Phänomen und Ausdauerkünstler – Roger Federer brilliert bei der WM
Roger Federer steht bei seiner 14. Teilnahme bei den ATP World Tour Finals nach dem Sieg gegen Novak Djokovic zum 13. Mal im Halbfinale.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
18.11.2015, 11:02 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Die Zeit, als Roger Federer zum ersten Mal zu einer Tennis-Weltmeisterschaft fuhr, liegt schon eine kleine Ewigkeit zurück. Es war im November des Jahres 2002, das Saisonfinale hieß noch Masters Cup, und die acht Besten der Spielzeit machten sich auf den beschwerlich langen Weg ins Expo Center der chinesischen Boom-Metropole Shanghai. Andre Agassi war am Start, gleich drei Spanier mit Albert Costa, Juan Carlos Ferrero und Carlos Moya, dazu der feurige Russe Marat Safin, der Tscheche Jiri Novak und der damalige Weltranglisten-ErsteLleyton Hewitt. Er, Hewitt, der WM-Champion 2002 und Freund von Federer, geht Anfang des nächsten Jahres nach einer langen, auszehrenden Karriere auch in den Ruhestand. So wie (fast) alle anderen Pokalkämpfer des damaligen Spektakels auch schon.
Die große Konstante im Welttennis
Aber einer, der in Shanghai sein Debüt als WM-Kämpfer feierte und respektabler Weise gleich ins Halbfinale vorstieß, eben jener Roger Federer, ist immer noch und immer wieder dabei. Und nicht nur einfach als Teilnehmer des Championats, sondern mit inzwischen 34 Jahren weiter als einer der Titelkandidaten, als einer, der sich über die Jahre seiner erlesenen Karriere stets neu erfunden hat, sich aber treu geblieben ist in seinem Ehrgeiz. Und in seiner Leidenschaft und seinem unverbrüchlichen Siegeshunger. Federer hat sie kommen und gehen sehen, Stars und Sternchen der Branche, ehemalige Weggefährten, Altverdiente und neu Ambitionierte – aber er ist seit nunmehr fast anderthalb Jahrzehnten die große Konstante im Welttennis.
Der Mann,der bei seiner 14. WM-Teilnahme hintereinander dieser Tage in Londons O2-Arena gastiert, ist als Phänomen der Branche noch stabil für alle Überraschungen gut. Wie sehr das stimmt, zeigte Federer seinen Fans und seinen Pokalkonkurrenten am späten Dienstagabend,als er den eigentlich alle und alles überragenden Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic im Vorrunden-Spiel mit 7:5 und 6:2 abkanzelte und als erster Teilnehmer bereits seine Halbfinal-Teilnahme bei den Ausscheidungsspielen sicherstellte.Für Djokovic war es die erste Niederlage nach zuletzt 23 Siegen, die erste Niederlage auch in einem Hallenmatch seit Oktober 2012. „Es war ein perfektes Spiel für mich. Eins, das mir noch mal einen Schub geben wird für den Rest des Turniers“, sagte Federer, der Vater von Zwillingstöchtern und Zwillingssöhnen. In seinem letzten Gruppenspiel kann er nun beruhigt gegen den Japaner Kein Nishikori Platz eins und damit eine vermutliche günstige Ausgangsposition für das Halbfinale am Samstag etablieren.
Ausnahmeerscheinung mit perfekter Organisation
Die WM-Finalrunden sind seit Jahren schon eine geschlossene Gesellschaft, zu der viele der hochgeschriebenen Tennistalente partout keinen Zugang finden. Fast jede Saison trifft sich ein harter Kern von Eliteleuten - eine Spitzengruppe, die allerdings auch noch einmal aufzuteilen ist in Spieler wie Tomas Berdych oder David Ferrer, die eher belanglos mitlaufen bei diesen Festivitäten. Und eben Akteuren wie dem ewigen „Maestro“ Federer, der mit Anfang 20 genau so ernsthaft um den Titel kämpft wie jetzt in seinen späten Karrierejahren, mit Mitte 30. Federer steht nicht nur einfach mit seiner Klasse als Ausnahmeerscheinung im Welttennis da, sondern auch mit der Organisation seiner Karriere, mit der Auswahl seines Betreuungs- und Beratungsteams. Und mit der Robustheit als Wettkämpfer, einer Verletzungsfreiheit, die von einer ausgezeichneten Trainingsarbeit herrührt. Nur ganz wenige Momente gab es in Federers Tennisleben, an denen auch ihn der Körper ganz heftig plagte, so wie letztes Jahr in London, als er wegen Rückenschmerzen nicht zum WM-Finale gegen Djokovic antreten konnte.
Doch Federer ist 2015 schon wieder der gewesen, der den Seriensieger Djokovic am hartnäckigsten bedrängte – auch in jener Epoche jenseits seines 1000. Karriere-Matcherfolgs, festgeschrieben Anfang Januar in Brisbane. Drei Mal hat der alte Meister den Frontmann Djokovic niedergerungen und ausgespielt in dieser Saison, in Dubai im Februar, in Cincinnati im August und jetzt auch in London, beim WM-Schlusspunkt. Auch als Geschlagener, so wie in den Grand-Slam-Finals in London und New York, war er noch der erste und zwingendste Herausforderer Djokovics. Gewiss, Federers LandsmannStan Wawrinkaschien als Djokovic-Bezwinger bei den French Open auf, aber der Mann aus der französischen Schweiz verfügt nicht über den langen Atem, über die Konstanz, die Federer auch mit 34 Jahren noch auf die weltweiten Courts bringt. Wen würde es wundern, wenn die Spätvorstellung vom Dienstag nur der Vorlauf für den Hauptakt zwischen Federer und Djokovic wäre. Für einen Finalkampf am Sonntag, der dann auch gespielt wird. Wem das Wiedersehen dann Freude macht, bleibt abzuwarten.
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Hier die Ergebnisse aus London:Einzel,Doppel.