Zurück in die Bedeutungslosigkeit: Dem deutschen Frauentennis steht eine neue Dürrephase bevor

Bei den Damen warten auf die deutschen Tennisfans aller Voraussicht nach schwere Zeiten.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 12.02.2021, 12:20 Uhr

Auf Barbara Rittner warten große Herausforderungen
© Getty Images
Was folgt auf die Generation Kerber und Co.?

Barbara Rittner kann sich noch gut an die frühen Jahre ihrer Amtszeit erinnern. Das deutsche Frauentennis steckte auch damals in der Ergebniskrise, aber Bundestrainerin Rittner schöpfte doch klammheimlich Hoffnung, wenn sie ihre besten Teenager bei den regelmäßigen Lehrgängen beobachtete. Rittner machte sich damals immer wieder ein Spiel daraus: Wer würde es in die Weltklasse schaffen? Wem könnte der ganz große Durchbruch gelingen? Andrea Petkovic, Julia Görges, Angelique Kerber? „Sie hatten alle schon ihre Klasse, das besondere Etwas. Man merkte: Da wuchs eine tolle Generation heran“, sagt Rittner (47). Ein wenig Wehmut schwingt mit, wenn die Leverkusenerin, inzwischen oberste Frauentennis-Aufseherin beim DTB, an jene Epoche zurückdenkt. An junge Spielerinnen, die ein Versprechen für die nähere Zukunft waren, für ein besseres Morgen.

Petkovic, Görges, Kerber: Sie alle haben ihren Weg gemacht im Tourbetrieb. Görges und Petkovic eroberten Weltklassepositionen in der Rangliste, sie grüßten aus den Top Ten, waren für Spitzenplätze auch bei den Grand Slams gut. Und Kerber wurde sogar zur vorübergehend dominierenden Kraft im Wanderzirkus, zur dreimaligen Grand Slam-Königin, zur Nummer 1 der Rangliste, zur Silbermedaillengewinnerin bei Olympischen Spielen. Kerber war die Frontfigur des neuen deutschen Fräuleinwunders, die Frau für Seite 1-Schlagzeilen. Zwei Mal schaffte sie es auch auf den Thron der nationalen „Sportlerin des Jahres.“

Australian Open als neuer Tiefpunkt

Doch die Zeit der regelmäßigen Erfolgsmeldungen ist nun wieder vorbei, nach gut einem Jahrzehnt scheint das deutsche Frauentennis in der internationalen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Australian Open markierten den vorläufigen Tiefpunkt einer schleichenden Entwicklung der vergangenen beiden Spielzeiten auf der Tour: Keine einzige Spielerin erreichte die dritte Melbourne-Runde, einzig Mona Barthel (30) landete überhaupt einen Sieg. Kerber, Petkovic und Laura Siegemund mussten gleich zum Auftakt wieder ihre Beschäftigung im Einzel einstellen. 

Die Weltrangliste liefert ein ungeschminktes Bild der Misere: Mit Kerber (Platz 25) und Siegemund (Platz 49) finden sich gerade mal zwei Repräsentantinnen des DTB unter den Top 100. Die beste Spielerin unter 30 Jahren ist die Rheinländerin Anna-Lena Friedsam auf Platz 111, die beste Spielerin unter 25 Jahren findet sich dann erst auf Platz 180 – die Bonnerin Antonia Lottner. „Wunderdinge sind nicht zu erwarten“, hatte Rittner bereits in der abgelaufenen, wenig befriedigenden Saison gesagt, „wir müssen jetzt sehr viel Geduld haben. Da ist eine große Lücke entstanden.“

Eine Lücke, die mutmaßlich noch mehr ins Auge fallen wird, wenn sich nach Görges auch Keber und Petkovic in den Ruhestand verabschiedet haben werden. Allzu lange wird das nicht mehr dauern, sehr wahrscheinlich dürfte die komplexe Lage inmitten der Pandemie, die gesamten Nebenwirkungen für den Spielbetrieb, die Entscheidung eher noch beschleunigen. Görges, die Mitstreiterin des Freundinnen-Duos Kerber und Petkovic, hatte ihren Schlussstrich dezidiert mit den Unwägbarkeiten des Corona-Zeitalters begründet. Sie müsse sich „das alles nicht mehr antun“, sagte sie. Ob Kerber das auch gedacht hat, nach langer Quarantäne, ein wenig unergiebiger Vorbereitung in Melbourne – und dann dem Erstrunden-Aus? 

Juniorinnen "brauchen noch eine Menge Zeit"

Rittner und andere Führungskräfte im DTB hatten in den vergangenen Jahren durchaus ein wenig Zuversicht geschöpft, dass sich nach dem Abschied der goldenen Generation keine allzu große Krise entwickeln würde? Spielerinnen wie Anna-Lena Friedsam, Annika Beck, Dinah Pfizenmaier oder auch Carina Witthöft rückten in die Top 100 auf, gewannen Turniere, machten bei Grand Slams von sich reden. Aber heute sind sie alle wieder aus der erweiterten Weltspitze abgerutscht, teils wegen Verletzungspech, anderer Lebensziele (Beck studiert Medizin) oder mentaler Probleme – Witthöft etwa gab offen zu, den Leistungsdruck im Toptennis nicht mehr ausgehalten zu haben. Lottner, ehemals eine der besten Juniorinnen der Welt, schaffte im Erwachsenentennis nie den echten Vormarsch ins Revier der internationalen Elite – auch wegen diverser körperlicher Rückschläge.

Rittner kann genau wie die DTB-Coaches Jasmin Wöhr und Dirk Dier in der Krise nicht sehr hoffnungsvoll nach vorn schauen, jedenfalls nicht bei kurz- bis mittelfristiger Perspektive. Spielerinnen mit größerem Potenzial gebe es unter den Juniorinnen durchaus, „aber die brauchen noch eine Menge Zeit“, sagt Rittner, „und wie sich die Karriere dann in den nächsten Jahren entwickelt, weiß man nicht.“ Die Pandemie wirkt zudem wie ein Verstärker für die unklaren Aussichten, wie ein großer Nebelwerfer: Denn die deutschen Talente können sich gerade zwar gegenseitig in den Leistungsstützpunkten messen, aber der internationale Vergleich, das Kräftemessen mit den Altersgenossinnen auch bei Nachwuchs-Grand Slams, fehlt völlig. Wer den Teil-Stillstand am besten verkraftet, wessen Karriere das am wenigsten berührt oder beschädigt, ist die große Frage der nächsten Zeit und der nächsten Jahre.

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von Jörg Allmeroth

Freitag
12.02.2021, 15:15 Uhr
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