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Buchtipp: Sinner vs. Alcaraz – Eine Rivalität, die Grenzen sprengt

Jannik Sinner und Carlos Alcaraz dominieren ihren Sport gnadenlos. Ein neues Buch sucht in Südtirol und El Palmar nach den Wurzeln – und erklärt, wie zwei Jungen die Tenniswelt erobern konnten. Ein exklusiver Auszug.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 25.11.2025, 10:29 Uhr

Jannik Sinner und Carlos Alcaraz haben in den vergangenen beiden Jahren die ATP-Tour dominiert
© Getty Images
Jannik Sinner und Carlos Alcaraz haben in den vergangenen beiden Jahren die ATP-Tour dominiert

Es gab eine Zeit, in der man glaubte, Tennis sei bereits an seinem Limit angekommen. Federer, Nadal, Djokovic – über zwei Jahrzehnte lang definierten sie, was Kontrolle, Athletik und mentale Härte bedeuten können. Eine Dominanz, die unerreichbar schien. Doch die Saison 2025 zeigt: Es gibt eine neue Form davon. 

Was Jannik Sinner und Carlos Alcaraz in diesem Jahr abliefern, wirkt wie eine Verschiebung des gesamten Gefüges. Sinner, der Weltmeister von Turin. Alcaraz, die Nummer 1 der Saison. Zwei Spieler, die einander nicht ablösen, sondern parallel dominieren – und damit eine Intensität erzeugen, wie man sie selbst in Zeiten der Big Three selten sah. Keine Lücken, keine Phasen der Schwäche, kein Abwarten.
 Nur das permanente Vorwärts. 

Genau hier setzt ein Buch an, das die Entwicklung dieser Rivalität rückverfolgt. Es beginnt weit weg von Center Courts und Finalhallen – in zwei kleinen Orten, in denen man nicht zwingend den Ursprung einer globalen Tennisdominanz vermuten würde. In Sexten wächst Jannik Sinner zunächst als Skitalent auf, und zwar als ernstzunehmendes. Trainer erzählen, dass seine Zukunft eher auf der Piste liegen könnte als auf dem Tennisplatz. Erst ein später Richtungswechsel öffnet den Weg in den Profisport – und macht möglich, was heute selbstverständlich wirkt. In El Palmar legt Carlos Alcaraz’ Vater, Betreiber einer lokalen Tennisschule, die Grundlage. Stundenlang spielt Carlos dort, jeden Tag, immer freiwillig, immer mit einer Energie, die seine Entwicklung beschleunigt. Aus dieser Konstellation entsteht kein Wunderkind im Klischeesinn, sondern ein Spieler, dessen Stil sich aus der Freiheit seiner Umgebung formt. 

Autor Daniel Müksch folgt diesen Spuren zurück zu den Menschen, die beide Karrieren aus nächster Nähe prägen. Jugendtrainer, die Sinners Fähigkeit beschreiben, komplexe technische Abläufe schneller zu erfassen als Gleichaltrige. Wegbegleiter, die erklären, wie Alcaraz schon als Kind ein Tempo anschlug, das außerhalb üblicher Entwicklungsmodelle lag. 

Hier ein exklusiver Auszug für Tennisnet-User: 

Jede Geschichte hat einen Anfang. Doch selten liegen zwischen dem ersten Ballwechsel und der heutigen Wucht so viele Welten wie bei jenen zwei, die das Spiel nicht einfach nur spielen, sondern es auf ein neues Niveau gebracht haben. Doch bevor es so weit kommen konnte, musste alles irgendwo beginnen. Nicht im Scheinwerferlicht. Sondern dort, wo niemand hinsieht. Da liegt ihr Anfang. Im Jahr 2019 treffen sich Carlos Alcaraz und Jannik Sinner zum ersten Mal auf einem Nebenplatz in Villena. Kein großes Publikum, überschaubarer Applaus. Nur zwei Teenager, die in der Hitze Südspaniens um jeden Punkt kämpfen. Doch wer genau hinsieht, ahnt: Hier prallen kaum zu bändigende Kräfte aufeinander. Roh und ungeschliffen, keine Frage. Aber eben auch Potenziale, die ihresgleichen suchen. Damals wie heute. 

Der Frühsommer 2025 in Paris. Das Finale der French Open. Wieder heißt es Carlos Alcaraz gegen Jannik Sinner. Aber nicht mehr auf einem Nebenplatz irgendwo im Süden Spaniens, sondern auf dem Court Philippe-Chatrier. Es ist kein Sparring von hoffnungsvollen Talenten, sondern ein Duell, das alle Grenzen des Vorstellbaren sprengt. Was 2019 in Villena beginnt, wird 2025 in Paris zu einer Rivalität für die Geschichtsbücher.  

Paris. Forever. 

Sonntag. 8. Juni 2025. Roland Garros. An diesem Tag treffen hier zwei Spieler aufeinander, die in den vergangenen 14 Tagen bewiesen haben, dass sie keinesfalls die Zukunft des Männertennis werden können. Sie sind es. Sinner, die Nummer eins der Welt trifft auf Carlos Alcaraz, die Nummer zwei.
Gegen 11 Uhr treffen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner unabhängig voneinander auf der Anlage ein. Sie werden durch separate Eingänge in den hinteren Bereich des Stade Roland Garros geführt. Neben Alcaraz wie gewohnt sein Trainer Juan Carlos Ferrero, Bruder Álvaro, Fitnesstrainer Alberto Lledó und Physiotherapeut Juanjo Moreno. Jannik Sinner betritt die Anlage fast zeitgleich mit seiner Entourage. Auf Court 3 beginnt Alcaraz um kurz nach 11 Uhr mit dem Warm-up. Lockeres Einspielen, ein paar kurze Sprints, explosive Winkel mit Vor- und Rückhand, Stopps, ein paar Lobs. Um 11:30 Uhr nimmt er sich eine Pause im Schatten der Plane am Rande des Courts. Er scherzt mit Juan Carlos Ferrero, bekommt dabei die Beine etwas massiert. Jannik Sinner beginnt seine Session gegen 11:15 Uhr. Grundschläge für das Gefühl, Übungen zur Beinarbeit, kurz Cross-Duelle mit seinem Hitting Partner. Bei ihm ist es stiller auf dem Platz, es wird weniger gelacht. Kein Wort zu viel. 

Zwischen 12:30 und 13:00 Uhr verschwinden beide Spieler in die Katakomben unter dem Philippe-Chatrier, mit Platz für 15.525 Zuschauer. In den Gängen des riesigen Stadions wechseln die beiden Finalisten ihre Outfits. Um Punkt 14:50 Uhr treten beide Spieler aus dem Tunnel hinaus auf den Platz. Es ist angerichtet.  

Alcaraz gewinnt den Münzwurf, entscheidet sich für Rückschlag. Sinner eröffnet – beide liefern sofort intensive Rallyes. Alcaraz vergibt Breakchancen, wirkt am Auge beeinträchtigt und streut Fehler ein. Sinner bleibt kühl, setzt seinen Plan um und holt Satz eins mit 6:4. Noch Luft nach oben – aber die Spannung ist da. Der Hexenkessel Roland Garros kocht, und Sinner behält die Kontrolle. 

Satz zwei: Sinner startet mit Servicewinner. Alcaraz macht Druck, aber auch Fehler. Er sucht den Blick zur Box, wird mutiger – doch Sinner nutzt jede Schwäche. Alcaraz kämpft sich in den Tie-Break. Sinner beginnt stark, holt ein Mini-Break. Alcaraz antwortet mit Assen, doch Sinner bleibt unbeirrbar und verwandelt per Vorhand zum 7:4 im Tie-Break. 2:0 Sätze – und doch spürt man: Dieses Finale ist nicht vorbei. Im dritten Satz verliert Alcaraz direkt den Aufschlag. War’s das? So will niemand dieses Finale enden sehen. Alcaraz liefert, dreht mit zwei Breaks alles um. Und Sinner macht plötzlich mehr Fehler. Alcaraz beendet den Satz mit einem Vorhandvolley: 6:4. Nur noch 1:2 nach Sätzen. 

Der vierte Satz: Sinner breakt zum 4:3, hat kurz darauf beim Spielstand von 5:4 ,0:40 und Aufschlag Carlos Alcaraz drei Matchbälle. Und jetzt? Game Over, Senior Alcaraz? Mitnichten. Er weigert sich einfach zu verlieren, kämpft aufopferungsvoll in den Rallyes. Eine Vorhand von Sinner landet knapp hinter der Grundlinie. Dann ein Rückhand-Returnfehler – und eine Vorhand im Netz. Drei Matchbälle abgewehrt! Roland Garros explodiert. Tie-Break. Der geht 7:3 für Alcaraz aus. Satzausgleich. Und die Frage: Wie verkraftet Sinner das?  

Fünfter Satz. Sinner wirkt müde, aber fällt nicht. Obwohl alles für Alcaraz spricht. Doch beim 4:5 stemmt sich Sinner mit fantastischen Winnern gegen die Niederlage – Break! 5:5. Geschichte bahnt sich an: erstmals ein Match-Tiebreak in einem French-Open-Finale. Spätestens jetzt ist dieses Finale auch der Ort für Sport-Historiker 

Im Match-Tiebreak verwandelt sich Alcaraz in ein Fabelwesen. Vorhandwinner, Rückhandwinner, perfekte Aufschläge. Unantastbar. Unbesiegbar. Ein Passierball beendet das Drama. 10:2. Titelverteidigung. Alcaraz fällt zu Boden, Sinner gratuliert. Das Finale hat die Erwartungen nicht erfüllt – es hat sie übertroffen. 5 Stunden 29 Minuten. Das längste French-Open-Finale aller Zeiten. Ein Monument. Zwei Giganten. Am Ende gibt es auf dem Papier einen Verlierer. Doch der wahre Sieger heißt: Tennis. 

Schnitt. Szenenwechsel.  

Irgendwann. Irgendwo in Alicante. 1. April 2019. Villena, Spanien. Challenger Tour. Hier trifft sich die zweite, bisweilen auch die dritte Garde des Profitennis. Viele Spieler, die selbst wenn sie stramm auf die 30 zugehen oder sie bereits passiert haben, immer noch an die große Karriere glauben. Die Challenger Tour als Niemandsland zwischen großer Bühne und dem dunklen Hinterzimmer des Profizirkus. Ein Ort, an dem sich Spieler tummeln, die in der Weltrangliste irgendwo zwischen Platz 200 und 500 stehen – zu gut für Futures, nicht gut (oder konstant) genug für ATP-Turniere. Auf der Jagd nach wenigen Punkten, ein bisschen Preisgeld – und der nächsten Hoffnung. An diesem 1. April 2019 im Süden Spaniens treffen sich zwei von ihnen – noch ungeschliffen, noch unbekannt. Der eine ist 17 Jahre alt, ein stiller, schlaksiger Italiener aus Südtirol, mit rotem Schopf und viel zu großem Shirt. Der andere ist 15, ein wilder Spanier mit blitzenden Augen und einer Vorhand wie aus dem Lehrbuch. Ihre Namen: Jannik Sinner und Carlos Alcaraz. 

Das Match beginnt kurz nach Mittag bei leichter Brise. Villena, ein kleiner Ort im Landesinneren der Provinz Alicante. Hier liegt die Juan Carlos Ferrero Academy – gepflegte Sandplätze, niedrige Tribünen, ein paar Werbebanner, die im Wind klappern. Für Carlos Alcaraz ist es sein Wohnzimmer. Hier trainiert er seit Jahren, kennt jede Ecke, jede Linie, jeden Platzwart. 

Auf Platz 3 heißt es Alcaraz gegen Sinner. Erste Runde. Sinner kommt mit breiter Brust nach Spanien. Drei Titel in Serie, 16 Siege am Stück. Seit Wochen marschiert er durch ITF- und Challenger-Turniere. Gerade mal 17, aber auf dem Platz wirkt er, als wäre er schon ewig dabei. Alcaraz, zwei Jahre jünger, hat nichts zu verlieren. Und so startet er: furios. Er breakt früh, breakt nochmal, 5:1. 6:2 für den Spanier – unter den Augen seines Trainers Juan Carlos Ferrero. Im zweiten Satz dreht sich das Bild. Sinner verändert den Rhythmus, zwingt Alcaraz in längere Rallyes, öffnet das Feld, geht an die Linien ran. Auf einmal steht es 4:1 für Sinner, kurz darauf 6:3. Ausgleich. 

Dritter Satz. Sinner beginnt stark, 3:0. Alles kippt in seine Richtung. Und dann – der Bruch. Alcaraz mit dem Rücken zur Wand. Doch plötzlich trifft er jeden Ball. Er nimmt die Bälle früher, geht auf Risiko – alles fällt rein. Alcaraz überrollt seinen Gegner mit Tempo, Spin und Entschlossenheit. Sechs Spiele in Folge. 6:3 – Game, Set and Match Alcaraz. 

Die Tribüne ist halb leer, der Applaus höflich. Vielleicht 100 Zuschauer. Und zwei junge Spieler, die sich zum ersten Mal begegnen. Nicht mehr, nicht weniger. Später, wenn sie sich Bälle um die Ohren jagen in Wimbledon, Paris oder New York – dann wird sich jeder, der an diesem Tag in Villena vor Ort war, an diese erste Runde zurückdenken. An Platz 3. An ein Match, das fast niemand gesehen hat, das aber alles sagt. Denn das hier war mehr als eine erste Runde bei einem Challenger-Turnier.  

Mehr als das Duell zweier talentierter Teenager.  
Es ist der Blick in die Glaskugel.  

Der Blick in die Zukunft des Tennis. 

Das Buch „Sinner vs Alcaraz – Die neue Macht im Tennis“ ist hier erhältlich: https://amzn.eu/d/6I0I8VH
 

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