Novak Djokovic am Ende aller Irrungen und Wirkungen – Triumph des „Djokers“
In einer Anhäufung von kleineren und größeren Irrtümern hat Novak Djokovic den Weg ins Australian-Open-Finale gefunden.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
30.01.2015, 16:39 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Es war die Szene, die wie ein Sinnbild für all die Irrungen und Wirrungen an diesem rätselhaften Grand-Slam-Abend stand. Die Szene, als Novak Djokovic soeben den dritten Satz seines Halbfinalduells mitStan Wawrinkagewonnen hatte,aber einfach an der Grundlinie stehen blieb und sich für den nächsten Ballwechsel vorbereitete. Erst als sein Gegenspieler Wawrinka gemächlich zur Pausenbank strebte und dann auch noch Gelächter der Fans aufbrandete, setzte sich auch Djokovic langsam in Bewegung – nicht ohne ein Kopfschütteln über sich selbst und den Fauxpas in aller Öffentlichkeit.
So wie der Nummer-1-Spieler der Welt in diesem kuriosen Augenblick erschien, ohne Klarheit und Souveränität, so wirkte irgendwie der ganze dritte Teil dieser Australian-Open-Trilogie zwischen dem „Djoker“ und Titelverteidiger Wawrinka – es war ein Duell der übergroßen Anspannung, der hochgradigen Nervosität, der verrückten Drehs. Und am Ende dieser ganzen sportlichen Achterbahnfahrt in Melbourne siegte mit Djokovic der etwas bessere von zwei Männern, die sich drei Stunden und 30 Minuten nie wirklich ihrer Sache und ihrer Klasse sicher waren:7:6 (1), 3:6, 6:4, 4:6 und 6:0lautete, in nackten Zahlen, die Bilanz eines eher fahrigen als fantastischen Showdowns, in dem sich der Serbe als Konkurrent vonAndy Murrayfür das Pokalmatch am Sonntag qualifizierte.
Djokovic findet den „Weg durch viele, viele Höhen und Tiefen“
„Es war extrem schwer, einen Rhythmus und Konstanz zu finden. Es war ein Weg durch viele, viele Höhen und Tiefen“, sagte Djokovic hinterher. Mit seinem fünften Vorstoß ins Endspiel in „Down Under“ egalisierte der 27-jährige gleichwohl den Bestwert vonStefan EdbergundRoger Federerin der modernen Tennis-Ära, jetzt könnte der Spitzenmann der Branche selbst auch den fünften Titel nach 2008, 2011, 2012 und 2013 holen. Auf der anderen Seite musste Wawrinka in der höheren Weltranglisten-Mathematik einen recht tiefen Sturz verkraften – nach Abzug der Siegerpunkte von 2014 und der Addition der Zähler fürs Erreichen des Halbfinals wird der Schweizer unsanft auf Platz neun der am Montag veröffentlichten Hackordnung der Profis landen. „Im Moment ist die Enttäuschung groß, draußen zu sein“, sagte der 29-Jährige.
Es war wohl von vornherein vermessen, nach den Giganten-Duellen der beiden letzten Jahre auf ein neuerliches Late-Night-Feuerwerk voller Esprit und Brillanz zu setzen. Aber die Anhäufung von kleineren und größeren Irrtümern enttäuschte dann doch genauso wie der Umstand, dass sie beide, der Weltranglisten-Spitzenreiter und der noch amtierende Champion, nie in einer Spielphase gemeinsam auf höchstem Niveau spielten. „Der Druck war schon sehr groß“, sagte Wawrinka später, „es war ein ständiges Auf und Ab.“ Als schließlich abgerechnet war in der Abendvorstellung des zwölften Turniertags, standen tatsächlich den 69 Gewinnschlägen satte 118 Fehler gegenüber, oft genug aus unbedrängter Situation. Nur Djokovic konnte sich schließlich damit trösten, dass nichts weniger als der Sieg zählt in diesen Zweikämpfen – für einen Schönheitspreis hatte er sich ja vor zwölf Monaten, als Verlierer eines weit hochwertigeren Vergleichs, nichts kaufen können. „Ich habe mir das Leben da draußen selbst kompliziert gemacht“, so Djokovic, „aber das ist jetzt abgehakt. Jetzt blicke ich nach vorne, zum Finale, zum Spiel gegen Andy.“
„Batterie leer“: Wawrinka kann Schwächephasen nicht nutzen
Zum Verdruss seines Trainerteams um ChefanweiserBoris Beckerhatte Djokovic an diesem eigenwilligen Halbfinal-Abend immer wieder verlockende Chancen auf einen weitaus rascheren Sieg ausgelassen – insbesondere, als er im vierten Satz eine 2:0-Führung binnen weniger Minuten verspielte, plötzlich 3:5 zurück lag und dann wieder in einen fünften Entscheidungsakt gegen Wawrinka musste. Doch Djokovic konnte von Glück reden, dass Wawrinka diese Schwächephasen nicht nachhaltig und kapital ausnutzen konnte, er, der Titelverteidiger, hatte selbst nicht genügend Standfestigkeit und Solidität zu bieten. Nach der Aufholjagd in Durchgang vier gewann er schließlich kein einziges Spiel mehr bis zum deprimierenden 0:6-Abschied. Er sei „ziemlich erledigt jetzt“, sagte Wawrinka, „die Erschöpfung ist groß. Ich hatte schon das Gefühl vorher, dass die Batterie leer war.“ Blieb die Frage offen, ob sich auch bei ihm nun die Spätfolgen der extrem strapaziösen Saison 2014 bemerkbar machten, die ja erst nach einem Parforceritt mit ATP-WM und Davis-Cup-Finale Ende November beendet war.
Djokovics Mission steht dagegen erst noch vor dem möglichen Höhepunkt, dem erträumten Krönungsakt am Sonntagabend. Mit Murray erblickt er dann auf der anderen Seite des Netzes einen Mann, den er seit frühesten Jugendtagen als Freund und Gegenspieler kennt, auch deshalb, weil ihr Geburtstag im Mai 1987 nur eine Woche auseinanderliegt. Djokovic hatte sich allerdings schon vom Herausforderer der HerrenNadalund Federer zur gleichwertigen Führungskraft aufgeschwungen, als Murray noch vergeblich den Königsweg zu den ganz großen Triumphen suchte. Drei Mal war Djokovic höchstpersönlich der Spielverderber für den Schotten auch in Melbourne, zwei Mal in Endspielen, ein Mal im Halbfinale. Aber wer würde nun schon wetten, dass diese Serie für Djokovic hält. Und für Murray.
Hier die Ergebnisse von den Australian Open:Einzel,Doppel,Einzel-Qualifikation.
