Die Jahresbilanz der deutschen Herren

Ein historisch schwaches Tennisjahr bei den deutschen Herren wird durch Lichtblicke aus der zweiten Reihe aufgehellt.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 16.12.2015, 15:49 Uhr

Philipp Kohlschreiber

Von Björn Walter

Nur drei deutsche Herren überwintern unter den Top 100. Vor Jahresfrist platzierten sich immerhin noch sieben DTB-Profis in diesem Elitekreis. Zwischenzeitlich rutschte Deutschlands SpitzenspielerPhilipp Kohlschreiberauf Rang 42 ab. Damit war seit mehr als 30 Jahren erstmals kein deutscher Tennisspieler unter den besten 40 der ATP-Weltrangliste zu finden. Die trübe Bilanz hat aber auch positive Farbtupfer. Vor allem Spieler aus der zweiten Reihe geben Anlass zur Hoffnung.Daniel Brands, Mischa Zverev und Maximilian Marterer heißen die Aufsteiger 2015.So fokussiert sich im kommenden Tennisjahr nicht alles auf NachwuchsstarAlexander Zverev. Wie es den deutschen Herren 2015 im Einzelnen erging, seht ihr hier:

Philipp Kohlschreiber(Ende 2014: Platz 24 -> 14. Dezember 2015: Platz 34)

Sein Saison-Highlight feierte Deutschlands aktuell bester Tennisspieler mit dem Turniersieg in Kitzbühel. Keinem anderen Deutschen gelang 2015 ein Einzelturniersieg auf der ATP-Tour. Ansonsten spielte der Augsburger eine durchwachsene Saison. Auf der Habenseite stehen das Finale in München und die Halbfinals in Moskau und Metz. Bei den großen Turnieren fiel die Bilanz allerdings unbefriedigend aus. Nur bei den US Open erreichte Kohlschreiber die dritte Runde. Auf Masters-1000-Ebene kam er nicht über Runde zwei hinaus. Durch die fehlenden Punkte aus den prestigeträchtigen Events stand der 32-Jährige, erstmals seit 2011, nicht unter den Top 30 am Jahresende. Schafft er es sein Potential zukünftig konstanter auszuschöpfen und Verletzungen zu vermeiden, geht es schnell wieder in höhere Gefilde. Damit umgeht Kohlschreiber auch Hammerauslosungen wie beim diesjährigen Wimbledon-Turnier, als er in der ersten Runde an Branchenprimus Novak Djokovic scheiterte.Selbst die Top 10 hat Kohlschreiber noch nicht abgeschrieben.

Alexander Zverev(Ende 2014: Platz 136 -> 14. Dezember 2015: Platz 83)

Das größte Versprechen des deutschen Tennis setzte seinen kontinuierlichen Aufwärtstrend fort. Die ATP verlieh dem 18-Jährigen, als jüngstem Spieler der Top 100 den prestigeträchtigen „Star of Tomorrow Award“. Keine Selbstverständlichkeit: Nachdem der Hamburger im Vorjahr bei seinem Heimturnier sensationell ins Halbfinale einzog, musste er mit gestiegenem Erwartungsdruck und Anspruchsdenken umgehen. Anfang des Jahres tat sich das Ausnahmetalent dementsprechend schwer und kam nur selten über die Auftaktrunden hinaus. Mit dem Challenger-Sieg in Heilbronn war der Bann gebrochen. Zverev knackte im Mai erstmals in seiner Karriere die Top-100-Schallmauer. Auf der ATP-Tour bestätigte „Sascha“ seine Topleistung und erreichte das Halbfinale in Bastad sowie das Viertelfinale in Washington, D.C..Sein persönliches Highlight setzte Zverev wohl in Wimbledon, als er den Russen Teymuraz Gabashvili in fünf Sätzen niederrang.Geplagt von Krämpfen, fiel er nach dem verwandelten Matchball überglücklich zu Boden und feierte seinen ersten Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier.

Benjamin Becker(Ende 2014: Platz 40 -> 14. Dezember 2015: Platz 97)

Auf das beste Jahr in Beckers Karriere folgte eine wenig glanzvolle Saison 2015. So rutschte der Routinier zwischenzeitlich sogar aus den Top 100. Mit einem starken Endspurt hievte sich der Saarländer aber doch noch auf Platz 97 im Ranking. Ausschlaggebend dafür waren die Finalteilnahmen bei den Challengern in Mons und Eckental. Zudem erreichte der 34-Jährige das Halbfinale in Kuala Lumpur, bei dem er unter anderem Jeremy Chardy und Grigor Dimitrov schlug. In der Vorschlussrunde zwang er den späteren Turniersieger David Ferrer über drei Sätze. Erstaunliche 17 Erstrundenpleiten auf der Tour sorgten allerdings dafür, dass der Merziger von Platz 35 (Oktober 2014) durchgereicht wurde. Seine Kämpferqualitäten zeigte Becker aber bei den Australian Open, als er Lokalmatador Lleyton Hewitt in fünf Sätzen besiegte und bis in Runde drei vorstieß. Bei den French Open gelang ihm selbiges, nachdem er gegen Ruben Bemelmans und Fernando Verdasco zwei weitere Schlachten über die volle Distanz für sich entschied.

Jan-Lennard Struff(Ende 2014: Platz 59 -> 14. Dezember 2015: Platz 108)

Eine fast unfreiwillige Kopie Beckers war der Saisonverlauf von Jan-Lennard Struff. Der Warsteiner zeigte zwar oft couragierte Matches, verlor aber meist im Entscheidungssatz. Um den Abwärtstrend zu stoppen, suchte sich der 25-Jährige im August einen neuen Trainer. Mit Erfolg: Der ehemalige Davis-Cup-Chef Carsten Arriens löste die Blockaden bei „Struffi“. Es folgte ein starker Herbst mit aufeinanderfolgenden Challengersiegen in Orleans und Stettin. Der Aufwärtstrend kam zwar etwas spät, um die direkte Hauptfeldteilnahme bei den Australian Open zu sichern. Knüpft Struff aber an die Leistungen aus dem Spätjahr an, sollte er 2016 wieder in Richtung Top 50 schielen können. Genügend Potential hat der Hardhitter dafür allemal.

Michael Berrer(Ende 2014: Platz 128 -> 14. Dezember 2015: Platz 115)

Das Jahr begann für den „schwäbischen Bär“ mit einem weltweit beachteten Paukenschlag. In Doha besiegte er Titelverteidiger Rafael Nadal in der ersten Runde und feierte damit den größten Erfolg seiner Karriere. „Ich bin einfach draufgegangen, weil ich nichts zu verlieren hatte“, kommentierte der Stuttgarter sein Husarenstück. Die perfekte Klammer verpasste Berrer nur knapp. Beim ATP-Challenger im italienischen Andria unterlag er erst im Finale dem Kroaten Ivan Dodig. Ein weiteres Ausrufezeichen setzte Berrer mit dem Halbfinaleinzug beim ATP-Event in Bogota.Diese Erfolgserlebnisse fixten den 35-Jährigen so sehr an, dass er sein eigentlich geplantes Karriereende weiter aufschiebt.Der Reiz, große Turniere mitzuspielen und Topspieler ab und an zu ärgern, lässt das Kraftpaket nicht los – weitere Sensationssiege nicht ausgeschlossen!

Dustin Brown(Ende 2014: Platz 89 -> 14. Dezember 2015: Platz 118)

Michael Berrer war wohl das ideale Vorbild für Dustin Brown. Der Deutsch-Jamaikaner besiegte ebenfalls Tennisikone Rafael Nadal, nur war die Bühne ungleich größer im Vergleich zu Berrers Triumph.„Dreddy“ schaltete den Spanier in der zweiten Runde in Wimbledon aus und spielte dabei Zaubertennis.Fast hätte dieser Coup zurSensation des Tennisjahres 2015gereicht – nur Roberta Vincis US-Open-Sieg gegen Serena Williams war noch verrückter. Beim größten Erfolg seiner Karriere spielte sich der gebürtige Niedersachse in einen Rausch und stellte die Bilanz gegen Nadal auf 2:0. Bereits im Vorjahr düpierte er den Mallorquiner auf dem Rasen in Halle. Ansonsten versprühte der schillernde Brown wenig Glanz. Viel mehr als die Viertelfinals von Newport und Doha sowie das Challenger-Finale von Fairfield stehen nicht zu Buche. Dementsprechend fiel der Rastamann aus den Top 100 und muss bei den Australian Open durch die Qualifikation. Sollte er aber wieder einen seiner Galatage erwischen, können sich die Fans auch 2016 auf „Dreddy-Deluxe“ freuen.

Daniel Brands(Ende 2014: Platz 329 -> 14. Dezember 2015: Platz 159)

Die Leidenszeit des Deggendorfers scheint endgültig vorbei zu sein. 2014 litt Brands am Pfeifferschen Drüsenfieber und wurde dadurch weit zurückgeworfen. Die ehemalige Nummer 51 der Welt besiegte Roger Federer 2013 in Gstaad und war auf dem Vormarsch in die erweiterte Weltspitze. „Brandy“ gab aber nicht auf und kämpfte sich über Future- und Challengerturniere zurück. Der 1,96-Meter-Hüne gewann das Event von Como und machte am Jahresende auch auf ATP-Tour-Ebene auf sich aufmerksam. In Valencia erreichte der 28-jährige Bayer das Viertelfinale, nachdem er in der ersten Runde Nick Kyrgios besiegte. Bleibt Brands auch 2016 gesund, dürfte er in absehbarer Zeit wieder an den Top 100 anklopfen.

Mischa Zverev(Ende 2014: Platz 726 -> 14. Dezember 2015: Platz 172)

Der Name Zverev steht nun auch beim älteren der beiden Brüder wieder für Erfolg. Zwischenzeitlich fiel Mischa Zverev im abgelaufenen Spieljahr sogar aus den Top 1000. Jahrelange Verletzungsprobleme führten zum Absturz im Ranking. Doch danach ging es rasant bergauf für den 28-jährigen Hamburger. Der Serve-und-Volley-Spezialist erwies sich als Meister der Qualifikationen. Achtmal kämpfte sich Zverev über diesen Umweg in die ATP-Hauptfelder vor – Rekord! In Valencia und Stuttgart marschierte er bis ins Viertelfinale. Der „Quali-Meister“ darf nun bei den Grand Slams in die Qualifikation. Sollte die ehemalige Nummer 45 im ATP-Ranking den Trend auch 2016 fortsetzen, sind Bruderduelle der Zverevs in den Hauptfeldern kleinerer ATP-Events möglich.

Peter Gojowczyk(Ende 2014: Platz 79 -> 14. Dezember 2015: Platz 194)

„Gojo“ war 2014 kurzzeitig Deutschlands Tennisspieler der Stunde und wurde zumDavis-Cup-Held: Der Münchner besiegte Jo-Wilfried Tsonga in fünf dramatischen Sätzen und brachte Deutschland zwischenzeitlich mit 2:0 gegen die Franzosen in Führung (Frankreich drehte die Partie noch). Ein Jahr später ging es für den 26-Jährigen wieder bergab. Schuld daran war vor allem eineFußoperationim Februar, die Gojowczyk monatelang außer Gefecht setzte. Dementsprechend verlor der Bayer viele Punkte und konnte sich nur geradeso in den Top 200 halten. Im September setzte „Gojo“ aber wieder ein positives Zeichen und gewann das ATP-Challenger-Turnier im chinesischen Nanchang. Mit seinem vierten Titel auf Challenger-Ebene meldete er höhere Ansprüche an. Bleibt Gojowczyk von Verletzungen verschont, ist 2016 eine Rückkehr die Top 100 nicht unrealistisch.

Florian Mayer(Ende 2014: Platz 147 -> 14. Dezember 2015: Platz 215)

Schwere Zeiten für Florian Mayer. Erst im Frühjahr kehrte der 32-jährige Bayreuther nach einjähriger Verletzungspause (Blessur am Schambein) auf die Tour zurück. Im Oktober holte ihn das Verletzungspech wieder ein. Im Training zog sich Mayer einen Sehnenanriss an den Adduktoren zu und musste seine Saison vorzeitig beenden. Der ehemalige Top-20-Spieler hatte nur wenige Glanzmomente im Jahr 2015. Im westfälischen Halle erreichte er immerhin das Viertelfinale, verlor dieses aber gegen Rekordturniersieger Roger Federer. Insgesamt reichte es nur zu drei weiteren Siegen auf der Tour. Bei den US Open musste Mayer seine Erstrundenpartie erschöpft aufgeben. Ob der Bayreuther noch mal die Kraft hat unter die Top 50 zurückzukehren, bleibt abzuwarten. Bekommt er seinen anfälligen Körper in den Griff, ist das spielerische Vermögen dafür immer noch ausreichend.

Maximilian Marterer(Ende 2014: Platz 463 -> 14. Dezember 2015: Platz 265)

Auf dem Weg nach oben befindet sich Maximilian Marterer. Der 20-jährige Linkshänder kletterte um fast 200 Plätze im Ranking – Tendenz weiter steigend. In Stockholm qualifizierte sich Marterer erstmals aus eigener Kraft für ein ATP-Hauptfeld. Gegen Leonardo Mayer gewann der Nürnberger sogar den ersten Satz, für den Sieg reichte es aber noch nicht. Diese peilt der starke Aufschläger 2016 auf ATP-Level an. Vier Turniersiege auf Future-Ebene machen Hoffnung auf mehr. Knüpft Marterer an die gezeigten Leistungen an, wird sein Name zukünftig noch häufiger zu hören sein.

Tobias Kamke(Ende 2014: Platz 97 -> 14. Dezember 2015: Platz 278)

Der gebürtige Lübecker hat eine echte Horrorsaison hinter sich. Unglaubliche 13 Matches in Serie hatte Kamke von Anfang Februar bis Anfang Juni verloren. Beim ATP-Challenger in Liberec stoppte er die Seuchenserie mit dem Turniersieg. Damit gewann er das sechste Jahr in Folge einen ATP-Challenger-Titel. Doch die Hoffnung auf Besserung erfüllte sich dadurch nicht. Mehr als eine Viertelfinalteilnahme beim Challenger in Alphen brachte der 29-Jährige danach nicht zustande. Im März fiel er aus den Top 100, nachdem er dort knapp fünf Jahre lang über weite Strecken verbrachte. Schläger- und Trainerwechsel brachten nicht den gewünschten Erfolg. Der ATP-Newcomer des Jahres 2010 steckt in der schwersten Krise seiner Karriere. 2016 kann es eigentlich nur besser werden für den Wahl-Hamburger.

Tommy Haas(Ende 2014: Platz 77 -> 14. Dezember 2015: Platz 471)

Der Altmeister kam nach seiner Schulter-OP nur schwer in die Gänge. Zwei Siegen stehen neun Niederlagen gegenüber. Lediglich in Stuttgart und Wimbledon überstand Haas die Auftaktrunde. Durch die lädierte Schulter konnte der 37-jährige Hamburger nicht mit voller Kraft servieren und war dadurch meist nicht konkurrenzfähig. 2016 will er noch mal angreifen und die komplette Saison absolvieren: „Geplant sind die großen Turniere – Grand Slams und alle Masters-1000er. Darüber hinaus möchte ich, wenn möglich, noch einmal alle deutschen Turniere spielen und mich so offiziell vom deutschen Publikum verabschieden.“, sagte Haas gegenüber dem tennismagazin. Der Knaller zum Abschied wäre für ihn ein Turniersieg auf deutschem Boden. Auch für den Davis Cup steht der Veteran noch bereit. Hält die Schulter, gelingt Tommy Haas ein würdiger Karriereausklang. Es wäre ihm zu wünschen.

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