Philipp Kohlschreiber hat seinen unerfüllten Traum noch nicht aufgegeben

„Ich weiß, dass ich das Potenzial habe“, um in die Top Ten zu kommen, zeigt sich Philipp Kohlschreiber überzeugt.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 05.11.2015, 13:55 Uhr

Von Jörg Allmeroth

Als er kürzlich bei seinem Grand-Slam-Gastspiel in New York vor dem Achtelfinal-Duell mitRoger Federerstand, sprach Philipp Kohlschreiber (31) im kleinen Kreis auch über einen „unerfüllten Traum“ in seinem Leben als Tennisprofi. Den Traum, „doch irgendwann einmal in die Top Ten vorzustoßen und zu den Allerbesten der Besten zu gehören.“ Kohlschreiber war sich auch in jenem Moment bewusst, was ihm zur Verwirklichung seiner schönsten Hoffnungen bislang gefehlt hatte: „Ich habe schon oft Spieler aus den Top Ten geschlagen. Ich weiß, dass ich das Potenzial habe, dort hinzugelangen“, so Kohlschreiber, „aber ich brauche die Konstanz auf hohem Niveau dazu. Das war immer die Schwierigkeit.“

Auch wenn Kohlschreiber mittlerweile im Kreis der 30er auf der Tour angelangt ist, muss er keinesfalls verzagen, wenn es um seine Träume, Ziele und Pläne geht. Schließlich schöpfen immer mehr Spieler erst dann ihre ganzen Potenziale aus, wenn sie im letzten Abschnitt ihrer Tennislaufbahn angekommen sind – auch weil sie in fortgeschrittenem Alter so recht auf ihre gesammelten Erfahrungen zurückgreifen können. Und wissen, mit welchen Mitteln und mit welchem Umfeld sie erfolgreich sein können.

Kohlschreiber sieht noch „viele gute Jahre“ vor sich

Auch Kohlschreiber ist durchaus guten Mutes, das bisher unerreichte Terrain, ganz nahe am Gipfel, doch noch erklimmen zu können – nächste Saison, vielleicht aber auch erst im übernächsten Jahr oder noch ein wenig später. Der Augsburger mit Wahldomizil in der Schweiz verfällt da nicht in Hektik, sieht durchaus noch „viele gute Jahre“ vor sich, in denen die ehrgeizigen Ziele realisiert werden können: „Es gibt ja viele Spieler, die erst jenseits der 30 ihre besten Ergebnisse hatten. Warum sollte mir das nicht auch gelingen?“

Dabei hat sich der Bayer ohnehin schon solide in der erweiterten Weltspitze seines Sports festgesetzt, die Saison 2014 beendete er zum dritten Mal hintereinander unter den Top 30, 2015 wird ihm das nicht ganz gelingen, denn von Position 33 wird er sich wegen einer akuten Verletzung nicht mehr verbessern können. Verpasste Chancen bei manchen kleineren Events kosteten ihn in jüngerer Vergangenheit noch bessere Grand-Slam-Ergebnisse – zu häufig musste Kohlschreiber bei den prestigeträchtigen Events zu früh gegen die ganz Großen ran.

Dem absoluten Establishment ins Auge geblickt

Das war nicht nur im Jahr 2015 so, etwa mit dem Erstrunden-Treffen gegen Djokovic in Wimbledon, sondern auch in einer noch viel besseren Spielzeit für ihn, im Jahr 2013. Zweimal rückte Kohlschreiber seinerzeit ins Achtelfinale von Grand Slams vor, sowohl bei den French Open wie auch bei den US Open. Und sah dem absoluten Establishment ins Auge, in Roland Garros dem HerrnDjokovicund in New York demHerrn Nadal. Und doch behauptete sich Kohlschreiber in seinem Top-Jahr 2013 über weite Strecken sogar in den Top 20 und sammelte als Alleinunternehmer ein Preisgeld von knapp 1,1 Millionen US-Dollar ein.

Kohlschreiber ist im internationalen Maßstab immer noch – oder auch: immer wieder – derjenige deutsche Spieler, der die einprägsamsten Momente im Wanderzirkus der Tennis-Nomaden liefert. Wo viele jüngere und mittelalte Spieler aus der Republik erst dabei sind, sich am Anfang ihrer Karriere eine Plattform für Erfolge im Profitennis zu verschaffen oder schon wieder in der Hitparade der ATP-Tour zurückgefallen sind, setzt der stabil in der erweiterten Weltspitze positionierte Bayer die eigentlichen Ausrufezeichen.

Zum deutschen Führungsspieler gereift

Kohlschreiber war, das ist ja nicht verborgen geblieben, auch Gegenstand und Mittelpunkt langer, manchmal ermüdender und klischeehafter Diskussionen rund um das deutsche Davis-Cup-Team. Nachdem der 31-jährige vom früheren TeamchefCarsten Arriensaus der Nationalmannschaft verbannt worden war, drehte sich das Blatt zugunsten Kohlschreibers, als die neue DTB-Spitze um Präsident Ulrich Klaus und Sportchef Dirk Hordorff klipp und klar verlangte, dass die schwarz-rot-goldene Auswahl künftig in der bestmöglichen Besetzung antreten solle. Das führte zu Arriens’ Abschied und zu Kohlschreibers Comeback im Davis-Cup-Team. Und zwar auch zu Recht, wie der Held vergangener Davis-Cup-Schlachten, ein gewisserBoris Becker, meinte: Es sei völlig richtig, Kohlschreiber wieder zu nominieren, sagte Becker, „ohne ihn hat man keine Erfolgsperspektive, das muss man ganz pragmatisch sehen. Er ist der mit Abstand beste Spieler, den wir haben.“

Wer an Kohlschreibers Wert und Wichtigkeit zweifelte, war zweifellos nach dem undankbaren Ausflug in die Karibik im September, unmittelbar nach den US Open 2015, eines Besseren belehrt – nach dem Duell in der Sauna von Santo Domingo gegen die Dominikanische Republik. Nach dem verletzungsbedingten Rückzug von TalentAlexander Zverevlastete die ganze Verantwortung für entscheidende Punktgewinne bei Kohlschreiber – und der entledigte sich seiner Aufgabe als Frontmann mit bisher nie gekannter Souveränität und Selbstsicherheit. Und sammelte ganz nebenher mit unaufgeregter, zurückhaltender Attitüde noch Sympathiepunkte bei den Fans. „Als Führungsspieler hinterließ Kohlschreiber einen prima Eindruck“, notierte die „FAZ“ zum Gesamtauftritt des tüchtigen Bayern, der in der Vergangenheit nur zu gern und zu schlicht als Rollenbesetzung für den deutschen Tennis-Bösewicht getaugt hatte.

Kein Verstecken vor Tschechien nötig

Von seinen Qualitäten als Nationalspieler und sogar Orientierungsfigur für das Team werden sich die deutschen Fans spätestens Anfang März 2016 selbst ein Bild machen können. Denn dann tritt die DTB-Auswahl von KapitänMichael Kohlmannim Heimspiel gegen Tschechien an – eine knifflige, aber durchaus lösbare Aufgabe, egal, ob die Tschechen nun mit Top-StarTomas Berdychoder nicht antreten. Kohlschreiber hat auch ihn, den Hünen Berdych, so wie die meisten Asse im Wanderzirkus schon geschlagen, er muss sich da vor niemandem verstecken. Nur Freund Federer konnte er noch nie bezwingen, aber die starken Schweizer um den „Maestro“ und dessen MitstreiterStan Wawrinkablieben den Deutschen wenigstens im Nationenwettbewerb vorerst erspart. Mit Kohlschreiber und einem weiter gereiften Zverev haben die Deutschen durchaus keine schlechte Perspektive, könnten durchaus auch einmal für eine Überraschung gegen die mehr etablierten Davis-Cup-Nationen gut sein. „Wir haben jetzt auch eine tolle Infrastruktur rund ums Team, mit Beratern wie Carlo Tränhardt. Es macht einfach Spaß in diesen Wochen“, sagt Kohlschreiber.

Kohlschreiber freut sich auf die Heimspiele mit der Nationalmannschaft genau so sehr wie auf die Turniere hier zu Lande. „Vor den eigenen Fans aufzuschlagen, das ist ein ganz besonderer Reiz und Ansporn, da holst du eben noch ein bisschen mehr aus dir heraus als anderswo, die letzten paar Prozent, die entscheidend sind“, sagt Kohlschreiber.

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Donnerstag
05.11.2015, 13:55 Uhr