Becker, Kyrgios und der Vergleich der Generationen

Wie hätte denn Nick Kyrgios mit dem Material von 1989 in ebenjenem Jahr gegen Boris Becker in Wimbledon ausgesehen? Wir haben eine Ahnung. Mehr aber auch nicht.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 16.12.2023, 07:54 Uhr

Boris Becker in Wimbledon 1989
© Getty Images
Boris Becker in Wimbledon 1989

Es folgen ein paar Worte eines Vaters, der seinem längst volljährigen Sohn in regelmäßigen Abständen glaubwürdig zu vermitteln versucht, dass Diego Maradona der größte, beste, wichtigste Fußballspieler aller bisherigen Zeiten war. Und nicht Lionel Messi. Es prallen zwei Generationen aufeinander, quasi so, als ob der Boris Becker von 1989 sich mit dem Nick Kyrgios von 2022 in Wimbledon messen würde. Nur so viel: Becker hätte Kyrgios aufgefressen.

Nein. Genau das gilt es zu vermeiden, diesen Vergleich zwischen den Generationen, den Kyrgios vor ein paar Tagen bei The Athletic aufgemacht hat. Und bei dem es keine Sieger geben kann. Jede Sportart entwickelt sich weiter. Sei es im athletischen Sinn, sei es in puncto Spieltechnik oder auch der Technik an sich. Lustigerweise hört man allerdings in der technikdominierten Formel 1 so gut wie nie die Frage, ob Alain Prost (viermaliger Weltmeister, 51 Erfolge bei Grand-Prix-Rennen) gleich gut, besser oder schlechter war als Max Verstappen (dreimaliger Weltmeister, 54 Siege).

Im Tennis dagegen werden Björn Borg und Rafael Nadal statistisch gegeneinander ausgespielt, Boris Becker spielte Nick Kyrgios zu langsam, und Novak Djokovic würde Pete Sampras, ja, auffressen.

Sampras gegen Ivanisevic selten ein Leckerbissen

Wer die Ära, die Becker, Sampras, Stefan Edberg, aber auch Andre Agassi geprägt haben, miterlebt hat, der erinnert sich fast an eine andere Sportart: Die Verhältnisse auf den unterschiedlichen Belägen waren tatsächlich noch unterschiedlich, in Wimbledon ist die Kugel maximal bis Kniehöhe abgesprungen, die Rundum-Betreuung der Top-Spieler mit Physiotherapeuten und Fitness-Coaches , wie sie heutzutage üblich ist, war noch nicht einmal eine Idee.

Ach, ja: Und dann war da auch noch die Sache mit dem Material. Boris Becker war der erste Spieler, der mit einem Kunststoff-Schläger mit etwas breiterem Rahmen und größerer Schlagfläche richtig gut umgehen konnte. Die Generation davor hat zum Teil mit Holzprügeln agiert, der ein oder andere (Jimmy Connors!) auch auf ein Spielgerät aus Metall vertraut. Kein Vergleich mit den High-Tech-Schlägern, mit denen die aktuelle Generation zur Arbeit kommt.

Es war nicht alles besser, bei weitem nicht. Partien zwischen Aufschlagspezialisten wie Sampras und Goran Ivanisevic in Wimbledon haben sicherlich nicht von der feinen spielerischen Linie gelebt. Sondern nur von der Spannung. Auch ein Grund, warum man den heiligen Rasen (und die Bälle) dergestalt verändert hat, dass in Wimbledon auch Spieler wie Nadal oder Djokovic zum Zug kommen können (beiden wäre natürlich auch zuzutrauen gewesen, sich den Anforderungen über die Zeit anzupassen).

Keine Verletzungsauszeit bei Becker

Vergleichen darf man vielleicht eines: das Verhalten der Profis. Wenn Boris Becker eine Verletzungsauszeit genommen hat, dann muss schon das rechte Bein kurz vor der Amputation gestanden haben. Es ist also keine erinnerlich. Haben Andre Agassi, Pete Sampras oder Stefan Edberg jemals den Applaus des Publikums eingefordert, wenn ihnen ein einigermaßen ordentlicher Punkt gelungen ist? Auch da ist in der ewigen Strichliste nichts vermerkt. Bei jemandem wie Holger Rune sind wir dagegen in der abgelaufenen Saison mit einem 64-seitigen Collegeblock gerade mal noch so ausgekommen. Vielleicht treibt Coach Becker seinem Schützling Rune ja diese Unart aus.

Sportliche Generationenvergleiche sind also ein Schmarrn.

Was nichts daran ändert, dass Diego Maradona ohne jeden Zweifel der beste Fußballer aller Zeiten war und ist und immer bleiben wird.

von Jens Huiber

Samstag
16.12.2023, 11:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 16.12.2023, 07:54 Uhr