Alexander Zverev und das Match gegen sich selbst
In der Drittrunden-Begegnung bei den US Open 2025 hatte Alexander Zverev nicht nur den Kanadier Felix Auger-Aliassime als Gegner, sondern auch das Match gegen sich selbst zu bestreiten, wie Marco Kühn von tennis-insider.de treffend analysiert.
von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet:
02.09.2025, 13:25 Uhr

Alexander Zverev und das Match gegen sich selbst
Es gibt Dinge, die nichts mit Tennis zu tun haben. Dennoch finden sie auf dem Tennisplatz statt.
Du trainierst hart, investierst viel Zeit in deine Entwicklung und bringst Opfer um Opfer. Im Training läuft der Arm. Aber dieser Sprung vom Training in den Wettkampf, der ist eine ganz andere Geschichte.
Du spielst passiv. Dabei willst du das nicht. Aber du hast das aggressive Spiel nicht im Schläger. Es will nicht aus der Bespannung kommen. Deine Schläge fühlen sich wie taub an. Deswegen bleibst du in deiner Komfortzone. Dir fehlt das Selbstvertrauen, aber du willst auch nicht ständig abwarten. Vor allem gegen Gegner, die dir liegen. Gegner, die du in der Vergangenheit problemlos geschlagen hast.
Bei 4:4 und Einstand spielst du einen schier endlosen Ballwechsel. Du nimmst dir ein Herz und gehst auf den kürzeren Ball deines Gegners drauf. Du legst all deinen Frust und deine Hoffnung in den Winner. Aber was kommt dabei raus? Die Filzkugel rauscht Richtung Zaun. Dein Kopf meldet sich und sagt dir: “Na siehste, es klappt nicht!”. So oder so ähnlich stelle ich es mir derzeit im Kopf von Alexander Zverev vor. Immer wieder Hoffnung. Immer wieder Enttäuschung.
Was macht das mit dem Selbstvertrauen?
Du verlierst den Glauben an deine Stärken. Fehlendes Selbstvertrauen führt jeden Spieler tief in seine Komfortzonen, aus denen er sich dann nicht mehr heraus traut. Man könnte auch sagen: Man verläuft sich in seinen Komfortzonen und findet schlicht den Weg nicht mehr hinaus. Eine Art Labyrinth in der eigenen Tennis-Gedankenwelt. Aber wie entsteht dieser totale Crash des Selbstvertrauens?
Eine Studie fand heraus, dass positive Selbstgespräche, Self-Talk auf Denglisch, Selbstvertrauen und damit die Performance auf dem Platz verbessern. Klingt gut. Du spielst besser, wenn du besser über dich denkst. Das ist cool, hat aber auch eine Kehrseite.
Denn: Dementsprechend greifen negative Selbstgespräche während eines Matches das Selbstvertrauen des Spielers an. Das in nur einem Match. Stell dir vor, du redest über Monate negativ mit dir im Match. Über zehn, 15 Spiele. Irgendwann glaubst du den ganzen Kram, den du dir da ständig erzählst. Befindet sich ein Spieler über längere Zeit in negativen Unterhaltungen mit sich selbst, “färben” diese Unterhaltungen seine Gedanken schwarz. Der Blick für das Positive im Match geht verloren. Es gibt kein schwarz, weiß und grau mehr. Es existiert nur noch schwarz. Das Problem? Die Gedanken haben einen direkten Einfluss auf die Emotionen des Spielers. Die Emotionen wiederum steuern die Schlagentscheidungen des Spielers. Allen voran bei den Big-Points und in den Crunchtime-Phasen. Da schlägt mehr der Kopf als der Arm die Kugel. Eine tückische Pyramide des mentalen Spielst. Fühlst du dich stark und selbstbewusst, dann gehst du locker auf den Ball drauf - und er kommt. Fühlst du dich unsicher und schwach, gehst du nur ab und zu mal auf einen Ball drauf - und er kommt nicht.
Die Emotionen verfälschen sich, indem sie schleichend ausschließlich negativ werden. Das ist ein Prozess, kein Event. Dieser Prozess wird vom Spieler maximal unbewusst wahrgenommen. Die Auswirkungen aber, das zerstörte Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, werden bewusst und mit Erschrecken wahrgenommen. Schon fies, das mentale Tennisspiel.
Warum ist das Match gegen sich selbst das Schwierigste, das es zu spielen gibt?
Du kennst das Niveau, das du spielen kannst. Du weißt, du kannst viel besser spielen. Aber es gibt eine mentale Blockade in deinem Kopf. Als würdest du mit Handschellen Tennis spielen. Ohne eine Ahnung, wo die Schlüssel für die Dinger sind.
Stell dir vor, du stehst am Ufer eines Sees. Du willst zur anderen Seite des Sees, aber es ist keine Brücke in Sicht. Kein Boot, das dir bei der Überquerung des Sees helfen könnte. Wie fühlst du dich? Hilflos, planlos. Panik. Du siehst keine Lösung. So fühlt es sich für Zverev vermutlich derzeit in wichtigen Matches an. Er checkt, was los ist. Doch ihm fehlt das “Boot”, der Plan, wie er die Dinge auf den Platz bekommen könnte.
Spitzensportler haben Schwierigkeiten, ihr Selbstvertrauen wiederzuerlangen, wenn dieses unter dem Druck des Wettkampfes verloren gegangen ist. Auf Profiniveau entscheiden Nuancen. Tennis ist ein mental brutaler Sport. Zverev kämpft vermutlich seit Monaten gegen sich selbst, gegen negative Gedankenmuster und Gefühle. Selbst die Matches, die er gewonnen hat, fühlen sich nicht wie Erfolge an. Wenn du selbst taub deinen Siegen gegenüber wirst, dann fällt es dir noch schwerer, dein Selbstvertrauen wiederzuerlangen.
In dem Film “The Dark Knight Rises” wird Batman von dem Bösewicht Bane lange außer Gefecht gesetzt. Batman verliert seinen Willen und seine Kraft. Er ist lange Zeit im Gefängnis. Bevor er Gotham City retten und den Bösewicht besiegen kann, muss er zunächst seine mentale und körperliche Stärke wiederfinden. Er muss zu sich selbst finden und eine vollkommen neue Stärke entwickeln. Für einen Tennisspieler wie Zverev ist es ähnlich. Die Selbstverständlichkeit und das Selbstvertrauen scheinen außer Gefecht. Kann ein Matchplan helfen?
Warum das Selbstvertrauen eine schwierige Disziplin ist
Wenn Zverev in einem Tennisspieler-Loch ist, dann muss er dort irgendwie hingekommen sein. Er ist ja nicht freiwillig in dieses Loch gestiefelt. Chris Beaumont und Ian Maynard von der Sheffield Hallam University haben in einer Studie herausgefunden:
„Wenn das Selbstvertrauen aus unkontrollierbaren Quellen stammt (d. h. aus instabilen Quellen wie ergebnisbezogenen Leistungen und sozialer Unterstützung), trägt es wahrscheinlich zu schwankenden Selbstvertrauenswerten bei.“.
Auf dem Niveau, auf dem Zverev spielt, wird er selbstverständlich an Ergebnissen gemessen. Ob er das will oder nicht. Die Ergebnisse sind seine Leistung. Darüber schreibt die Presse. Das interessiert die Leute. Was man hingegen nicht bemisst, das ist die spielerische, taktische und auch mentale Leistung. Ergebnisse können beim Tennis verwirrend sein. Du kannst gut spielen, aber verlieren. Auf der anderen Seite kannst du schlecht spielen, aber gewinnen. Das kann zu großen Verwirrungen im Kopf des Spielers führen, der eh schon unsicher sich selbst gegenüber ist. Spielt ein Spieler konstant starke Ergebnisse, ist sein Selbstvertrauen konstant hoch. Das Selbstvertrauen kann sich wie ein Schneeball entwickeln und größer und größer werden. Spielt ein Spieler dann schwankende Ergebnisse, schmilzt das Selbstvertrauen viel schneller weg, als es sich zuvor aufgebaut hat. Das mentale Spiel ist nichts für Weicheier. Über die soziale Komponente möchte ich in Bezug auf Zverev kein Wort verlieren. Es steht mir nicht zu, sein Umfeld zu beurteilen.
Klar ist aber, dass das Umfeld eines Profispielers verbal und auch nonverbal Feedback zu den Ergebnissen liefert. Somit haben wir bei einem Profispieler exakt die Konstellation, die bei 98 % der Spieler nur zu einem wanken Selbstvertrauen führen kann. Aber hat Zverev nicht schon einmal einen so großen “Bösewicht” wie sich selbst geschlagen? Und dort genau diese Konstellation des wankenden Selbstvertrauens geschlagen?
Vor gar nicht allzu langer Zeit kämpfte sich Zverev nach einer schweren Verletzung wieder zurück in die absolute Weltspitze. Wer mal verletzt war, der weiß, was Zverev da geleistet hat. Das ist alles andere als ein einfacher Weg. Weder physisch noch mental. Du musst ein mental starker Charakter sein, wenn du so einen Berg an Herausforderung wie ein Champion nimmst.
Erinnerst du dich noch daran, was Beaumont und Maynard über die Formel für Selbstvertrauen bei Spitzensportlern herausgefunden haben? Instabile Quellen sind ergebnisorientierte Leistungen und soziale Unterstützung. Auf seinem Weg zurück in die Weltspitze hatte sich Zverev in seinem Kopf wahrscheinlich nicht so sehr an seinen Ergebnissen in Trainingsspielen gemessen. Er hatte für sich eine andere innere Überzeugung seiner Karriere gegenüber. Er hat sich während seiner Rehabilitation nicht über Ergebnisse, sondern über seine Leistung definiert. Die ersten aus dem vollen Lauf geschlagenen Vorhände waren ein viel größerer Erfolg als irgendein Ergebnis eines lapidaren Trainingssatzes. Zu dieser Reha-Zeit hatte er vermutlich ganz andere Parameter in seinem Kopf, die ihn mental auf die richtige Bahn gelenkt haben. Sein Denken war von ergebnisorientierten Leistungen befreit. Er konnte sich besser auf das konzentrieren, was seinen Körper und seinen Geist wieder Richtung Arthur Ashe und Philippe Chatrier führen würde.
Wie auch immer Zverev dieses Match gegen sich selbst in der Zukunft weiterspielen wird. Er hat bereits ähnlich schwierige “Matches” wie seine Verletzung gemeistert. Warum sollte er also auch nicht das Match gegen sich selbst meistern? Auch wenn dieses schwieriger zu spielen ist als jedes andere. Um es mit den Worten des Psychoanalytikers Dr. Robert Moore zu sagen: “Du kannst erst den Gegner vor dir besiegen, wenn du den Gegner in dir besiegt hast!”.
