"Haider-Maurer muss fliegen"
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
09.11.2010, 11:06 Uhr

AHMs Fitnesstrainer Christian Kohl im tennisnet.com-Interview: Wieso sein Schützling nicht radelt, wie er aus einem Hendl einen Athleten machte und wieso Geld keine Rolle spielt.
~/getattachment/culture/Scene/Articles/09-November-2010at/christian-kohl-interview/kohlkind2.jpg.aspxChristian Kohl, 34, tauchte während der Bank Austria Trophy in der Stadthalle auf dem Radar der Tennis-interessierten Öffentlichkeit auf: Er ist Konditionstrainer von Sensationsmann Andreas Haider-Maurer, der nicht zuletzt dadurch für Aufsehen sorgte, dass er innerhalb von acht Tagen 20 ganze und einen halben Satz ohne erkennbaren Leistungsabfall spielen konnte – obwohl er an Oberschenkel und Knöchel angeschlagen war.
Kohl studierte noch als aktiver Tennisspieler neben der Ausbildung zum Tennislehrer Sportwissenschaften. Und als ihm in der Superliga "aufgefallen ist, dass die internationalen Spieler vieles anders gemacht haben als wir, dass sie viel kräftiger waren, viel athletischer", ging er der Sache auf den Grund. "Ich habe diese praktischen Erfahrungen mit dem verglichen, was ich im Studium gehört habe, da ist mir vieles unschlüssig vorgekommen, habe mich dann selber informiert." Schon damals arbeitete er eng mit dem Sportwissenschafter Herbert Schandl zusammen, "wir haben viele Sachen gemeinsam ausprobiert, manches auch autodidaktisch angeeignet, haben auch an mir selber viele Sachen ausprobiert. Da sind wir auf viele Sachen draufgekommen, die ganz einfach besser gemacht werden könnten, als sie gemeinhin gemacht werden."
Kohl agiert in einem erheblichen Aktionsradius: Er ist für den Nachwuchs des Burgenländischen Verbands als Tennistrainer hauptverantwortlich – und hat in den BTV übrigens Andis Bruder Mario als Unterstützung geholt –, betreut U14-Meisterin Karoline Kurz sowohl als Tennis- als auch als Konditionstrainer, lebt und arbeitet als Konditionstrainer – auch von Mario Tupy, Gibril Diarra, Daniel Kopeinigg und Andis Freundin Iris Khanna sowie einigen Sportlern aus anderen Sportarten – in Stockerau nördlich von Wien, sein prominentester Schützling AHM lebt in Innsbruck.
Wie er das alles unter einen Hut bekommt, erklärte er tennisnet.com im Interview.
Christian Kohl, für alle nicht direkt Beteiligten war Andi Haider-Maurers Erfolg in der Wiener Stadthalle völlig überraschend. Für Sie auch?
Dass er das Finale erreicht, das schon. Aber dass er mit denen in den Top 100 mithalten kann, das nicht. Ich erinnere mich, ich war 2008 eine Zeit lang bei ein paar Turnieren dabei, damals haben die Spieler schon im Training gesagt, dass seine Vorhand ein Top-20-Schlag ist. Und er hat sich ja seither weiter entwickelt, zuletzt halt besonders rasant.
Bemerkenswert, dass Andi diese Woche rein körperlich durchgehalten hat … wie gut ist er beinander?
Gut. Man darf nicht vergessen, dass er ja schon sein erstes Quali-Match eigentlich müde begonnen hat. Er hat vor Wien drei Challenger gespielt, bei denen er weit gekommen ist. Es war meine Befürchtung, ob das nicht ein bisschen zuviel wird in Wien. Er war ziemlich leer, da hat die Explosivität schon gefehlt.
Und dann hat er tatsächlich im ersten Quali-Match am Samstag überknöchelt und sich Montag Mittag im Quali-Finale am Oberschenkel weh getan. Was haben Sie denn dann mit ihm gemacht, um ihn für das Muster-Match am Dienstag fit zu kriegen?
Ich hab ein bissl Kreatin verabreicht, ihn behandelt, ein paar Übungen mit ihm gemacht, dass da wieder eine Spannung reinkommt. Und dann hat er sich von Partie zu Partie gepusht. Was ihm in dieser Woche extrem gut gelungen ist, das war dieses Punkt für Punkt spielen. Es war vor allem im Kopf eine Superleistung von ihm.
Hat man als Konditionstrainer Einfluss auf den Kopf seines Schützlings?
In gewisser Weise ja. Wir legen im Training großen Wert darauf, dass er sich ausschließlich auf das konzentriert, was er gerade macht, alles andere ausblendet. Wenn er zehn Kniebeugen macht, dann konzentriert er sich zuerst auf die erste, und wenn er damit fertig ist, dann auf die zweite und so weiter. Das fördert die gedankliche Disziplin, dass er sich nur mit dem beschäftigt, was gerade zu tun ist.
Was – bei allem Respekt – noch nicht immer ganz reibungslos klappt: Andi hat in Wien drei Breaks kassiert, als er aufs Match servierte.
Gegen Jürgen im Finale deswegen, weil er eben nicht daran gedacht hat, den nächsten Punkt zu gewinnen, sondern dass er jetzt auf den Turniersieg serviert, auf die ersten Hundert, auf den Platz im Hauptbewerb der Australian Open. Da ist es ihm nicht gelungen, diese Störfaktoren auszublenden. Wenn ihm das gelungen wäre, hätte er das Turnier gewonnen.
Die Leistungssteigerung von Andi wird auf die Zusammenarbeit mit Karel van Wyk zurück geführt, welche Rolle spielen denn Sie?
Ich habe sicher eine gewisse Basis gelegt in körperlicher Hinsicht. Aber die aktuelle Steigerung ist Karel zu verdanken, sein Verdienst, auf jeden Fall. Man könnte sagen, dass er der Schlussstein im Team von Andi ist, das passt jetzt sehr gut, Andis Manager Bernd Haberleitner macht den Job schon ewig, er hat mich vor sechs Jahren dazu geholt, nun ist zum Glück auch der richtige Trainer dabei.
Wie hat Ihre Arbeit mit Andi damals begonnen?
Ich habe Bernd ja schon gekannt, und er hat mich dann eines Tages gefragt, ob ich mir Andi anschauen könnte. Er hat damals in der Südstadt trainiert, hatte eine Knieverletzung, und man wollte ihn operieren. Ich war aber sicher, dass das eine muskuläre Sache ist, habe Bernd um einen Monat Zeit gebeten, um die Sache in den Griff zu kriegen.
Und Sie haben sie in den Griff gekriegt?
Ja. So ist sicherlich sehr schnell eine Art von Vertrauen entstanden, das seither besteht.
Wie war er denn damals beinander?
Ein 17-jähriges Hendl halt, wenn ich das so sagen darf.
Dieses angesprochene Vertrauen wird manchmal auch auf die Probe gestellt worden sein. Um es ein wenig diplomatisch zu sagen: Andi Haider-Maurers Entwicklung war nicht immer die schnurgerade Erfolgsstory. Wie waren diese Jahre aus Ihrer Perspektive?
Man muss solche Entwicklungen langfristig sehen. Wenn ein Vertrauen da ist, dann steht man gemeinsam auch Phasen durch, in denen ein Außenstehender vielleicht keinen Fortschritt erkennen kann. Ich finde nichts schlimmer, als wenn Eltern oder das Umfeld bei einem kurzfristigen Misserfolg alles in Frage stellen; wäre das beim Andi so gewesen, hätte er in den letzten sechs Jahren 26 Konditionstrainer gehabt. Ich meine, die ersten zwei Jahre in unserer Zusammenarbeit waren für den Andi einfach nur hart und monoton. Aber nach zwei Jahren war da ein Athlet, der Herrentennis spielen konnte.
Sie verwenden das Wort "kurzfristig", im nächsten Satz sagen Sie, dass der erste Schritt zwei Jahre gedauert hat. Muss man soviel Geduld verlangen?
Im Konditionstraining passieren keine Sachen von heute auf morgen. Ich vergleiche das immer so: Wenn du dein Haus einfach auf den Acker baust, wird das nix werden. Du musst zuerst einen gescheiten Keller bauen, ein Fundament, das ist das Wichtigste. Aber davon siehst du halt an der Oberfläche nicht viel. Dann erst kannst du darauf aufbauen. In diesen beiden ersten Fundament-Jahren hat der Andi gezeigt, was in ihm steckt: Da hat er viele, viele Stunden in der Kraftkammer verbracht, auf dem Laufband, bei Übungen aus dem Korb auf dem Platz, und er hat das sehr konstant und konsequent durchgezogen. Das macht sich dann über die Jahre halt bezahlt.
Noch kurz zur Stadthalle: Andi hat ja während der Woche kaum geschlafen. Welche Rolle hat das gespielt? Als Laie denkt man, dass ihm doch die wichtigste Regenerationsphase fehlt.
Wenn wir trainieren, trainieren wir sehr intensiv und sehr hart, sehr viele Intervalle mit kurzen, intensiven Belastungen. In diesen Trainings lernt Andis Körper auch, sich schnell zu erholen. Das hat in dieser Hinsicht sehr geholfen. Man muss so ein Konditionstraining bei einem Spitzensportler ja exakt auf die Sportart abstimmen. Da macht es gar keinen Sinn, den Andi eine Stunde mit geringer Intensität radeln zu lassen. Er muss zehn, 15 Sekunden lang maximale Power entwickeln, sich schnell erholen und dann wieder explodieren können.
Das heißt, Andi geht nicht laufen, sitzt nicht auf dem Ergometer?
Nein, weil es ihm als Tennisspieler nichts bringt. Und wenn er einmal auf dem Rad sitzt, dann nur nach einem Training für 15 Minuten, oder er geht auslaufen. Nur regenerativ, nicht als Trainingseinheit, nein.
Wie haben Sie sich diese Philosophie erarbeitet?
In diesem Zusammenhang muss ich vor allem den Herbert Schandl betonen, den ich schon sehr, sehr lange kenne, der jetzt auch gemeinsam mit mir das Konditionstraining der Jugendlichen im Burgenländischen Verband macht. Herbert ist sicher einer der besten Trainingswissenschafter in Mitteleuropa, mit ihm spreche ich alles ab, hole mir Rat, wir arbeiten sehr, sehr intensiv zusammen.
Wie sieht das Konditionstraining von Andi in der Praxis aus? Sie wohnen in Stockerau, verbringen viel Zeit im Burgenland, er stammt aus dem Waldviertel und lebt in Innsbruck … klingt kompliziert.
Ist es gar nicht. Erstens sind wir ständig in Kontakt, sowohl mit ihm selbst als auch mit Karel, da telefonieren wir fast täglich. Andi kriegt seine Aufgaben, seine Übungen, das wird alles online abgewickelt und protokolliert. Und zwischendurch haben wir Blöcke, da verbringt er ein paar Tage bei mir in Stockerau oder ich fahre einmal nach Innsbruck. In Stockerau haben wir auch die Gerätschaften, mit denen wir ihn testen können. Wir können jede Muskelgruppe messen, mit diesen Daten können wir einerseits den Erfolg des Trainings objektiv feststellen und andererseits die Schwerpunkte des Trainings optimal setzen.
Das klingt alles auch nach ziemlich viel Aufwand … wie kann sich das ein junger Spieler wie Andi Haider-Maurer leisten?
In meinem Fall ist das nicht allzu schwer, weil das Fixum minimal ist. Ich bekomme nur was, wenn Andi was gewinnt.
In welcher Größenordnung etwa?
Naja, leben kann man davon nicht. Das könnte man, wenn Andi jede Woche ein ATP-Tour-Finale erreicht, aber sonst nicht.
Sie machen's aus Spaß an der Sache? Was ist Ihre Motivation?
Im ersten Jahr hab ich den Andi fast täglich gesehen. In dieser Zeit, als wir die Basisarbeit gemacht haben, ist er zu ein bisschen so etwas wie einem Ziehkind für mich geworden. Da geht's dann nicht darum, dass man möglichst viel verdient. Was mir viel mehr bedeutet: Dieses gesamte Projekt Andi Haider-Maurer zeigt, was möglich ist, wenn man kämpft, wenn man konsequent seinen Weg geht und seriös arbeitet. Und das ist schon ein besonderes Erlebnis, auch in Zusammenarbeit mit dem Team rund um Andi.
Wo steht Andi in einem Jahr?
Zwischen 50 und 100 wird er sich etablieren, davon bin ich überzeugt.
Was muss er noch verbessern? Wo sind die Baustellen?
Im Tennis ist es vor allem der Return und der erste Ball nach der Spieleröffnung. Und in meinem Bereich ist der größte Brocken die Verfeinerung der Beinarbeit. Überspitzt ausgedrückt: Er trampelte mir noch ein bisschen zu sehr über den Platz. In Wahrheit muss er fliegen.
(Foto: Faruk Pinjo)
