"Steffi würde nie mit Absicht verlieren"

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 26.09.2017, 14:38 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel

Claudia Kohde-Kilsch (48) ist bis heute die erfolgreichste deutsche Tennisspielerin nach Steffi Graf. In ihrer Karriere gewann sie acht Turniere im Einzel, stand viermal im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers und spielte sich bis auf Platz vier der Weltrangliste vor. Noch besser lief es für sie im Doppel, wo sie 25 Turniersiege feierte und zur absoluten Weltspitze zählte. Im Doppel triumphierte sie gemeinsam mit Helena Sukova bei den US Open 1985 und beim Wimbledonturnier 1987. Unvergessen ist auch der erstmalige Gewinn des Fed Cups für Deutschland gemeinsam mit Steffi Graf im Jahre 1987. Zwei weitere Male erreichte sie das Fed-Cup-Finale. Mit Graf gewann sie zudem die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul. Claudia Kohde-Kilsch lebt heute in ihrer Heimatstadt Saarbrücken, in der sie auch geboren wurde.

Frau Kohde-Kilsch, dieses Jahr jährt sich der erste deutsche Fed-Cup-Titel zum 25. Mal. Welche Erinnerungen haben Sie an den Erfolg in Vancouver?

Ich habe nach wie vor sehr präsente und schöne Erinnerungen, auch wenn das schon recht lange her ist. Wie das damals zustande gekommen ist, war eine tolle Sache für uns. Ich war schon immer mit dem Herzen Mannschaftsspielerin. Fed-Cup-Siegerin zu werden, vergisst man nicht. Ich habe vor ein paar Jahren von der ARD das komplette Doppel des Endspiels bekommen. Dann habe ich mir das in Ruhe angeguckt. Im Eifer des Gefechts hatte ich so einige Sachen vergessen.

Gemeinsam mit Steffi Graf lagen Sie im entscheidenden Doppel mit 1:6, 0:4 zurück. Wie haben Sie es beide geschafft, das Match noch umzudrehen?

Wir haben uns gesagt, dass wir nicht mit 1:6, 1:6 nach Hause gehen können. Das wäre etwas peinlich gewesen. Einen Monat zuvor gab es ein Match in Wimbledon, als Jimmy Connors 1:6, 1:6, 1:4 zurückgelegen hatte und dennoch gewonnen hatte. Wir haben uns beim Wechsel dann gesagt: 'Komm, wir machen es wie Jimmy!'. Im Doppel kann sich das Blatt auch schnell wenden. Wir hatten bis dahin eigentlich nicht schlecht gespielt. Nach unserem ersten Break lief es auf einmal andersrum. Alles was vorher knapp im Aus war, landete nun im Feld. Auch unsere Chancen hatten wir dann konsequent genutzt.

Welche Bedeutung hat es für Sie, bei der deutschen Titelpremiere im Fed Cup dabei gewesen zu sein?

Für mich hat das eine große Bedeutung. Der Fed-Cup-Sieg zählt zu meinen größten und schönsten Erfolgen. Ich habe schon immer gerne für mein Land gespielt. Ich war in den Jahren zuvor auch im Team, das zweimal im Finale stand. Die Trophäe endlich zu gewinnen, war dann ein großer Meilenstein.

Warum hatte es in den Finals zuvor in den Jahren 1982 und 1983 noch nicht mit dem ersten deutschen Fed-Cup-Titel geklappt?

Ich habe damals mit Bettina Bunge gespielt. Wir waren gerade erst 18 Jahre alt und ein sehr junges Team. Das erste Finale haben wir gegen die USA mit Martina Navratilova und Chris Evert verloren. Da konnten wir einfach noch nicht gewinnen. Wir haben uns aber klasse geschlagen. Alleine das Erreichen des Finals war schon ein großer Erfolg. Ein Jahr später haben wir in Zürich gegen die Tschechoslowakei knapp verloren.

Am Wochenende spielt Deutschland in der ersten Fed-Cup-Runde gegen Titelverteidiger Tschechien. Wer ist für Sie der Favorit?

Deutschland ist auf jeden Fall nicht in der Favoritenrolle. Petra Kvitova spielt derzeit gigantisch. Iveta Benesova ist ebenfalls eine erfahrene Spielerin. Das werden sicherlich ausgeglichene und interessante Partien. Ich werde beim Fed Cup auch vor Ort sein und mir es angucken. Ein Sieg von Deutschland ist auf jeden Fall möglich.

Wie schwer wiegt der Ausfall von Andrea Petkovic?

Die anderen Spielerinnen sind im Moment fast genauso gut wie Petkovic. Die können das auch ohne sie gewinnen.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Deutschland dieses Jahr den Fed Cup gewinnt?

Die Chancen sind mit solch einem Team immer da. Vor ein paar Jahren war das Team noch recht unerfahren. Da wäre ein Erfolg noch unrealistisch gewesen. Wenn Petkovic wieder fit ist, können die Mädels den Fed Cup durchaus gewinnen. Wir haben auch lange genug gewartet.

Welche Spielerin vom deutschen Top-50-Quintett hat Ihrer Meinung nach das größte Talent, um nach ganz vorne zu kommen?

Ich verfolge das Geschehen nicht jeden Tag, aber für mich sind Andrea Petkovic und Sabine Lisicki schon die Besten. Petkovic ist als Zehnte ja schon recht weit vorne. Lisicki ist dicht an den Top Ten dran. Der Schritt, um unter die ersten Drei der Weltrangliste zu kommen, ist noch mal sehr groß. Etwas Glück ist auch immer dabei. Es kann schon passieren, dass wir bald zwei oder drei Spielerinnen unter den Top 10 haben wie bei uns früher.

Während der Australian Open flammte die Diskussion über exzessives Stöhnen im Damentennis wieder auf. John McEnroe fordert ein Verbot des Stöhnens, Martina Navratilova hält es für Betrug. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema?

Es ist sicherlich unschön, aber es gehört nun mal zum Sport dazu, dass man Geräusche von sich gibt. Ich finde die Forderungen nach einem Verbot übertrieben und unsinnig. Mich persönlich stört es nicht, wenn ich mir ein Match anschaue. Es gibt Spielerinnen, die können einfach nicht anders. Die müssten sich dann umgewöhnen, wenn es ein Verbot gibt. Ich glaube, dass eine Spielerin wie Sharapova es nicht macht, um die Gegnerin zu beeinflussen. Sie macht das, weil es in ihr drin steckt. Sie hört es wahrscheinlich selbst nicht mehr, wie laut das ist. Man stellt aber fest, dass die Spielerinnen erst lauter stöhnen und schreien, wenn das Spiel dem Ende entgegengeht. Ich glaube aber auch, dass man als Gegnerin das irgendwann gar nicht mehr wahrnimmt so wie mit den Flugzeugen bei den US Open.

Dem Damentennis kann es nicht gut tun, wenn bei den Australian Open mehr über die Lautstärke der Finalistinnen gesprochen wird als über die spielerischen Qualitäten. Können Sie dem zustimmen?

Die Qualität sollte natürlich immer im Vordergrund stehen. Ich glaube, dass sich die Diskussion wieder ganz schnell legen wird. Das dauert ein paar Wochen. Es wird sich sowieso nichts ändern und dann redet auch keiner mehr darüber. Die Öffentlichkeit braucht immer Themen zum Diskutieren. Die Qualität im Damentennis ist derzeit sehr interessant. Es kommen neue Gesichter dazu, vor allem in Deutschland.

Es fällt auf, dass es im Damentennis kaum noch Variationen gibt. Die Spielweisen ähneln sich sehr stark. Ein richtiges Volleyspiel sieht man recht selten. Wie ist das für Sie als hervorragende Doppelspielerin anzusehen?

Es hat sich tatsächlich was verändert im Damentennis. Ein reines Angriffsspiel ist nicht mehr möglich. Früher haben Angriffsspielerinnen wie Navratilova den Ball reingeschoben und am Netz alles abgedeckt. Heutzutage würde sie mit vollem Tempo passiert werden. Das Volley- und Netzspiel wird zudem nicht mehr intensiv trainiert und ist nur noch zweitrangig. Die Spitzenspielerinnen spielen kaum noch Doppel und wissen eigentlich nicht so recht, was sie am Netz machen sollen. Sie brauchen aber heute auch das Netzspiel gar nicht mehr, weil sie von hinten derart schnell spielen können. Es gibt nur noch wenige Ausnahmen wie zum Beispiel Samantha Stosur. Das reine Angriffsspiel ist aber viel zu gefährlich geworden. Trotzdem finde ich, dass man schon wissen sollte, was man am Netz zu tun hat - außer dem Shakehands. Es ist schade, aber Sportarten entwickeln sich eben.

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung haben Sie gesagt, dass Peter Graf seine Tochter Steffi dazu angehalten hat, das Olympia-Halbfinale 1988 im Doppel absichtlich zu verlieren. Wie kommen Sie zu diesem Vorwurf?

Ich habe nur beschrieben, was mein Stiefvater mir damals erzählt hat, was Peter Graf nach dem Match zu ihm gesagt hatte. Ich habe das nicht bewertet. Ich glaube nicht, dass mein Stiefvater sich das aus den Fingern gesaugt hat. Ich wollte damit nur darstellen, wie Peter Graf ist. Die Journalisten von damals und alle, die am Tenniszirkus teilgenommen haben, wissen das auch. Das war ja nicht das Einzige, was er von sich gegeben hat. Ich sehe das mit Abstand und muss selbst schon darüber schmunzeln. Das ist schon fast 25 Jahre her. Steffi würde nie mit Absicht verlieren. Ich würde jetzt auch nie etwas Schlechtes über Steffi sagen. Wir sind immer gut miteinander zurechtgekommen. Sie war eine der größten Sportlerinnen, die Deutschland je hatte. Da können wir lange warten, bis solche eine Spielerin wieder kommt.

Welche Reaktionen gab es auf Ihre Kritik an Steffi und ihrem Vater?

Peter Graf hat nur gesagt, dass er den Satz nicht gesagt hat. Was soll er auch anderes erzählen? Ansonsten gab es kaum Reaktionen. Im Interview ging es auch primär um etwas anderes.

Viele Tennisspieler veröffentlichten nach ihrer Karriere ihre Memoiren. Haben Sie auch darüber nachgedacht, ihre Biografie zu schreiben?

Schon seit einigen Jahren habe ich darüber nachgedacht. Viele Leute haben mir auch schon geraten, ein Buch zu schreiben. Es kann sein, dass ich es auch noch mache. Ich denke dabei eher an ein Buch über das Leben eines Tennisprofis anhand meiner Karriere. Ich hab viel zu erzählen, vor allem über die Geschichten hinter den Kulissen. Die Zuschauer sehen die Spielerinnen ja meist nur auf den Platz stehen und wissen nicht genau, was sonst noch los ist. (Foto: privat)

von Christian Albrecht Barschel

Dienstag
26.09.2017, 14:38 Uhr