ATP: Dominic Thiems Abschied - Es ist okay, traurig zu sein
So viele tolle Stunden Unterhaltung und Nervenkitzel hat Dominic Thiem den Tennisfans auf der ganzen Welt beschert. Über einen gezogenen Schlussstrich traurig zu sein, ist menschlich. Für Enttäuschung ist jedoch kein Platz. Ein Kommentar zu einem Ende mit Ansage.
von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet:
10.05.2024, 20:25 Uhr
Als am 22. Juni 2021 beim ATP-Rasenturnier auf Mallorca Dominic Thiem im Achtelfinale gegen Adrian Mannarino beim Stand von 5:2 im ersten Satz nach einem Vorhand-Schlag einen kleinen Schmerzenschrei gen Himmel schickte, war den meisten Zusehern schon klar, dass sich der Österreicher wohl eine mühsame Verletzung zugezogen haben dürfte. Dass die daraus resultierenden chronischen Handgelenksprobleme des Lichtenwörthers jedoch knapp drei Jahre später zu einem viel zu frühen Karriereende führen würden, war damals noch nicht wirklich abzusehen.
Man kann und darf Dominic keinesfalls vorwerfen, dass er nicht alles in seiner Macht stehende probiert hätte, um den Anschluss an die Weltspitze wiederzufinden. Wer dieser seltsamen Meinung sein sollte, vergisst wohl, wie viel Anstrengung hinter einem so langen Comeback-Versuch steht. Körperlich, aber vor allem auch psychisch. Nach kleinen Erfolgen wieder enorme Rückschläge einzustecken, zehrt an den mentalen Kräften, das sollte jedem Menschen klar sein, der selbst einmal nicht enden wollende Probleme im Beruf oder im Privatleben durchmachen musste. Das tut man sich nicht zum Spaß an, besonders wenn man täglich auf Social Media mit verächtlichen und respektlosen Kommentaren konfrontiert wird.
Ein viel zu kurzes Vergnügen
"Domi" - wie ihn liebevoll seine Fans nennen - war und ist ein guter Kerl, ein höflicher, respektvoller und sensibler Zeitgenosse - und das mit allen Vor- und Nachteilen, die diese Charakterzüge in sich tragen. Neben seiner technischen Tennis-Finesse, hat ihm gerade seine sympatische Ausstrahlung weltweit eine große Schar an Fans beschert. Leider wird aber gerade in der Alpenrepublik nicht mit Häme gespart, wenn die sportlichen Leistungen der zuvor glorifizierten Helden nicht mehr den Ansprüchen entsprechen. Eine harte Wahrheit, die bereits einige österreichische Sportler in der Vergangenheit erleben durften. Diesbezüglich ist es wiederum nicht von Vorteil, wenn man sich die entzogene Liebe der sogenannten "Fans" zu sehr zu Herzen nimmt. Der Ex-Weltranglisten-Dritte schaffte es in den letzten gut zwei Jahren nicht, sich von diesen ständigen verbalen Ausrutschern im Internet distanzieren zu können.
Was ein erfolgreicher Athlet in einer Weltsportart alles leisten muss, um an die Spitze zu kommen, können mit Sicherheit nur die wenigsten von uns abschätzen. Es ist ein komplexes Gemisch aus Talent, harter körperlicher Arbeit, mentaler Resilienz und manchmal auch mühsamer Öffentlichkeitsarbeit. All das hat Dominic bis zu seinem 27. Lebensjahr perfekt gemeistert und uns allen Spaß und Spannung geboten. Dann die verletzungsbedingte Zäsur, die alles ins Wanken brachte. Am Ende ist Dominic Thiem auch nur ein Mensch wie jeder andere. Wir alle kämpfen mit unseren Dämonen, haben unseren Rucksack zu tragen. Deshalb ist Enttäuschung über das Ende einer großartigen Karriere nicht geboten, denn der US-Open-Champion von 2020 hat immer so gehandelt, wie es ihm möglich war. Und das wird er auch weiterhin tun. Für die Zukunft alles Gute, lieber Dominic. Und lass Dich von den Trollen und Hatern im Internet nicht zu sehr ärgern.