Venus Williams – der große Auftritt von „Mutter Courage“
„Sie ist der größte Champion überhaupt“, sagt Serena Williams über Schwester Venus. Auf die sie nach dem Viertelfinaleinzug bei den Australian-Open noch stolzer sein kann.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
26.01.2015, 19:30 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Wenn sie in den letzten Jahren gemeinsam auf Grand-Slam-Reisen gingen, die berühmten „Williamses“, dann bot sich am Ende dieser Arbeitseinsätze immer ein ähnliches Bild: Oben, in der Spielerloge, saß die früh ausgeschiedene Venus Williams als Edel-Fan, als moralische Unterstützerin, als Mutmacherin für Schwester Serena. Und unten, auf einem der großen Centre Courts, ob nun in Wimbledon oder New York, kämpfte Serena Williams den Kampf um ihren Platz in den Geschichtsbüchern – drauf und dran, mit immer neuen Triumphen sogar noch eine Großmeisterin wieSteffi Grafals erfolgreichste Spielerin der Moderne zu übertrumpfen. Auch in der reinen Optik war so die Tenniswelt oft schroff getrennt für das Duo, das einst in geballter Kraft die Macht im Welttennis der Frauen ausgeübt und nicht selten in Williams-Endspielen um die Grand Slam-Titel gekämpft hatte.
Doch als am Montagabend aller Kampf und aller Nervenkitzel bei den Ausscheidungsspielen der Australian Open 2015 vorüber waren, war auf einmal die alte Williams-Herrlichkeit wieder da. Nicht nur Serena Williams, die Nummer 1 der Welt und selbstverständliche Titelkandidatin, hatte das Viertelfinale des Melbourne-„Majors“ erreicht, sondern auch – zur allergrößten Verblüffung der Fachwelt – jene Venus Williams, die seit dem Tennis-Spieljahr 2011 ja keineswegs bloß gegen den Rest der Rivalinnen auf der Tour fightet, sondern auch gegen eine tückische Autoimmun-Krankheit, das sogenannte Sjögren-Syndrom.
Evert: „Sie erträgt das alles mit einer riesigen Würde“
Wie eine „Mutter Courage“ des Grand-Slam-Betriebs wirkte die 34-jährige Veteranin in ihrer größten Stunde der späten, schweren Karrierejahre, beim in jeder Beziehung sensationellen6:3,-2:6,-6:1-Sieggegen die Weltranglisten-SechsteAgnieszka Radwanskaaus Polen. „Am Ende spielte ich wie in Trance“, sagte die baumlange Athletin, die zu Anfang dieses Jahrhunderts die bestimmende Kraft im Frauentennis gewesen war. Schon damals Vorbild und Motivatorin für Schwester Serena, war die ältere Schwester nun noch immer und erst recht eine Inspiration: „Sie ist der größte Champion überhaupt. Was sie leistet, ist unbeschreiblich“, sagte die 18-malige Grand-Slam-Siegerin. Was eher für Utopie gehalten worden war, ein Williams-Zweikampf in der Endphase eines Grand-Slam-Spektakels, taucht nun noch einmal als durchaus reale Spielvariante auf – dann, wenn Serena (gegen VorjahresfinalistinDominika Cibulkova) und Venus (gegen LandsfrauMadison Keys) die nächsten Australian-Open-Matches im Viertelfinale gewinnen.
Schon zu Turnierbeginn hatte US-TennislegendeBillie Jean Kingdie älteste aller Grand-Slam-Streiterinnen mit der Bemerkung geadelt, es sei jedes Mal anrührend zu sehen, „wenn Venus Williams überhaupt auf den Court geht – gesund, energiegeladen und mit Spaß an ihrem geliebten Sport.“ Denn, so King, nur die wenigsten wüssten, „welche Energieleistung hinter diesen Auftritten steht.“ Oft blieb die Schwere des Seins allerdings auch keinem in dieser oberflächlichen Glitter- und Glamourwelt verborgen, dann, wenn die ältere Williams-Schwester mit den unvermeidlichen Erschöpfungszuständen kämpfte, mit chronischen Schmerzen und wiederkehrenden Gelenkentzündungen. Der Körper, früher ihr elitäres Kapital, war auf einmal ihr unberechenbarer Feind – allerdings ohne dass sich die stoische Athletin je wortreich über ihr Schicksal beklagt hätte. „Sie erträgt das alles mit einer riesigen Würde, lässt sich nicht unterkriegen“, sagteChris Evert, die Nummer-1-Spielerin der 70er- und 80er-Jahre. Und das stimmte und galt auch für jene frustrierendste Tenniszeit, in der sie nicht mal mehr in den Top 100 stand und von Spielerinnen umgeben war, die früher über eine halbwegs erträgliche Niederlage gegen Venus Williams froh gewesen wären.
Ein Sieg als Symbol für die Unerschütterlichkeit
In blitzlichtartigen Momentaufnahmen hatte sie sporadisch ihre alte Klasse demonstriert, etwa im vorigen Jahr, als sie im besten Wimbledon-Turnierspiel beinahe gegen die spätere KöniginPetra Kvitovatriumphiert hätte. Es war, trotz der Niederlage, eine wehmütig anzusehende Demonstration der klinischen Venus-Power. Ihren Siegeslauf bei den laufenden Australian Open hatte nun auch der starke Saisonstart beflügelt, gekrönt durch denTurniersieg in Auckland. Als Williams am Samstag die gefährliche ItalienerinGiorgiin drei Sätzen ausschaltete, sagte sie später mit einem quietschvergnügten Grinsen: „Also, diese alte Katze hat noch ein paar Tricks in ihrer Tasche.“
Woran dann auch kein Zweifel bestehen konnte, als es bei dieser unvermuteten Sturm-und-Drang-Mission von Venus Williams auch noch Radwanska erwischt hatte – neuerdings unter der Anleitung vonMartina Navratilovastehend. Nichts und niemand konnte die 34-Jährige stoppen, als der dritte, entscheidende Satz begann. Nach 0:1-Rückstand gewann Williams alle sechs folgenden Spiele und das Spiel – ein Erfolgserlebnis war es, das gleichberechtigt durchaus neben manchem Grand-Slam-Titel stand. Ein Sieg als Symbol für die Unerschütterlichkeit dieser Athletin, die alle Höhen und Tiefen des Lebens im Profisport erlebte und nun wieder ein Machtfaktor geworden ist. „Ich spüre eine große Freude und Genugtuung“, sagte Williams.