ATP gibt mit OneVision neue Strategie vor: Aber was steckt dahinter?
Die ATP hat am Donnerstag mit OneVision eine umfangreiche Kampagne zur Weiterentwicklung des Tennissports präsentiert. Ein Blick hinter die Pläne rund um Verteilungsgerechtigkeit, mehr großen Turnieren und der großen Cash Cow: den Medien(rechten).
von Michael Rothschädl
zuletzt bearbeitet:
09.06.2022, 23:54 Uhr

Im Rampenlicht des medialen Interesses der jüngsten Änderungen in den Plänen für die Herren-Tennis-Tour steht zweifelsfrei eines: die Verlängerung von gleich fünf ATP-Masters-1000-Events. Pläne, die freilich nicht ohne negative Implikationen - insbesondere für die Veranstalter Turniere der ATP-250- und ATP-500-Kategorie - ausbleiben. Die andererseits für Tennisfans aber schlichtweg mehr der erfolgreichsten Turniere im ATP-Kalender auf die TV-Bildschirme dieser Welt bringen.
Es ist dies jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die Spitze jener Pläne, die das Herrentennis unter dem Projekt "OneVision" auf ein neues Level heben sollen. Primäres Ziel: das Produkt Tennis weltweit erfolgreicher zu machen, Einnahmequellen weiter auf das digitale Zeitalter auszurichten und latente Zielgruppen als ständiges Publikum der ATP-Tour zu aktivieren. Aber alles der Reihe nach.
Absegnung durch COVID ins Stocken geraten
Diese Geschichte beginnt bereits 2020, vor nunmehr fast zweieinhalb Jahren. Mit Andrea Gaudenzi bewirbt sich ein ehemaliger italienischer Superstar für die Position als Chairman der ATP. Im Gepäck: weitreichende Pläne für die Tennistour. Nahezu 30 Monate hat es - auch aufgrund der COVID-19-bedingten Implikationen für die ATP-Tour - nun gedauert, bis diese Pläne vom Board abgesegnet wurden - und damit in die Umsetzung gehen können.
"Dies hat lange auf sich warten lassen, und für mich ist es ein großer Schritt in Richtung einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Spielern und den Turnieren im Sinne der Partnerschaft, so wie die ATP vor Jahrzehnten konzipiert wurde", sagte Todd Martin, Präsident des Player's Council gegenüber der New York Times. Ein großer Schritt deshalb, weil die Zusammenarbeit zwischen Turnieren und den Spielern künftig massiv intensiviert werden soll.
Verteilungsgerechtigkeit für kleinere Turniere
Während eine stärkere Regulierung der Interessenskonflikte von Mitgliedern des Boards der ATP und bessere Bedingungen für die Spieler bei Turnieren vergleichsweise marginale Änderungen darstellen, steht bei OneVision vor allem eines im Fokus: Verteilungsgerechtigkeit. Die sich auch zu Gunsten der künftig terminlich benachteiligten kleineren Veranstalter auswirken soll.
Die Verwertungsrechte sämtlicher Turniere auf der ATP-Tour werden künftig innerhalb von ATP Media, einer Tochtergesellschaft der ATP, gesammelt. Neu ist hier, dass die ATP-Masters-1000-Events einen Teil ihrer Einnahmen aus diesen Übertragungsrechten künftig mit Turnieren auf ATP-250- und ATP-500-Kategorie teilen werden. Zudem wird das Board of Directors der ATP insofern angepasst und erweitert, als dass die Turniere dieser Kategorien darin vertreten sind.
Mehr Preisgeld bei großen Turnieren - und für niedrig-platzierte Spieler?
Verteilungsgerechtigkeit soll es auch hinsichtlich der Breite an Spielern geben, die ein Stück vom großen "Preisgeld-Kuchen" bekommen. Bei den erweiterten ATP-Masters-1000-Events sollen die Preisgelder bis 2025 verglichen mit 2022 um 35 Prozent steigen, zudem sollen künftig 30 Spieler in den Bonus-Pool am Jahresende aufgenommen werden. Bis dato waren es lediglich deren zwölf. Dieser Pool soll bis 2023 um mindestens 37 % wachsen, wie die ATP auf der Homepage zur Kampagne erklärt.
Ein Profit-Sharing-Mechanismus soll darüber hinaus jene Spieler unterstützen, die außerhalb der absoluten Topplätze in der Weltrangliste mit niedrigen Einnahmen aus den Auftritten auf der ATP-Tour zu kämpfen haben. Über 140 Spieler sollen in dieses System aufgenommen werden. Spieler bis welcher Position in der ATP-Weltrangliste darin inkludiert sind und wie genau die Umsetzung geplant ist, ist zurzeit nicht in Erfahrung zu bringen.
Langfristiger Ansatz der ATP
Auf ATP-Masters-1000-Kategorie wird Spielern künftig über das festgelegte Preisgeld hinaus ein Anteil an den Einnahmen des Turniers zugesprochen. "Wir sagten: 'Lasst uns an der Wurzel des Problems ansetzen', nämlich dem mangelnden Vertrauen zwischen Spielern und Turnieren", erklärte Gaudenzi dazu gegenüber der New York Times. "Und all diese Kämpfe, die jedes Jahr stattfinden und 80 bis 90 Prozent unserer Zeit, Energie und Ressourcen in Anspruch nehmen und bei denen es nur um 1, 2 oder 3 Prozent des Preisgeldes geht."
Ausgelegt sind diese Vorhaben quer durch die Bank äußerst langfristig. Der Profit-Sharing-Deal ist bis 2053 anberaumt, ebenso, wie Turniere der ATP-Masters-1000-Kategorie künftig für 30 Jahre von einer Kategorie-Protection profitieren. Auf ATP-500-Niveau ist diese Sicherung auf 15 Jahre anberaumt, für Turniere der ATP-250-Kategorie ist keine verlängerte Kategoriesicherung eingeplant.
"Mehr Tage mit erstklassiger Unterhaltung"
Was all diese Änderungen gemein haben? Sie sollen die Popularität des Tennissports international vorantreiben. Und exakt hier kommt die Verlängerung der ATP-Masters-1000-Events ins Spiel. "Wir versuchen, mehr Tage mit erstklassiger Unterhaltung anzubieten", sagt Gaudenzi. Und damit auch jene abzuholen, die "nur bei den großen Spielen reinschauen, wie den Halbfinals oder Endspielen der Grand Slams", wie der Vorstand der ATP erklärte.
Hier liege laut dem Italiener ein immenses Potential für eine intensivierte Monetarisierung des Tennissports. "Der Abstand zwischen den Grand Slams und dem Masters-Events ist meiner Meinung nach etwas zu groß geworden, wenn man ihn etwa mit dem Golfsport vergleicht", sagte Gaudenzi der NYT. An Sportarten wie Golf wolle man sich annähern - und dafür ist es unerlässlich, den Fans von Januar bis November ein geschlossenes Narrativ gespickt mit Top-Events zu bieten.
ATP sieht größtes Potential in Medienrechten
In Zahlen möchte der Tennissport eine Zielgruppe von ziemlich exakt einer Milliarde Menschen ansprechen, die global als (latente) Fans des Sports verfügbar sind. Damit ist der Tennissport der viertgrößte Sport der Welt, hinsichtlich der Einnahmen durch Medienrechte hinkt Tennis - mit gerade einmal 1,3 Prozent der weltweiten Einnahmen von Sportarten durch den Verkauf von Medienrechten - anderen Playern weit hinterher.
Und genau die Medienrechte sind der springende Punkte. Derzeit verlasse sich der Tennissport zu sehr auf die Einnahmen durch Verkauf von Tickets. Wie volatil dieser Markt ist, hat die COVID-19-Pandemie zuletzt eindringlich aufgezeigt. "Die größte und am besten skalierbare Wachstumsmöglichkeit liegt in den Medien", ist demnach so etwas wie der Leitsatz einer neuen Strategie des Herrentennis. Die Quintessenz eines Kurses, den die ATP nun offiziell ausgerufen hat.
Tennis United? Zukunftsmusik!
Was auf den Ausführungen zur neuen Strategie permanent mitschwingt, Einigkeit. Einigkeit, die es im Tennissport derzeit nicht gibt. Kein anderer Sport dieser Kategorie ist derart fragmentiert, wie es im Tennis der Fall ist. Hier möchte man ebenfalls ansetzen. Aber noch nicht jetzt. Gespräche würden zwar bereits geführt, eine wirkliche Zusammenführung soll jedoch erst in einer zweiten Phase von OneVision tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Wann genau dies der Fall sein soll, ist noch unklar.
"Natürlich gibt es noch viel zu tun. Manchmal konkurrieren wir eher, als dass wir zusammenrbeiten. Als Sport stehen wir weiterhin vor komplexen Herausforderungen, die die Notwendigkeit eines gemeinsamen Governance- und Betriebsmodells unterstreichen. Indem wir unsere Medien- und Datenrechte bündeln und auf eine gemeinsame Vision hinarbeiten, können wir den Fans das ultimative Erlebnis bieten und ein stärkeres Ökosystem für alle aufbauen", ist auf der Homepage zu lesen. Was so viel heißt wie: "Ein Schritt nach dem anderen." Der erste ist getan.