapova etwa schwanger? War sie ernsthaft krank? Würde sie einen neuen Mega-Deal mit einem Unternehmen bekanntgeben? Oder war dieser Montag, der 7. März, etwa der Tag ihres frühen Rücktritts, nach all den Verletzungsqualen auch der vergangenen Monate?

Was die bestbezahlte Sportlerin des Planeten dann mit brüchiger Stimme in einem schmucklosen Hotel-Konferenzsaal in Downtown Los Angeles vortrug, hatte freilich niemand auf der Agenda. Es war nicht weniger als der größte anzunehmende Schadensfall, den Sharapova zu verkünden hatte, das kleinlaute und traurige Bekenntnis, bei einer Dopinguntersuchung am 26. Januar in Melbourne, dem Tag des Australian-Open-Viertelfinalmatchs gegen Serena Williams, positiv auf die Substanz Meldonium getestet worden zu sein. "Ich habe einen Riesenfehler gemacht. Ich habe meinen Sport im Stich gelassen", sagte Sharapova niedergeschlagen vor dem herbeigeströmten Reporterheer, "ich bin bereit, alle Konsequenzen zu tragen."

Missgeschick oder Systematik?

Was Sharapova zur Begründung vortrug, war zunächst schwer verständlich für all jene, die den Superstar des Frauentennis kennen, eins der einprägsamsten Gesichter des Sports überhaupt. Sharapova hat nicht zu Unrecht den Ruf, ein absoluter Kontrollfreak zu sein, eine Perfektionistin, die bis ins kleinste Detail alles, absolut alles richtig machen will. Und doch erklärte die 28-jährige Russin mit Wohnsitz in Kalifornien, es sei ihr entgangen, dass der Wirkstoff Meldonium seit dem 1. Januar 2016 auf der Doping-Verbotsliste gestanden habe. Sie habe, so erklärte Sharapova zur allgemeinen Verblüffung, den Anhang einer E-Mail der Antidoping-Agentur WADA vom 22. Dezember nicht geöffnet, in dem sich die aktualisierte Verbotsliste befand. "Alles ist nur meine Schuld", gab die ganz in Schwarz gekleidete Sharapova zu Protokoll, "es hätte nie passieren dürfen."

Mit der spektakulären Pressekonferenz begann unmittelbar auch der erbitterte Kampf um die Interpretations-Hoheit in der Causa Sharapova - mit Rechtsanwälten, vielen echten und selbsternannten Experten und diversen Sportfunktionären im Ring. Eine zentrale Frage überlagerte alles: Handelte es sich um ein Missgeschick, einen folgenschweren Fauxpas einer Sportlerin, die den Wirkstoff Meldonium nach eigenen Angaben schon seit 2006 unter anderem wegen Herzrhythmusstörungen und Diabetesproblemen einnimmt und schludrig übersah, dass er inzwischen verboten ist? Oder steckte doch eine andere Motivation und Systematik hinter dieser Einnahme, gerade vor dem Hintergrund, dass die Substanz in Athletenkreisen international sehr beliebt ist. So beliebt, dass die WADA nach intensiven Studien 2015 ihre Einnahme mit Sanktionen belegte, weil sie feststellte, dass Meldonium nicht mehr primär aus medizinischen Gründen eingesetzt wurde. Der jüngste ARD-Bericht zum russischen Doping-Unwesen hatte auch eine bedenkliche Zahl offengelegt: Bei 4316 Tests war 724-mal Meldonium nachgewiesen worden, eine Art In-Droge, von der beispielsweise die Agentur Antidoping Schweiz nun sagt: "Diese Substanz kann die sportliche Ausdauerleistung positiv beeinflussen, steigert die Regeneration nach Belastung, schützt vor Stress und wirkt stimulierend auf das Zentralnervensystem."

Meldonium nur in Russland und im Baltikum frei verfügbar

Hatte Sharapova von alldem nichts mitbekommen, vom Wirbel um diesen Wirkstoff - ausgerechnet sie, die Tennis-Unternehmerin mit großem Betreuerteam? Leicht nachzuvollziehen war das jedenfalls nicht. Auch, weil Meldonium in Sharapovas Wahlheimat, den USA, und in vielen anderen Ländern gar nicht zugelassen ist. Nur in Russland und in den baltischen Ländern wird die Substanz weithin als Therapiemittel bei Durchblutungsstörungen und zur besseren Sauerstoffversorgung eingesetzt, von dort müsste sich der Tennis-Superstar die Medikamente wohl auch beschafft haben. "Maria wusste nicht, dass diese Substanz leistungsfördernd wirkt", sagte dazu ihr Anwalt John Haggerty. Schwer begreifbar, eher entlastend war andererseits ja, mit welch gelassener Routine sich Sharapova Anfang des Jahres zu den Turnieren auf den Platz stellte - auch bei den Australian Open, bei einem Grand-Slam-Wettbewerb mit all seinen regulären Dopingkontrollen. Eins konnte sie dort jedenfalls nicht annehmen: Von Überprüfungen verschont zu bleiben. Nicht aufzufliegen, wenn sie denn je absichtlich gehandelt hätte. "Es ist ein Rätsel für mich. Sie hat so einen großen Stab von Leuten um sich herum", sagt dazu der frühere Leiter der australischen Antidoping-Agentur, Richard Ings, "am Ende bist du dann aber auch selbst verantwortlich für alles, was in deinem Körper ist."

Der Dopingfall trifft das Welttennis in einem Jahr, das dereinst als "annus horribilis" in seine Geschichte eingehen könnte. Schon zu den Australian Open war der Wanderzirkus wegen angeblichen Wettbetrugs in die Schlagzeilen geraten, vieles an den Vorwürfen war aufgeblasen, sensationalisiert, aber keineswegs alles. Später kam auch noch heraus, dass sich Schiedsrichter in unteren Turnierregionen an Manipulationen beteiligt hatten. Und nun die Affäre Sharapova, der Sündenakt einer Athletin, die eine der bewegendsten Aufstiegsgeschichten der letzten Jahrzehnte geschrieben hatte. Vor zwölf Jahren hatte das Tennis-Märchen des Mädchens aus Sibirien begonnen, das einst wegen besserer Karrierechancen nach Amerika ausgewandert war - damals, 2004, schlug sie als Teenagerin die haushohe Favoritin Serena Williams auf dem Centre Court im Finale von Wimbledon. Es war der dramatische, hollywoodreife Startschuss für eine großartige Laufbahn, in deren Verlauf sie noch bei allen anderen "Major"-Wettbewerben mindestens ein Mal triumphierte, zuletzt 2014 bei den French Open.

Welche Konsequenzen drohen?

Sharapova, die hochgewachsene Blondine, war auch der erklärte Liebling der Sponsoren. Keine andere Sportlerin hatte in den letzten Jahren bessere Deals und namhafte Werbepartner als die Russin mit dem ganz besonderen Appeal und der ganz besonderen Professionalität, stets war sie die Nummer eins unter den Großverdienerinnen im Sport. Einige ihrer Werbepartner wendeten sich schon in den ersten Stunden nach der bekanntgewordenen Dopingaffäre von Sharapova ab, Nike zum Beispiel legte das langjährige Vertragsverhältnis auf Eis . Beim deutschen Sportwagenbauer Porsche, für den Sharapova als weltweite Markenbotschafterin tätig ist, verzichtete man bewusst auf solche Schnellschüsse: "Wir lassen Maria nicht fallen, aber Aktivitäten mit ihr ruhen im Moment. Wir warten ab, zu welchem Ergebnis die offizielle Untersuchung kommt", sagte die Sprecherin der Porsche-Sportkommunikation, Viktoria Wohlrapp, "wir bedauern natürlich die aktuellen Nachrichten."

Und wie geht es weiter für Sharapova? Die Russin, vom Weltverband inzwischen erst einmal vorläufig gesperrt, hat auf die Öffnung einer B-Probe verzichtet, ihr Fall könnte so schon in vergleichsweise kurzer Frist auf den Tisch der Sportgerichtsbarkeit kommen. Die Juristen haben dann zu entscheiden, wie sie Sharapovas Fehlverhalten bewerten - als lässlichen, trotzdem zu ahndenden Irrtum oder als absichtsvollen Vorgang. Davon hängt auch das Strafmaß ab, möglich sind bis zu vier Jahre Sperre. Wahrscheinlicher ist aber eine Suspension von ein oder zwei Jahren. Russlands streitbarer Tennis-Verbandsboss und IOC-Mitglied Shamil Tarpischev glaubt indes nicht mal daran: "Maria wird bei den Olympischen Spielen starten", sagte er der Agentur TASS.

von tennisnet.com

Dienstag
08.03.2016, 13:16 Uhr