Angelique Kerber - "Es war ein Langstreckenlauf"

Angelique Kerber trifft beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart im Viertelfinale auf Kiki Bertens. Ihre erste Vorstellung gegen Andrea Petkovic hat die deutsche Nummer eins souverän hinter sich gebracht.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 26.04.2019, 13:42 Uhr

Angelique Kerber spielt heute in Stuttgart im Viertelfinale
Angelique Kerber spielt heute in Stuttgart im Viertelfinale

Angelique Kerber hat eine ganz einfache Methode, um sich über manchen leichten Alltagsfrust in ihrem Leben im Tennis-Wanderzirkus hinwegzutrösten, auch über die Schwierigkeiten der letzten Wochen. Sie muss einfach nur an Wimbledon denken. An Wimbledon 2018. An die dreizehn Tage, die schließlich mit ihrem triumphalen Endspielsieg über Serena Williams endeten. „Es ist einfach immer noch schön, wenn ich daran denke“, sagt Kerber, „und das wird sich auch nicht ändern.“ Wimbledon, dieser Sieg, dieses Turnier in der letzten Saison, so Kerber, „das ist ein Teil meiner Geschichte und meines Lebens geworden.“ Und sie, Kerber, auch ein Teil der Wimbledon-Geschichte jetzt.

Wer hätte das alles gedacht, damals im Jahr 2011, als Kerber nach einer Erstrunden-Niederlage in eben jenem Wimbledon am liebsten aufgehört hätte mit dem Profitennis – und ihrer Mutter Beata daheim in Kiel barsch verkündete, es habe „alles doch keinen Sinn mehr so.“ So wie in jener Saison hatte es wohl wirklich keinen Sinn mehr. Aber so wie Kerber noch in den Sommerwochen danach ihre Karriere, ihr ganzes Leben im Tennis umkrempelte, so bekam alles auf einmal Sinn. Eine neue Grundlage, eine Plattform, um wirklich etwas Großes zu erreichen.

Kerber kämpft mit den Nachwirkungen einer Erkältung

„Es war einfach so, dass ich von da ab keine Kompromisse mehr machte und 100 Prozent für das Tennis gab“, sagt Kerber, die nun auch einmal mehr zu den Protagonistinnen beim Stuttgarter Porsche Grand Prix gehört. Auch dieses Heimspiel für die deutschen Tennisfrauen, dieses regelmäßige Treffen der Weltelite, hat Kerber schon gewonnen, es ist auch so ein Sehnsuchtstitel für sie gewesen. Wie weit es sie in diesem Jahr in der Porsche-Arena trägt, ist ungewiss. Noch immer leidet sie unter den Nachwirkungen einer schweren Erkältung, man konnte es auch bei ihrem gewonnenen Auftaktmatch gegen Andrea Petkovic sehen. Und hören: Kerber keuchte, hustete, ächzte. Aber sie kämpfte auch mit einer Intensität, die man ihr kaum so zugetraut hätte nach den gesundheitlichen Problemen. Das Ganze sei ein „Drahtseilakt“ gewesen, um ihr überhaupt antreten zu können, sagte Kerber-Coach Rainer Schüttler, der am Donnerstag seinen 43. Geburtstag feierte. Nun wolle sie „Schritt für Schritt“ wieder zu Kräften und mehr Energie kommen, meinte Kerber selbst. An diesem Freitag trifft sie auf Kiki Bertens, die dynamische Niederländerin, die beim Sieg gegen Belinda Bencic 20 Asse ins gegnerische Feld hämmerte.

Aber noch einmal zurück zu Kerber und Wimbledon 2018, zu ihrem Lebensprojekt. Es war ein Sieg, der ihre späteren Karrierejahre eindrucksvoll bündelte – diese berufliche Umkehr, die völlig veränderte Fokussierung, die personelle Neuaufstellung im Assistenzteam. Aber vor allem die eigene Kraft, in Momenten größter Herausforderung mit dieser Aufgabe zu wachsen, die anspruchsvollsten Prüfungen mit einem Maß an Souveränität zu meistern, das man der jungen Angelique Kerber einfach nicht zugetraut hätte. „Es war ein Langstreckenlauf über viele Jahre, der zu diesem Sieg führte. Es brauchte auch diese Zeit vorher, es brauchte auch ein verlorenes Endspiel zuvor gegen Serena Williams“, sagt Kerber, „das alles steckte in diesem Sieg drin, diese Erfahrungen, diese Enttäuschungen, das Auf und Ab.“

"Es war so, dass ich mich praktisch neu erfand"

Kerber hat auch über die Jahre gelernt, genau zu verstehen, was sie tun muss, um im Profitennis erfolgreich zu sein. Das hört sich schlicht an, ist aber in Wahrheit ziemlich kompliziert – es gibt genügend Modellfälle für Spielerinnen, die mit mangelnder Professionalität und mangelndem Realitätssinn ihre großen Talente verschenkten. Kerber erkannte indes noch sehr rechtzeitig, dass sie gerade für die Traumerfüllung eines Wimbledonsieges sehr vieles, wenn auch nicht alles anders machen musste. „Es war so, dass ich mich praktisch neu erfand. Mit neuen Köpfen in meinem Umfeld. Mit mehr Angriffslust im Spiel. Mit mehr Mut“, sagt die 31-jährige.

Kerber musste nur sich selbst etwas beweisen

Es galt für sie, auch die inneren und äußeren Widerstände zu überwinden. Da waren die Selbstzweifel, ob sie es jemals schaffen würde in London SW 19, im All England Lawn Tennis Club. Und da waren auch die öffentlichen Zweifel, die öffentlichen Fragen, ob sie nach zwei Grand-Slam-Siegen im Jahr 2016 und dem Absturz des Jahres 2017 noch einmal ein „großes Ding“, also einen Grand Slam, gewinnen könnte. War es ein Wut- und Trotzsieg, auf dem berühmtesten aller Centre Courts? „Nein“, sagt Kerber, „es stimmt zwar, dass niemand mit diesem Sieg gerechnet hat. Aber beweisen wollte ich nur einem Menschen etwas: Mir selbst. Nämlich, dass ich eine zweite Chance in Wimbledon bekommen und sie auch nutzen kann.“ Und zwar an einem Platz, der Kerber schon seit fernen Juniorinnen-Tagen fasziniert: „Wenn ich auf die Anlage zurückkehre, ist immer ein spezielles Kribbeln da, eine außergewöhnliche Freude.“

In den Monaten seit dem Wimbledon-Rausch ist Kerber das Tagesgeschäft, aber auch das Gastspiel auf großer Bühne nicht immer leicht gefallen. Im Herbst trennte sich die Kielerin überraschend von Trainer Wim Fissette, dem Wegbegleiter zum Sieg im Theater der Tennisträume. Zur neuen Saison 2019 verpflichtete Kerber den ehemaligen Weltklassemann Rainer Schüttler als neuen Chefcoach, eine Partnerschaft zweier wesensähnlicher Charaktere, wie Beobachter einschätzten. Beim Spitzenevent in Indian Wells erreichte die „Sportlerin des Jahres 2018“ dann in diesem Frühjahr erstmals nach ihrem Wimbledon-Erfolg wieder ein Finale, sie verlor es allerdings gegen das kanadische Sternchen Bianca Andreescu. Stuttgart, der von Kerber geliebte Porsche Grand Prix, läutet nun schon die heiße Saisonphase ein. Mit den nicht mehr allzu fernen Grand Slam-Höhepunkten in Paris und Wimbledon.

Kerber will in den nächsten Wochen auch wieder von den Früchten des besonderen Sieges profitieren, von Wimbledon 2018. Auf die Frage, ob sie nach dem Pokalgewinn generell leichter durch den Tag gehe, sagte sie einmal: „Es macht einen schon gelassener, entspannter. Es sorgt für innere Ruhe. Weil man weiß: Man hat diesen Sieg geschafft, diesen größten aller Siege. Aber ausruhen will ich natürlich auch nicht auf diesem Erfolg.“ Kerber hat noch einiges vor, zum Beispiel auch in Stuttgart.

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