Auftaktcoup bei den ATP Finals gegen Federer: Thiem meldet sich wieder als Erbfolger der Großen Drei zu Wort

Dominic Thiems Erfolg über Roger Federer bei den ATP Finals zeigt einmal mehr, wie sehr der Österreicher in 2019 an Profil zugelegt hat.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 11.11.2019, 15:19 Uhr

Dominic Thiem
© Getty Images
Dominic Thiem

Wer in der Londoner 02-Arena gegen Roger Federer antritt, spielt nicht nur gegen den alten Meister selbst. Sondern auch gegen viele tausend kleine Federers auf den Tribünen, eiserne, verschworene Federer-Fans. Siegpunkte des Schweizers werden euphorisch bejubelt von der Welt-Fangemeinde Federers, ebenso kleinere oder größere Fehler des jeweiligen Federer-Gegners.

Dominic Thiem hatte deshalb keinesfalls untertrieben, als er vor der Sonntagspartie gegen den 38-jährigen Granden befand, gegen Federer müsse „alles, fast alles passen“ für einen Erfolgsmoment. Aber ziemlich genau so kam es dann auch am ersten Spieltag der Tennis-Weltmeisterschaft: Bei Thiem stimmte nahezu alles, in den wichtigen Momenten war er hellwach, couragiert und mutig. Sein 7:5, 7:5-Sieg gegen Federer war schließlich keine Überraschung mehr, am wenigsten für Federer selbst. „Wenn Du gegen Dominic nicht am Limit bist, verlierst du gegen ihn“, so Federer, „er ist ein großartiger Spieler.“

Federer nun mit dem Rücken zur Wand

Manchmal scheint es indes so, als müsse es der Tennis-Öffentlichkeit und den Sportfreunden überhaupt noch einmal ins Bewusstsein gerufen werden: Welch erstaunliche Entwicklung die Karriere des 26-jährigen Österreichers genommen hat, wie nahe dran er an den ganz Großen der Branche ist, wie gut er gerade im Duell mit den Spitzenleuten auftritt. Für Federer, den erfolgreichsten Spieler dieser Epoche, ist der Ranglisten-Fünfte Thiem sogar so etwas wie ein Angstgegner, inzwischen hat der Maestro fünf von sieben direkten Vergleichen verloren.

Der Ausrutscher vom Sonntag lässt Federer nur noch schwache Hoffnung auf ein Vorrücken ins WM-Halbfinale, dazu müsste er nun wohl gegen den Italiener Matteo Berrettini und – vor allem - auch gegen Frontmann Novak Djokovic gewinnen. Thiem dagegen, dem Längst-Nicht-Mehr-Sandplatzspezialisten, sollte ein weiterer Gruppensieg gegen Berrettini für den Einzug in die Vorschlussrunde reichen. „Ich will meine Chance jetzt auch entschlossen nutzen“, sagte Thiem in einem TV-Interview.

Thiem 2019: Vom Vielspieler zum Qualitätsspieler

Thiem war in letzter Zeit ein wenig vom Radar verschwunden, er wirkte wie ausgeblendet zwischen den Altvorderen um Federer, Nadal und Djokovic sowie den aufstrebenden Spielern der Generation Anfang Zwanzig – von denen Vier auch in London mitwirken, Alexander Zverev, US Open-Finalist Daniil Medvedev, der Grieche Stefanos Tsitsipas und Berrettini.

Als Medvedev im Sommer zu einer magischen Siegesserie ansetzte und für weltweite Schlagzeilen beim Grand-Slam-Spektakel in New York sorgte, schien er auf einmal der neue Erbfolger für die Großen Drei zu sein – und nicht einer wie Thiem, der seit Jahren auf konstant hohem Niveau spielt und immerhin schon zum vierten Mal bei der WM an den Start geht. „Viele haben aber ganz aus den Augen verloren, dass Thiem die beste Saison seiner Karriere spielt“, sagt der Australier Pat Cash, einst Wimbledon-Champion, „und dass er auf Sand der natürliche Erbe von Nadals ist.“ Gegen jenen Nadal verlor er im French Open-Finale Anfang Juni noch einmal, schlug indes im Halbfinale Djokovic.

Nicht zu vergessen: Thiem hat schon einige große Herausforderungen in seinem Berufsleben gemeistert, die den Jüngeren noch bevorstehen. Im Jahr 2019 vollzog sich – nicht ganz ohne Nebengeräusche, aber doch ohne Lärm und Radau – der Trennungsprozess vom langjährigen Ziehvater Günter Bresnik, ein lange Zeit unvorstellbarer Akt. Vom Vielspieler, der überall und pausenlos antrat, ist er zum Qualitätsspieler geworden, er nimmt sich mehr Pausen, er bestritt 2019 bis zu den ATP-Finals 16 Spiele weniger als etwa in der Serie 2016 (63 zu 79). Anders als in anderen Jahren habe er das Gefühl, so Thiem, „hier in London noch mal richtig aus dem Vollen schöpfen, echt zulegen zu können.“

Ohnehin hat ihm der etwas selektivere Blick auf seine Engagements im Wanderzirkus schon jetzt klare Vorteile eingebracht: Er gewann 2019 mehr Turniere als je zuvor (5), er landete mehr Siege gegen Top Ten-Konkurrenz als je zuvor (6), und er verlor bisher nur 17 Mal seit dem Saisonstart im Januar in Australien. Das gute WM-Gefühl befeuerte jüngst noch einmal der Siegeszug beim Heimturnier in Wien, es war sozusagen der „Austria Slam“ nach dem sommerlichen Erfolg in Kitzbühel. „Dominic ist der Mann, den man erst mal schlagen muss bei dieser WM“, sagt der frühere englische Topmann Greg Rusedski.

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von Jörg Allmeroth

Montag
11.11.2019, 16:05 Uhr
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