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Ein kleiner Held der Hartnäckigkeit

Der 29-Jährige wurde für seine Zähigkeit belohnt und spielt in Wimbledon endlich sein erstes Grand-Slam-Turnier.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 23.06.2013, 09:34 Uhr

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Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon

Sie haben alle ihre Geschichten, die 128 Tennisspieler, die am Montagmittag in die Offenen Englischen Meisterschaften des Jahres 2013 starten. Es sind Geschichten des magischen Erfolgs, wie die von Roger Federer, der seit 2003 schon sieben Mal an der Church Road die Trophäe in die Höhe gestemmt hat. Es sind Geschichten großer Comebacks, wie jene von Tommy Haas, der viele Wimbledon-Jahre nur als bitterer Zuschauer erlebte, von Verletzungen geplagt – und der nun, 35 Jahre alt und der Senior im Feld, noch einmal auf der Höhe seiner Kunst angelangt ist. Es sind Geschichten von Mitläufern, von neuen und ewigen Talenten, von Favoriten und Geheimfavoriten. Es sind Geschichten wie auch die von Andy Murray, dem Lokalmatador, der zwar schon einmal in Wimbledon, aber nicht Wimbledon gewonnen hat – er, der Olympiasieger 2012 auf dem Heiligen Rasen.

Viel Idealismus im Spiel

Und dann wäre da noch die Geschichte eines jungen Mannes namens Bastian Knittel, 29 Jahre, aus dem schwäbischen Ditzingen. Und wenn man seinen Namen in der Liste der Wimbledon-Starter sieht und noch dazu seine Tennis-Biographie kennt, dann lässt sich unschwer vorstellen, dass hinter diesem Namen durchaus die verrückteste und ungewöhnlichste, wenn nicht gar bemerkenswerteste Wimbledon-Geschichte dieses Jahrgangs steckt – eine Geschichte, in deren Hauptrolle ein kleiner Held der Hartnäckigkeit und Unverdrossenheit auftritt. Nämlich jener Bastian Knittel, der zehn Jahre nach seinem Start im professionellen Tourgeschäft nun erstmals und nach endlosen vergeblichen Anläufen der Sprung ins Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers geschafft hat. Und der mit seinen bereits gesicherten 27.500 Euro Preisgeld für drei überstandene Qualifikationsmatches und die Mitmach-Erlaubnis für die erste Runde bereits soviel Geld verdient hat wie manchmal nicht in einer ganzen Saison. „Natürlich ist das ein Traum für mich. Der größte Augenblick meiner Karriere“, sagt Knittel. Am Montag spielt der Linkshänder an der Church Road zu Turnierbeginn gegen den Argentinier Juan Monaco, einen Weltklassemann, der allerdings seine Stärken eher in den Sandkästen der Tenniswelt hat.

Mit dem Grand-Slam-Debüt an der Schwelle zu seinen Dreißiger-Jahren rückt mit Knittel ein Profi, aber auch eine ganze Berufsspieler-Gruppe in den seltenen Fokus des Interesses – jene Abenteurer, Vagabunden und Zirkusleute, die in der Zweiten oder Dritten Liga des Welttennis herumziehen und auch viele Jahre nach dem Brancheneinstieg noch von einer großen Karriere träumen. Viel Idealismus ist da im Spiel, die Lust am Leben aus dem Koffer, die Neugier auf fremde Länder und Menschen. Das Geld jedenfalls kann es nicht sein, auch nicht bei Knittel, der seit 2003, dem Jahr von Federers erstem Wimbledon-Sieg übrigens, insgesamt 224.000 US-Dollar Preisgeld eingestrichen hat. Auch in diesem Jahr, bis zur Wimbledon-Qualifikation, sah es bei Knittels Einkünften eher bescheiden aus – 19.500 US-Dollar. Ohne Bundesliga-Verträge und andere Liga-Engagements im Ausland würde das nicht einmal reichen, um die Reisen und die Hotels zu bezahlen.

Rendezvous mit dem großen Tennis

Vor ein paar Jahren hatte Knittel einmal, auch mit Blick auf seine finanzielle Lage, gesagt, mit 28 wolle er nicht mehr auf Platz 200 der Welt stehen. Nun ist er 29, steht auf Rang 206 – ist aber trotzdem noch dabei. Kann nicht lassen von diesem Beruf, der ihn in alle möglichen Winkel der Welt treibt – wenn auch bisher nicht auf die großen Centre Courts der Tenniswelt. Immer wieder hat er es ja in den letzten Jahren versucht, hat sich für die Qualifikationsturniere eingeschrieben. Und ist dann doch früher oder später gescheitert. Leicht ist das alles nicht gewesen für Knittel, die Niederlagen, das Stagnieren, die vergeblichen Hoffnungen, die geplatzten Träume, auch die Verletzungen, die ihn zurückwarfen. „Für mich ist es großartig, dass er weiter spielt, dass er weiter an sich glaubt. Ich hätte vielleicht schon das Handtuch geschmissen“, sagt ein deutscher Berufskollege über Knittel. Manche der DTB-Profis, die heute weit und viel weiter vor ihm in der Weltrangliste stehen, hat Knittel schon geschlagen auf kleineren Bühnen. Auch einen wie Daniel Brands, der zu den Besten dieser Saison gehört. Ihn bezwang Knittel in seinem bisher wohl besten Tennismoment, vor zwei Jahren im Finale des hochkarätigen Challenger-Turniers von Heilbronn. Aber der Durchbruch, der große Durchbruch, kam danach nicht.

Erst vier Spiele auf der großen Tour hat er bestritten, bei ATP-Turnieren, zwei in Stuttgart und zwei in Hamburg. Sonst übt er an exotischen Schauplätzen sein Handwerk aus, ob nun in Finnland, Kasachstan oder auch im Iran. Challenger- oder Future-Turniere sind das, in einem oft spartanischen Ambiente, das Lichtjahre entfernt ist vom Glanz und der Faszination der Tennis-Champions-League. Ein Leben des Verzichts war es für Knittel oft, aber auch ein Leben, das ihm trotz aller Rückschläge Spaß machte und gefiel. „Ich habe wichtige Erfahrungen für mein Leben nach dem Tennis gesammelt“, sagt Knittel. Doch nun – im Hier und Jetzt – will er Wimbledon genießen, sein Rendezvous mit dem großen Tennis. Und die Tatsache, dass er in diesem Jahr ein Teil von Wimbledon ist. Einmal, sagt sich Spätzünder Knittel, ist besser als kein Mal.(Foto: Witters/ Tay DucLam - GEPA pictures)

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Sonntag
23.06.2013, 09:34 Uhr