ATP: Im Gespräch mit Oliver Marach - „Habe die letzten beiden Jahre plus, minus Null gemacht“

Oliver Marach äußert sich im exklusiven Gespräch mit tennisnet.com ehrlich über die Problematiken im Profi-Tenniszirkus und spricht auch offen über seine persönliche Zukunft.

von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet: 26.11.2021, 12:25 Uhr

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Oliver Marach spricht mit tennisnet.com über den enormen finanziellen Druck für die Profis während der Corona-Pandemie und die Fehler im System

Oliver Marach stand 2018 bereits auf Position zwei der ATP-Doppel-Weltrangliste und hat damit bis auf weiteres eine österreichische Rekordmarke gesetzt. Im selben Jahr holte der gebürtige Grazer auch den Grand-Slam-Sieg bei den Australian Open mit seinem damaligen Partner Mate Pavic aus Kroatien. Der mittlerweile 41-Jährige, der diese Woche beim Davis-Cup-Finalturnier in Innsbruck im Einsatz ist, hat in den letzten 24 Jahren nicht nur dem österreichischen Tennissport mit den Stempel aufgedrückt. Mit tennisnet.com sprach Marach über die Probleme des Profi-Zirkus, den finanziellen Druck während der COVID-Pandemie und seine persönliche Zukunft.

Wie war denn das Jahr 2021 für dich, nachdem ja 2020 durch die COVID-Pandemie bereits alles drunter und drüber gegangen ist?

Also, da muss ich schon beim vorigen Jahr einhaken. Mit der Pandemie war alles richtig schwer zu koordinieren, man hätte es wahrscheinlich schon besser machen können, fürs eigene Tennis, dass ich zum Beispiel in Österreich hätte bleiben können, aber ich habe Familie und Kinder, die gehen in die Schule. Wie die Pandemie gekommen ist, da war gerade der Daviscup in Graz gegen Uruguay. Bei meinem Match habe ich mich ein wenig am Kreuz verletzt. Meine Frau und die Kids, die in Graz dabei waren, sind dann nach Hause geflogen, und ich hätte Indian Wells spielen sollen. Ich bin dann aber für ein, zwei Tage noch zu meinem Arzt zum Chiemsee gefahren - eben für Spritzen wegen meinem Kreuz - und dann ist auf einmal alles abgesagt worden. Dann habe ich mir gedacht, falls Miami auch abgesagt wird, fliege ich mal schnell heim, denn das ist in der Nähe von Panama. Und da habe ich echt Glück gehabt, denn ich habe einen der letzten beiden Flieger erwischt, danach war dann alles zu. Zu Hause in Panama war es dann ganz schlimm, zwei Monate lang war die Stadt komplett zu. Als Mann durfte ich nur zwei Stunden in der Woche das Haus verlassen, um zum Supermarkt zu gehen, die Frauen dreimal und die Kinder gar nicht. Da habe ich natürlich auch nicht trainieren können, was dann auch körperlich eine komplette Veränderung bedeutet hat. Das Gute an der Sache war, dass ich meine Kids einmal für vier, fünf Monate gesehen habe - das war wirklich schön, muss ich sagen.

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Ein echter Familienmensch - Oliver Marach mit seiner Frau und ihren beiden Töchtern

Nach zwei Monaten sind wir dann mit etwas Risiko an den Strand geflüchtet, dort konnte man sich wenigstens frei bewegen, und da konnte ich auch ein wenig Fitness machen. Insgesamt habe ich drei Monate lang kein Tennis spielen können. Es hat hier einfach keine Spieler gegeben, ich konnte auch niemanden einfliegen lassen. 2020 - zu Beginn - habe ich mit Raven Klaasen eigentlich ganz gut gespielt, nach der Pandemie war es eine reine Katastrophe. Ich habe keine Matches gewonnen, sondern eine Negativ-Serie hingelegt, die ich, seitdem ich Doppel spiele, noch nie so gehabt hatte. Was mich ein bisschen am Leben gehalten hat, war, dass das Ranking eingefroren wurde, damit habe ich die Punkte behalten, obwohl ich ja eigentlich praktisch nichts gewonnen hatte. Eigentlich müsste ich ja noch deutlich schlechter stehen.

Du warst einmal die Nummer zwei im ATP-Doppel-Ranking, stehst derzeit auf Position 42. Wie zufrieden bist Du damit?

Das ist für mich eigentlich ein schlechtes Ranking, wenn ich mir die letzten Jahre anschaue. Ich kann keine 1000er-Turniere mehr spielen, mich fragen auch keine Spieler mehr. Die großen Teams haben durch das System immer spielen können, und die haben jetzt noch viel mehr Distanz zu den anderen Spielern - es ist richtig schwer, wieder hoch zu kommen. Du brauchst mindestens, wenn du so um die 40 stehst, ein Finale bei einem Grand Slam, sonst bringt es nichts. Und vom Budget her: Ich habe die letzten zwei Jahre eigentlich plus, minus Null gemacht. Das Preisgeld war eine reine Katastrophe. Schau zum Beispiel Mate Pavic an: Der hat heuer ja eigentlich praktisch alles gewonnen, hat aber circa 1,5 Millionen Euro gegenüber einer normalen Saison verloren. Und das sind die Leute, die gewinnen. die Leute, die die erste oder zweite Runde verlieren sind sowieso immer im Minus. Ein Beispiel: Pavic hat das 1000er-Turnier in Rom gewonnen. In einer normalen Saison bekommst Du für den Sieg zwischen 120.000 und 150.000 €. Dieses Jahr hat er 17.000 € für den Sieg bekommen.

Stellt sich dann auch irgendwann die Sinnfrage, ob es sich noch auszahlt?

Ja klar, irgendwann ist auch meine Frau gekommen. Sie hat mir bis jetzt nie einen Stress gemacht, mich immer spielen lassen, aber ich habe eben eine Familie mit zwei Töchtern - neun und sechs Jahre - und die haben mich bis vor zwei Wochen, dieses Jahr drei Wochen gesehen und das ist eine Katastrophe, so schlimm war das noch nie. Ich habe sehr viel gespielt, und wenn du dann auch das Geld nicht machst und die Kinder nicht siehst und immer weg bist, das zahlt sich dann eigentlich nicht mehr aus.

Mit Deiner großen Erfahrung: Was braucht man Deiner Meinung nach, um einen erfolgreichen, professionellen Weg einzuschlagen?

Wenn ein junger Spieler / eine junge Spielerin zu mir kommt und mich fragt, ob er oder sie ein Profi werden soll, dann stellen sich für mich zwei entscheidende Fragen. Erstens: Ist er / sie ein Supertalent, was, wenn man ehrlich ist, einmal von 100-mal  passiert. Da muss man einfach Glück haben. Und die zweite Frage ist, kannst du es dir finanziell leisten? Bzw. deine Eltern? Weil, du verdienst einfach kein Geld, wenn du unter 100 im Single stehst. Bei den Grand Siams bekommst du mittlerweile gutes Geld. Als ich im Single um die 100 gestanden bin, habe ich für die erste Runde 16.000 € bekommen, heute bekommst du 60.000 €. So kannst du dir das Jahr mit einem Coach finanzieren, denn du brauchst einen. Aber ein Coach ist eben extrem teuer. Wenn du nicht in den Top 100 stehst, machst du einfach kein Geld in dem Sport, weil du zu hohe Ausgaben hast. Es ist auch so schwer hoch zu kommen mit dem ganzen System.

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Papa Oliver hat während des Corona-Lockdowns die gemeinsame Zeit mit seinen Töchtern genossen

Wie geht es für Dich jetzt konkret nach dem Davis Cup weiter? Du hast gerade in dieser Saison doch immer wieder durchblicken lassen, dass sie auch Deine letzte sein könnte.

Ich bin aktuell in der Planungsphase eines großen sportlichen Projekts in den USA, über das ich noch nichts verraten kann. Und ob ich nächstes Jahr weiterspiele, kann ich noch nicht sagen. Ich verliere die meisten Punkte nach Dubai und Rotterdam, da habe ich am meisten zu verteidigen. Und ich spiele sicher keine Challenger-Turniere mehr. Ich kann jetzt noch Australien spielen, ob ich das mache, werde ich kurzfristig vor dem Nennschluss am 12. Dezember entscheiden, ich würde sagen, es steht 50:50. Danach könnte ich noch die Südamerika-Tour spielen, weil in Rotterdam und Dubai komme ich eh nicht mehr rein, maximal mit einem Singlespieler, aber das wird’s auch nicht spielen, weil die meisten Singlespieler spielen lieber mit anderen Singlespielern. Die wollen dann auch abreisen, wenn sie im Einzel draußen sind. Ich war immer ein extremer Kämpfer und Fighter, aber seit der Pandemie hat alles ein bisschen nachgelassen. Ich habe jetzt mehr Kilo am Körper, ich bin nicht mehr ganz so fit. Ich finde zwar, dass ich wieder richtig gut gespielt habe die letzten paar Wochen, aber die Ergebnisse sind trotzdem ausgeblieben, die waren nicht so da, wie ich es mir gewünscht hätte. Und dann muss man einfach mal nachdenken, ob es noch einen Sinn hat. Die einzige Chance habe ich jetzt noch in Australien, wenn ich da ein richtig gutes Resultat habe, dann hätte ich vielleicht noch eine Möglichkeit. Aber ansonsten… Auch wenn ich die Südamerika-Tour spielen würde - zwei 250er und ein 500er, da komme ich auch nicht mehr hoch, das bringt einfach nichts. Wenn ich ein 250er gewinne, komme ich vielleicht ein, zwei Plätze hoch - und das musst du ja auch erst mal gewinnen. Wenn ich einen Coach mitnehme, verdiene ich bei so einem Turnier, wenn ich es gewinne, vielleicht 400-500 €. Während der Pandemie hat ein Coach jedenfalls meist mehr verdient als der Spieler, der bekommt sein Zimmer gezahlt und seinen Wochenlohn fix.

Lieber Oli, egal, wie es nach dem Davis Cup persönlich für Dich weiter geht, alles, alles Gute für Deine Familie und Deine Zukunft und hoffentlich bis bald!

von Stefan Bergmann

Freitag
26.11.2021, 08:05 Uhr
zuletzt bearbeitet: 26.11.2021, 12:25 Uhr