"Ziehe meinen Hut vor Flo"

Der Davis-Cup-Sieger spricht im Exklusiv-Interview über die Situation im deutschen Herrentennis, die Erfolge von Florian Mayer und über das glücklose Comeback von Thomas Muster.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 27.10.2011, 11:07 Uhr

Bernd Karbacher hat in seiner Karriere zwei Grand-Slam-Viertelfinals erreicht, den Davis Cup gewonnen und schaffte es bis auf Rang 22. Der 43-jährige Münchner denkt aber trotzdem nicht über ein Comeback à la Muster nach – Karbacher hat neue Prioritäten und spricht im Interview über seine Eindrücke zur Lage im deutschen Tennis.

Herr Karbacher, was machen Sie derzeit?

Bernd Karbacher: Mit meinem Bruder habe ich weiter meine Agentur "Karbacher and Friends", aber ich bin gerade in ein neues Projekt eingestiegen, das "Exhibitions on Tour" heißt. Im nächsten August wird es in Berlin eine große Ausstellung rund um das Thema Fußball geben, ein Querschnitt durch die Geschichte mit Original-Stücken, Filmausschnitten usw., die danach auch in anderen Städten gezeigt wird. Daran arbeite ich mit und hoffe, dass es ein Erfolg wird.

Sie sind also inzwischen von Tennis auf Fußball umgestiegen...

Karbacher: Nein, nicht ganz. Ich spiele ja noch für Bad Vilbel in der Herren 40 Mannschaft.

Als Bayern-Fan sind Sie momentan ja obenauf, aber auch im Tennis war zuletzt von den starken Bayern zu hören – das gesamte Davis-Cup-Team kommt aus dem bayrischen Landesverband. Ist das ein Zufall?

Karbacher: Ein Zufall sicher nicht, es ist einfach so, dass die Bedingungen in Oberhaching schon super sind. Und wenn irgendwo gute Spieler sind, ziehen sie auch immer gute Spieler nach sich. Oberhaching ist seit Jahren ein solides Pflaster, wo gut gearbeitet wird. Die Trainer sind gut und fahren mit auf die Turniere, und sie haben auch finanzielle Unterstützung, die den kleineren Verbänden vielleicht fehlen.

Ist der jüngste Erfolg von Florian Mayer also eine Folge dieser jahrelangen Trainingsarbeit oder muss man den individuell sehen?

Karbacher: Bei Flo ist es glaube ich wirklich etwas anderes. Er war immer schon ein großes Talent und konnte gut spielen, kam aber mit der ganzen Drucksituation nicht zurecht. Und er war dann knapp dran, sogar aufzuhören und hat sich ein halbes Jahr eine Pause genommen. Damals habe ich mich sehr gewundert, wie man das einfach so machen kann, aber jetzt muss ich wirklich den Hut vor Flo dafür ziehen. Er hat in der Zeit festgestellt, dass ihm Tennis doch Spaß macht und hat dann wirklich von null wieder angefangen. Er hat Challenger und Future-Turniere gespielt, sich von ganz unten in die Top 20 gekämpft, das ist einfach klasse. Er hat nach dem halben Jahr gemerkt, dass Tennis es doch für ihn ist und deshalb kam jetzt auch der Erfolg. Er kann mit dem Druck jetzt besser umgehen und weiß auch, dass der Beruf Tennisspieler doch nicht so schlecht ist. Da gibt es ja auch wirklich Schlimmeres.

Haben Sie bei allem, was Florian Mayer zuletzt erreicht hat, das Gefühl, es wird in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt?

Karbacher: Natürlich ist das so, aber das liegt momentan auch daran, dass die deutschen Mädels ihnen den Rang ablaufen. Und Flo ist eben auch keiner, der sich so extrem verkaufen will. Er ist ein ruhiger und sehr netter Typ, der sich aber auch nicht bei Stefan Raab hinstellt und eine coole Show abliefert. Das ist er einfach nicht. Und es wäre sicher auch leichter, wenn er gerade der Einzige wäre, der erfolgreich ist, dann würde es auch mehr gewürdigt werden. Aber die vier Mädels sind gerade so gut, dass sie ihn da etwas in den Schatten stellen. Aber wie ich Flo einschätze, stört ihn das gar nicht. Er hat jetzt Nadal geschlagen, und er weiß einfach selbst, was er geschafft hat.

Sie sprechen den Erfolg der deutschen Damen gerade an. Gemessen an ihnen wird moniert, die Herren rutschen in die Bedeutungslosigkeit ab. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Karbacher: Na ja, vor drei, vier Jahren war es noch genau umgekehrt. Da haben alle gesagt, bei den Damen wäre ja überhaupt keine mehr, aber Haas und Schüttler waren gut. Da hat von den Damen niemand mehr gesprochen, jeder fragte nur, was da schief laufe, das sei ja alles ein Drama, und nun stehen wir plötzlich mit vier sehr guten Spielerinnen da, um die uns viele beneiden.

Was läuft denn dann derzeit bei den Herren schief?

Karbacher: Das ist schwer zu sagen. Wenn ich mir die Weltrangliste anschaue, bin ich schon erschüttert. Nicht, dass Spieler wie Haas oder Schüttler so langsam abtreten werden, das ist ja klar. Aber dass wir eigentlich keine jungen Spieler unter den ersten 200 haben, das finde ich schlimm. Früher hatten wir einige Deutsche, die so zwischen 100 und 150 standen und von denen man wusste, die sind jung und kommen nach. Damals hatten wir aber noch das Konzept mit dem B-Kader, mit den beiden sehr guten Trainern und Ex-Profis Andreas Maurer und Karl Meiler, die mit den jungen Spielern rumgefahren sind – das brachte es natürlich. Jetzt fehlen dafür die finanziellen Mittel.

Woran hapert es denn außerdem?

Karbacher: Es würde natürlich helfen, wenn sich mehr von den ehemaligen Größen im Verband engagieren würden. Aber viele von den Ehemaligen haben ihre eigene Akademie, jeder macht sein eigenes Zeug. Aber das richtig zu bündeln, klappt nicht. Deshalb gehen vielleicht auch so viele nach München, weil da gute Trainer und gute Spieler sind. Aber so wie früher, als man den besten Nachwuchsspielern zwischen 18 und 22 einen DTB-Trainer mitschickt hat, das lässt sich nicht mehr finanzieren. Aber das hat meiner Meinung nach den Unterschied gemacht. Man müsste die Talente unterstützen, die es sich nicht leisten können. Jetzt kommen nur noch die, die das nötige Geld mitbringen. Das sind aber nicht unbedingt die Besten.

Alarmierend ist sicher auch, dass die "Nach-Mayer-Kohlschreiber-Generation" wie Mischa Zverev, Andreas Beck oder Daniel Brands inzwischen so weit abgerutscht ist. Wäre da der Verband nicht auch etwas mehr gefordert?

Karbacher: Es ist ja klar, dass jeder für sich schaut, was er macht, wenn er keine Unterstützung vom Verband erfährt. Der eine geht in die Ecke und denkt sich, das könnte was werden, der nächste in die andere. Es gibt eben niemanden mehr, der diese Spieler auffängt, es ist nichts mehr zentralisiert. Und dass sich die Landesverbände untereinander auch nicht immer grün sind, hilft natürlich auch nicht weiter.

Angesichts der Lage muss man doch geradezu froh sein über das Comeback von Tommy Haas. Er hat bei den Zuschauern und in den Medien noch einen merklich anderen Stellenwert.

Karbacher: Das ist ja auch klar, Tommy ist einer der Topspieler in Deutschland, die wir in den letzten 20 Jahren noch hatten. Was er erreicht hat, haben vielleicht noch drei andere erreicht, aber sonst keiner. Und er soll auch so lange spielen, wie er lustig ist. Genauso wie Rainer Schüttler. Es ist ja fast schon eine Frechheit, wenn Leute fragen, was die eigentlich noch wollen. Wer sollte ihnen das verbieten? So lange es ihnen Spaß macht, sollen sie weitermachen. Und so einer wie der Tommy kann, wenn er wieder gesund ist und länger am Stück wieder gespielt hat, noch viele Monate auf hohem Niveau spielen, keine Frage.

Haben Sie jetzt eigentlich durch das Comeback von Thomas Muster auch Lust auf eine Rückkehr auf die Profi-Tour gekriegt?

Karbacher: (lacht) Ganz sicher nicht. Und ich habe das wirklich nicht verstanden, was das sollte. Ich finde es eher witzlos, wenn sich ein Muster mit 44 Jahren einredet, er könne auf der Tour noch mithalten. Es ist ja toll, dass er wieder so fit geworden ist, aber er hat doch seither nichts gewonnen und meist richtige Klatschen kassiert. Man kann doch nicht sagen: 'Die Spieler, die so 70, 75 stehen, mit denen kann ich noch mithalten.' Mit 44 bist du einfach ein alter Sack, das merke ich doch schon bei meinen Herren 40. Da spiele ich auch nur noch an Nummer fünf oder sechs, weil die anderen wesentlich mehr trainieren als ich. Und bei mir zwickt es auch schon hier und da. Aber das passt schon so. Ich habe jetzt andere Prioritäten.

Das Gespräch führte Petra Philippsen; Foto: GEPA pictures

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Donnerstag
27.10.2011, 11:07 Uhr