Pete Sampras' emotionaler Brief an sein 16-jähriges Ich

Pete Sampras hat einen emotionalen Brief an sein jüngeres Alter Ego verfasst, den wir euch nicht vorenthalten wollen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 04.07.2015, 07:15 Uhr

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Von Christian Albrecht Barschel aus Wimbledon

Wenn man über die Anlage des All England Lawn Tennis and Croquet Club schreitet, ist er immer noch allgegenwärtig: Pete Sampras, siebenmaliger Wimbledon-Champion, der alle seine Endspiele auf dem „Heiligen Rasen“ gewinnen konnte. Die riesengroßen Bilder von „Pistol Pete“ mit dem Wimbledon-Pokal in der Hand hängen in den Katakomben des Tennis-Mekkas. Sampras kann auf eine bewegte und bewegende Karriere zurückblicken. Seine Biografie „A Champion’s Mind – Lessons from a life in Tennis“, die er mit dem Tennisjournalisten Peter Bodo verfasst hat, ist eine Pflichtlektüre für jeden Tennisfan.

„Wir können alle von den Einsichten profitierten, die er uns eröffnet“, sagte Roger Federer über Sampras’ Lebensgeschichte. Der 14-malige Grand-Slam-Sieger blickte zum Turnierstart in Wimbledon in „The Players’ Tribune“ in einer hoch emotionalen Weise auf seine herausragende Karriere zurück. Sampras schrieb einen Brief an sein 16-jähriges Ich und gibt in diesem seinem jüngeren Alter Ego Ratschläge, was ihn in den kommenden Jahren erwarten wird und worauf er unbedingt achten sollte. Den emotionalen Brief von Sampras wollen wir euch nicht vorenthalten und haben diesen in voller Länge für euch übersetzt.

Der emotionale Brief von Pete Sampras an sein 16-jähriges Ich

Lieber 16-jähriger Pete,

Du wirst bald Profi sein, und das wird Dich ziemlich begeistern. Tief in Deinem Herzen weißt Du, dass Du letztendlich Erfolg haben wirst. Aber glaube mir, er wird viel früher kommen, als Du denkst. Du wirst Deine frühen Höhen und Tiefen haben, aber in ein paar Jahren wirst Du Dir den Weg in die Top 5 erkämpft haben, die US Open gewinnen, und dabei solche Größen wie Ivan Lendl, John McEnroe und Andre Agassi bezwingen. Mit 19 wirst du der jüngste US-Open-Sieger sein. Ab da wird sich alles verändern.

Du wirst ein aufstrebender, amerikanischer Spieler sein, ohne für viel Aufsehen zu sorgen. Dann, wenn Du am Morgen nach Deinem US-Open-Sieg aufwachst, wirst Du in jeder Talkshow sein. Alle Augen werden auf Dich gerichtet sein. An die Aufmerksamkeit wirst Du Dich gewöhnen – aber es wird nicht zu Deiner zurückhaltenden Persönlichkeit passen.

Es gehört mehr dazu, Tennisprofi zu sein, als nur Tennis zu spielen. Je erfolgreicher Du bist, umso mehr Leute wollen etwas von Dir. Es wird nicht immer etwas sein, was Du gerne machst, und es wird nicht immer Spaß machen. Der Druck wird Dich genauso erschöpfen, wie alles was Du auf dem Tennisplatz tust. Aber als Tennis-Champion hast du diese Verantwortung. Du spielst Tennis, weil Du das Spiel liebst und nicht weil Du das Rampenlicht liebst, also mach Dich bereit. Denke über etwas Medien-Training nach. Es wird lange Zeit dauern. Glücklicherweise wirst Du nicht mehr dabei sein, wenn solche Sachen wie Twitter und Facebook aufkommen. Sei dankbar dafür. Eines Tages wirst Du verstehen, was ich meine.

Oh, und lege die Zeitungen beiseite. Lies nicht, was Leute über Dich sagen. Da kann nie etwas Gutes dabei herauskommen. Und wenn Du etwas Negatives über Dich hörst oder liest, zerbrich Dir nicht den Kopf darüber. Lass deinen Schläger Taten sprechen.

Nun, lass uns etwas über Dein Spiel sprechen. Im Laufe Deiner Karriere wird eine neuartige Saite entwickelt werden, mit der Du etwas mehr Spin und Geschwindigkeit erzielen kannst. Du siehst einen Kerl wie Gustavo Kuerten, der diese Technik auf Sand verwendet und Erfolg damit hat. Auch wenn Trainer und andere Spieler Dir sagen, dass Du die neue Saite verwenden sollst, – und dazu auch noch einen größeren Schlägerkopf, der Dir etwas mehr Spielraum bei Fehlern erlauben soll, um auf Sand zu gewinnen – wirst Du Dich widersetzen. Du bist etwas neurotisch, was Dein Equipment betrifft, – wie die meisten Tennisspieler – aber wenn Du die French Open gewinnen willst und den Karriere-Grand-Slam vervollständigen möchtest, musst Du etwas Neues probieren. Sei offen für neue Technologien.

Obendrein, vergiss nicht, Dich um Deine stärkste Waffe zu kümmern: Deinen Körper. Achte darauf, was Du isst. Es wird Zeiten geben, wenn Du vor einem Match mitten in der Nacht aufwachst und Dich nach Dingen wie Hamburger oder Pizza sehnst. Das ist so, weil dein Körper etwas vermisst. Wenn Du dieses Begehren ignorierst und nicht herausfindest, was Dein Körper braucht (und es ist definitiv nicht Burger und Pizza), wirst Du am nächsten Tag auf den Platz gehen und einbrechen.

Das wird nie offensichtlicher sein als bei den US Open 1996. Du wirst im Achtelfinale Alex Corretja gegenüberstehen. Dir wird im vierten Satz das Benzin ausgehen, weil Du vor dem Match nicht vernünftig gegessen hast. Du brauchst einen Kick und wirst nach einer Dose Coca Cola greifen. Das ist nicht die Antwort. Alles was passieren wird, ist, dass Du Dich während des Tiebreaks im fünften Satz übergeben musst. Du wirst das Match gewinnen, aber glaube mir, es wird kein Spaß sein (auch wenn alle anderen die Theatralik lieben werden).

Eines Tages werden alle Ernährungsfreaks sein. Sei Vorreiter dieses Trends.

Außerdem, pass auf, welche Pillen Du schluckst. Wenn Du Schlaftabletten nimmst, um den Jetlag zu bekämpfen, wirst du sie, ehe Du Dich versiehst, jede Nacht nehmen. Wenn Dein Arm schmerzt und Du Medizin dagegen bekommst, wirf die Flasche weg. Wegen solcher Pillen bekommst Du ein schmerzhaftes und hartnäckiges Magengeschwür. Achte darauf, was Du Deinem Körper zuführst.

Du wirst gegen Deine Helden spielen, wie Ivan Lendl und Jimmy Connors – die Kerle, denen Du beim Aufwachsen zugeschaut hast. Du wirst sogar mit John McEnroe im Doppel spielen, was sich als eine eigenartig perfekte Kombination herausstellen wird. Du, der ruhige, gefasste Rechtshänder und McEnroe, der emotionale, aufgeladene Lefty. Wenn er durchdreht, wirst Du der beruhigende Einfluss sein. Wenn Du in einem Tief steckst, wird er Dir Energie geben. Ihr werdet Euch gegenseitig perfekt ergänzen. Ihr werdet den Davis Cup zusammen gewinnen. Das wird mit der größte Spaß in Deiner Karriere sein, gemeinsam mit dem womöglich besten Doppelspieler aller Zeiten zu spielen.

Aber wenn du den Platz einmal für immer verlassen wirst, gibt es einen Gegner, dessen Name immer mit Deinem zusammen erwähnt werden wird: Andre Agassi.

Ich weiß, dass Du es noch nicht erahnen kannst, aber Du wirst eine angespannte, besondere Rivalität mit Andre Agassi haben. Er wird der beste Spieler sein, gegen den Du in Deiner Karriere spielen wirst. Und er wird das Beste aus Dir herausholen. Du wirst gemeinsam mit ihm zu den Besten der Welt aufsteigen. Und es wird jedesmal ein schweres Match sein, wenn ihr gegeneinander spielt. Diese Partien werden immer für viel Begeisterung sorgen.

Du wirst das Glück haben, gegen ihn in fünf Grand-Slam-Finals zu spielen, und vier davon wirst Du gewinnen. Aber wenn Du alle fünf gewinnen möchtest, hör mir zu.

Im Australian-Open-Finale 1995 wird es 1:1 in Sätzen stehen. Du wirst im Tiebreak 6:4 führen und zum Satz servieren, was Dich mit 2:1 in Sätzen in eine gute Position bringen würde. Serviere nicht nach außen. Geh auf die Mitte. Wenn Du nach außen servierst, wird er Dich auf der Vorhandseite passieren und dann den Satz im Tiebreak gewinnen und schließlich auch das Match. Es wird das einzige Grand-Slam-Finale sein, in dem er Dich schlägt. Diese Umstellung wird Dir zwar nicht den Sieg garantieren, aber sie wird Dich in eine viel bessere Ausgangslage bringen.

Du wirst Dein erstes undletztes Grand-Slam-Finalegegen Andre gewinnen. Und irgendwann dazwischen wirst Du anfangen zu verstehen, wie wichtig diese Rivalität für das amerikanische Tennis ist und wie besonders sie für Euch beide auch menschlich ist. Diese Rivalität wird größer sein, als es sich einer von Euch jemals hätte erträumen können. Euer Spiel ist so verschieden, wie Euer Charakter. Das Beibehalten der Professionalität und des gegenseitigen Respekts füreinander macht die Rivalität zu einer der bedeutendsten, die dieser Sport je gesehen hat.

Es ist nur nicht Andre und die Rivalität, die Du wertschätzen solltest. Es wird eine Menge Leute geben, die einen enormen Einfluss auf Dein Tennisspiel und Dein Leben haben werden – niemand wird aber wichtiger sein als Dein zukünftiger Trainer, Mentor und Freund Tim Gullikson. Während der Australian Open 1995, wo Du gegen Andre im Finale verlieren wirst (außer Du nimmst meinen Ratschlag an), wird Tim auf seltsame Weise kollabieren und auf das Turnier verzichten müssen. Ihn im Krankenhaus zu sehen und seinen Bruder zu sehen, wie er weint, sind Dinge, mit denen Du nicht alleine klar kommen wirst.

Sprich darüber. Ich weiß, dass Du introvertiert und reserviert bist. Aber das ist etwas, was Du nicht alleine ertragen kannst. Wenn Du nicht darüber redest, wird sich alles in Deinem Innern aufstauen undsich in einem riesigen Gefühlsausbruch während des Viertelfinals gegen Jim Courier entladen. Du wirst auf dem Platz in Tränen ausbrechen. Tim wird letztendlich dem Gehirntumor erliegen, der zu seinem Kollaps geführt hatte. Und das wird Dich noch umso härter treffen. Lass Dich damit nicht alleine. Schätze die Zeit, die Du mit ihm noch haben wirst. Und sprich darüber, wenn er gegangen ist. Du wirst mir später danken.

Es sind die Leute in deinem Leben ,– Leute wie Tim – die aus Dir machen, wer Du bist. Schätze das. Schätze Deinen Freund John Black. Wenn er Dir die Nummer dieses hübschen Mädchens mit Namen Bridgette gibt, die Du auf der Filmleinwand gesehen hast, danke ihm und ruf sie an. Ich weiß, dass das nicht zu Deiner Art passt. Es ist bizarr. Aber tue es – ruf sie an. Und später, wenn sie Deine Frau wird, würdige sie. Würdige sie jeden Tag.

Würdige Deine Schwestern, Stella und Marion, und Deinen Bruder Gus. Hör ihnen zu. Sie haben gute Ratschläge. Und sei Dir sicher, dass sie Dich immer unterstützen werden, egal, was passiert. Schätze Deine Eltern. Sie geben Dir das Training, das Du brauchst. Sie werden Dich immer unterstützen. Sie werden Dich Dein eigener Herr sein lassen. Und sei Dir auch Gewahr, dass Du bereit bist, Profi zu werden. Würdige, dass sie Dir eine normale Kindheit wie nur irgend möglich gegeben haben. Sie haben und werden nie zu viel Druck auf Dich ausüben. Das sind Sachen, die Du als 16-Jähriger nicht erkennst – die Opfer, die Deine Eltern aufbringen. Achte darauf, was Deine Eltern tun und mache Notizen. Es wird eines Tages nützlich sein, wenn Du ein paar Söhne hast.

Du bist 16 Jahre alt und Du hast Dein ganzes Leben noch vor Dir, aber lass Dich nicht aussaugen, weil Du immer nur nach vorne schaust. Es ist schwer, weil sich Dein Fokus nach jedem Turnier – selbst wenn Du gewinnst –unverzüglich auf das nächste Turnier richten wird. Nimm Dir die Zeit und sei dankbar für Deine großen Siege und teile sie mit Deiner Familie und Deinen Freunden. Nutze Deine Jugend und genieße sie. Die Reise wird wahrlich Deine Belohnung sein.

Spiele hart, spiele nach Deinen eigenen Bedingungen und bleib Dir stets selbst treu. Dann kannst Du nichts falsch machen.

Herzlichst,
Pete

Lest hier unseren Artikel: „Karriere-Ende mit US-Open-Sieg: Die letzte große Reise von Pete Sampras”

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04.07.2015, 07:15 Uhr