Fed Cup - Angelique Kerber im Interview: "Ich habe immer von meinen Träumen gelebt"

Nach einer komplizierten Saison ist Angelique Kerber in diesem Jahr wieder auf dem Vormarsch. Vor dem Fed-Cup-Halbfinale gegen Tschechien (alle Matches LIVE auf DAZN, Kerbers Auftritte im LIVESTREAM vor FREE auf ihrer Facebook-Seite) spricht die ehemalige Nummer eins der Welt über die Gründe ihrer Krise und erklärt, was sie nach der Erfolgssaison 2016 falsch gemacht hat.

von DAZN
zuletzt bearbeitet: 20.04.2018, 12:06 Uhr

Angelique Kerber trifft im Fed Cup mit dem DTB-Team auf Tschechien.

Außerdem verrät Kerber, was unter dem neuen Trainer Wim Fissette anders läuft und welche Ziele sie sich für die Zukunft gesteckt hat.

DAZN: Frau Kerber, Sie sind Rechtshänderin, spielen aber mit links Tennis. Kam Ihnen Ende 2017 nie der Gedanke, künftig mit rechts zu spielen?

Angelique Kerber (lacht): Nein, daran habe ich nicht gedacht. Ich habe mich eher mit mir selbst beschäftigt und überlegt, was ich besser machen kann. Ich bin ein Mensch, der immer wieder aufsteht und sich zurückkämpft. Das macht mich aus und ist eine meiner Stärken.

DAZN: Ist die zurückliegende Krise nun endgültig abgeschlossen?

Kerber: Das kann man so sagen, ja. Wenn ich auf 2016 und 2017 zurückblicke, kann ich nur festhalten, dass ich sehr dankbar bin. 2016 habe ich mir mit den Titeln und Erfolgen meine Träume erfüllt. Aber auch 2017 war ein sehr lehrreiches Jahr, in dem ich viele Erfahrungen gesammelt habe und sowohl als Mensch als auch als Tennisspielerin gereift bin.

DAZN: Haben Sie die Zeichen der Zeit im Vorjahr zu spät erkannt?

Kerber: Ich würde sie jetzt auf jeden Fall früher wahrnehmen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass 2017 durch 2016 kam. Nach den Erfolgen prasselte sehr viel auf mich ein. Das ging Schlag auf Schlag, sodass ich keine Zeit hatte, alles zu verarbeiten. Ich würde rückblickend nichts anders machen wollen, aber mir mehr Zeit für mich nehmen und länger regenerieren.

Angelique Kerber über Regeneration und die Probleme von 2017

DAZN: Sie sprechen es an: Der Tennis-Zirkus ist unheimlich schnelllebig. Wie kann man sich da Auszeiten nehmen?

Kerber: Man muss sie sich einfach nehmen. Theoretisch kann man im Tennis jede Woche ein Turnier spielen. Um bei den großen Turnieren aber erfolgreich zu sein, muss man auch mal Pausen machen. Das ist etwas, was mir vor allem die letzten beiden Jahre gezeigt haben. Ende 2016 habe ich das nicht so umgesetzt und vielleicht ein, zwei Wochen zu früh wieder angefangen. Die Zeit ist sehr kostbar - gerade im Sport und vor allem, wenn man älter wird. (lacht)

DAZN: Wäre die Krise mit 23 oder 24 Jahren brutaler gewesen?

Kerber: Ich glaube, mit 24 hätte ich eine ganz andere Krise gehabt. Hier war das eine Krise, die normal ist. Jeder hat Auf und Abs. Für mich wurde es auch erst am Ende des Jahres etwas schlimmer, am Anfang war ohnehin alles neu. Jede will die Nummer eins schlagen und sobald man ein Match verliert, heißt es: "Die Favoritin hat verloren." Das ist ein schmaler Grat zwischen Krise und Nicht-Krise. Man muss sich mit seinem Team hinsetzen und analysieren, ob etwas gut oder schlecht war und nicht so sehr auf andere hören.

DAZN: Also war das eher ein schleichender Prozess?

Kerber: Genau. Auch vor 2016 war es ein langer Prozess, um dort hinzukommen, wo ich gewesen bin. So etwas geht nicht von heute auf morgen und bedarf jahrelanger Arbeit, viel Vertrauen und Menschen, die hinter einem stehen.

DAZN: Was genau war 2017 das Problem?

Kerber: Es ist schwierig, das Ganze auf den Punkt zu bringen. Ich glaube, da kamen einige Bausteine zusammen, die vom Puzzle abgesplittert sind - angefangen von Trainingseinheiten und Tagesabläufen, die durch das ganze Drumherum neu koordiniert werden mussten.

DAZN: Hatten Sie auch Motivationsprobleme?

Kerber: Keine großen, weil die Leidenschaft für das Tennis nach wie vor groß war. Aber natürlich habe ich mich schon gefragt, was mein nächstes Ziel sein soll. Ich habe 2016 so viel erreicht, dass ich Anfang 2017 immer noch damit beschäftigt war und erst einmal etwas gebraucht habe, um mich wieder neu zu orientieren und mir zu sagen, wo ich jetzt eigentlich hinmöchte. Ich lebte immer von meinen Träumen und gab nie auf. Das mache ich immer noch nicht und deshalb bin ich genauso stark oder sogar noch stärker als in den letzten Jahren.

Angelique Kerber über ihre Ziele, den Trainerwechsel und die Weltrangliste

DAZN: Was sind Ihre neuen Ziele?

Kerber: Natürlich ist das Hauptziel immer noch, gut zu spielen und Grand Slams zu gewinnen. Aber um dahin zu kommen, muss man sich Schritt für Schritt darauf vorbereiten. Das Ziel ist es jetzt, dass ich mich am Ende des Jahres hinsetze und sagen kann, dass ich in jedem Match mein Bestes gegeben habe und auch als Person gereift bin. Wenn man immer alles gibt, kommt der Erfolg irgendwann von alleine.

Angelique Kerbers Grand-Slam-Bilanz seit 2016

Jahr

Grand-Slam-Turnier

Ergebnis

2016

Australian Open

Sieg

2016

French Open

1. Runde

2016

Wimbledon

Finale

2016

US Open

Sieg

2017

Australian Open

Achtelfinale

2017

French Open

1. Runde

2017

Wimbledon

Achtelfinale

2017

US Open

1. Runde

DAZN: Im vergangenen November haben Sie sich von Ihrem langjährigen Trainer Torben Beltz getrennt. Wie schwer war dieser Schritt?

Kerber: Das war natürlich nicht einfach. Mit Torben habe ich seit meinem 16. Lebensjahr zusammengearbeitet und große Erfolge gefeiert. Ich konnte immer auf ihn zählen. Umso schwerer ist es dann, sich von dieser Person zu trennen - auch wenn es am Ende für uns beide ein guter Schritt war. Wir sind ja auch im Guten auseinandergegangen und immer noch miteinander befreundet. Manchmal muss man Entscheidungen treffen, die emotional ein bisschen schwieriger sind.

DAZN: Beinhaltet das schnelllebige Geschäft auch, dass man mit einem bestimmten Trainer nur in einer gewissen Phase erfolgreich zusammenarbeiten kann?

Kerber: Es ist zumindest wichtig, mal eine andere Stimme und Meinungen von anderen Trainern zu hören. Nach so vielen Jahren entwickelt sich sonst eine Normalität.

DAZN: Was macht Ihr neuer Trainer Wim Fissette anders?

Kerber: Zum einen natürlich die Ansprachen. Aber auch, wie wir das Training planen und einige Details an meinem Spiel ändern, ist neu. Ich habe zum Beispiel meinen Aufschlag etwas umgestellt und versuche jetzt, aggressiver zu agieren. Ich will immer besser werden und nicht das Gleiche wie noch vor zwei, drei Jahren spielen.

DAZN: Fällt es schwer, die Technik umzustellen?

Kerber: Für mich ist das nicht so schwierig. Ich brauche ein paar Wochen, dann habe ich aber das Vertrauen und kann die Neuerungen gut umsetzen.

DAZN: Sie sind mit dem Sieg in Sydney perfekt in die diesjährige Saison gestartet, fielen aber noch im Januar aus den Top 20 heraus. Belastet einen so etwas?

Kerber: Grundsätzlich bin ich keine Person, die ständig auf die Rangliste schaut. Für mich ist es eher wichtig, das ganze Jahr konstant zu spielen. Aber klar, ein komisches Gefühl ist es natürlich trotzdem, nicht mehr dort zu stehen, wo man jahrelang stand. Auch wenn es nur für eine kurze Zeit war.

DAZN: Wie gehen die Gegnerinnen damit um? Ändert sich durch die schlechtere Weltranglistenplatzierung irgendetwas?

Kerber: Die anderen haben nach wie vor Respekt vor mir. Jede Spielerin hat mal eine Phase, die nicht so gut läuft. Und am Ende des Tages weiß auch jede, dass man nicht ohne Grund die Nummer eins war. Auch wenn mich "die ehemalige Nummer eins" auf ewig verfolgen wird, hoffe ich natürlich, dass ich es eines Tages nochmal dorthin schaffe.

DAZN: Haben Sie noch dieses Gefühl, dass gerade alles läuft und Sie auch ein Grand-Slam-Turnier gewinnen können?

Kerber: Diese Momente gibt es tatsächlich. Man spürt, wie es geht und dass man gegen die Top-Spielerinnen bestehen kann. Für mich ist aber das Wichtigste zu wissen, dass man nicht zwei Wochen sein bestes Tennis abrufen kann. Es gibt immer Spiele, in denen man sich einfach durchfighten muss. Das war bei meinen Siegen, bei denen ich auch mal Matchball gegen mich hatte, nicht anders.

DAZN: Können Sie so ein Jahr wie 2016 nochmal abrufen?

Kerber: Schwer. (lacht) Aber das muss auch gar nicht sein, weil ich jetzt als Person anders bin. Ich versuche, das alles mehr zu genießen, weil ich weiß, was bei großen Turnieren auf mich zukommt und was mir guttut und was nicht.

von DAZN

Freitag
20.04.2018, 12:06 Uhr