Roger Federer – 5 Mysterien seines Spiels

In der neu erschienen Biografie „Fedegraphica“ stellt Mark Hodgkinson fünf Besonderheiten im Spiel des „Maestros“ vor, die wohl kaum einer kennt.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 17.06.2016, 13:13 Uhr

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LONDON, ENGLAND - JULY 12: Roger Federer of Switzerland plays a forehand in the Final Of The Gentlemen's Singles against Novak Djokovic of Serbia on day thirteen of the Wimbledon Lawn Tennis Championships at the All England Lawn Tennis and Croquet C...

19 Jahre auf der ATP-Tour, 17 Grand-Slam-Titel und 302 Wochen an der Spitze der Weltrangliste –Roger Federerist nicht nur einer der erfolgreichsten Tennisprofis aller Zeiten, sondern auch einer der am besten durchleuchteten Sportler überhaupt. Kaum vorstellbar, dass es rund um die Tenniskunst des „Maestros“ noch unentdeckte Schätze gibt. Mark Hodgkinson, renommierter Tennisjournalist und Autor, ist auf Spurensuche gegangen und förderte dabei einige verblüffende Erkenntnisse zu Tage. In der Anfang Juni erschienen Biografie „Fedegraphica“, beleuchtet Hodkinson einige interessante Aspekte im Spiel des Weltstars, die möglicherweise auch den einen oder anderen Insider erstaunen. Hier erfahrt ihr, welche fünf Dinge das sind.

1. Federer erzeugt mehr Topspin auf der Rückhand als seine größten Rivalen.

Er ist bekannt für seine klassische einhändige Rückhand, ausgeführt mit unnachahmlicher Eleganz. Für Mark Hodgkinson ist Roger Federer „der Mozart auf einem Metallica-Konzert“ – ein  Künstler unter lauter Grundlinienbolzern.Rafael Nadal,Novak DjokovicundAndy Murraybevorzugen alle die beidhändige Ausführung der Rückhand. Überraschenderweise  generiert aber keiner von ihnen eine so große Maximalrotation wie der „Maestro“. Federer bringt es auf 5300 Umdrehungen pro Minute (UPM). Ein durchschnittliches Auto mit vier Zylindern schafft kaum mehr (7000 UPM). Die größten Rivalen des Schweizers können da nicht mithalten. Topspin-Experte Rafael Nadal wäre eigentlich prädestiniert für diese Bestmarke, kommt aber „nur“ auf 4300 UPM. Novak Djokovic (2800 UPM) und Andy Murray (2500 UPM) erreichen lediglich die Hälfte der Maximalrotation Federers.

2. Der „Maestro“ improvisiert nicht beim Aufschlag, sondern folgt einem festen Muster.

Für seine herausragende Qualität beim Aufschlag ist Federer bei seinen Gegnern gefürchtet. Das Service des Eidgenossen ist für den Rückschläger meist so schwer zu lesen, dass viele Profis von genialer Improvisation ausgehen. Doch dem ist nicht so, wie der Autor aufdeckt. Aufschlag-Studien aus Wimbledon 2015 zeigen auf, dass Federer sich nicht auf sein Improvisationstalent verlässt. Fast die Hälfte (47 Prozent) seiner Aufschläge setzte der siebenfache Wimbledon-Champion nach außen – auf der Einstand-Seite sogar zu 52 Prozent. Auf der Vorteilsseite bevorzugte der Baselbieter den Aufschlag entlang der „T-Linie“ (46 Prozent).

Vor allem bei den ersten zwei Punkten seiner Aufschlagspiele wandte Federer diese Eröffnung an. Beim Stand von 30:0 erwarteten seine Gegner dann meistens einen weiteren Aufschlag nach außen, was Federer ausnutzte, um aufs „T“ zu servieren. ATP-Analyst Craig O'Shannessy spricht in diesem Zusammenhang gerne vom „sabbernden, pawlowschen Hund“, der immer wieder das gleiche Muster erwartet – das machte sich Federer im Stile eines „Crazy Maniac“, geschickt zunutze. Bei 40:0 verwirrte der Schweizer seine Gegner auch mal mit einem Aufschlag auf den Körper, nur um das gewohnte Muster zu brechen und unberechenbar zu bleiben.

3. „Flüsterer“ Federer schwebt über den Platz und läuft weniger als seine Gegner.

Die Erkenntnis, dass Federer weniger Meter pro Punkt zurücklegt als seine größten Rivalen, erscheint weniger überraschend. Der 34-Jährige ist bekannt für sein offensives, dominantes Spiel und übernimmt gerne die Kontrolle in den Ballwechseln. Seine ökonomischen Laufwege führten dazu, dass er bei allen Grand-Slam-Turnieren im letzten Jahr deutlich weniger Meter pro Punkt abspulte als der Rest der „Big Four“. Bemerkenswerterweise hieß die Rangfolge immer Federer, Djokovic, Nadal und Murray. Bei den US Open 2015 fiel die Differenz zwischen Federer (8,30 Meter) und Andy Murray (13,00 Meter) am krassesten aus.

4. Federer gewinnt in Wimbledon weniger Punkte am Netz als bei den anderen „Majors“.

Betrachtet man alle 17 erfolgreichen Grand-Slam-Endspiele des Schweizers hat Federer in Wimbledon überraschenderweise, die schlechteste Erfolgsquote am Netz vorzuweisen. Der „Maestro“ schloss an der Church Road lediglich 66 Prozent seiner Netzangriffe erfolgreich ab. Bei den French Open (83 Prozent), Australian Open (74 Prozent) und US Open (73 Prozent), war er deutlich effizienter in dieser Statistik. Wer meint, dass der niedrigere Ballabsprung in Wimbledon Netzangriffe riskanter macht liegt, nicht unbedingt richtig. Federer stürmte in seinen sieben Finals in London durchschnittlich zwölf Mal pro Satz ans Netz, auf Hartplatz ähneln sich die Zahlen – Australian Open (12), US Open (10). Nur im French-Open-Endspiel 2009 tauchte der mittlerweile vierfache Familienvater nur durchschnittlich vier Mal pro Satz am Netz auf, was seine gute Quote erklärt.

5. Wer ist Roger Federers erfolgreichster Coach? Er selbst.

Roger Federer wurde 1998 Profi und arbeitete seitdem mit vielen großen Trainern zusammen. Aktuell wird er von Ivan Ljubicic betreut, der es selbst bis auf Rang drei der Weltrangliste schaffte. Doch an wessen Seite gewann die lebende Legende den Löwenanteil seiner 17 „Majors“? Peter Lundgren, José Higueras und Paul Annacone verhalfen Federer jeweils zu einem Grand-Slam-Titel. Tony Roche war sogar bei sechs Triumphen dabei. Doch über allen thront erstaunlicherweise der „Selfmade Coach“. Ohne Trainer in seiner Box häufte der „Maestro“ stolze acht Hauptgewinne an. Coaching scheint das Ausnahmetalent also nicht zwingend nötig zu haben. Dennoch verschloss sich der Baselbieter nie neuen Einflüssen und Methoden – auch deshalb behauptete sich Federer generationenübergreifend in der Weltspitze.

Hier seht ihr die Grafiken zu den fünf Mysterien:

von tennisnet.com

Freitag
17.06.2016, 13:13 Uhr